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Die 16-jährige Eva will nach der Trennung ihrer Eltern unbedingt bei ihrem Vater leben. “I Have Electric Dreams” erforscht dabei eine von Gewalt geprägte Kind-Vater-Beziehung und bewegt sich zwischen der Zärtlichkeit und Sensibilität des Teenagerlebens und der Unbarmherzigkeit der Erwachsenenwelt.

I Have Electric Dreams (2022)

Eine Filmkritik von Sophia Derda

Willst du Krieg?

Als Frau eine Ehe, die von häuslicher Gewalt geprägt ist, zu verlassen, ist häufig ein schwieriges Unterfangen. Ökonomische Abhängigkeit und schwache soziale Unterstützung erschweren die Trennung aus Gewaltbeziehungen. Emotionale Abhängigkeiten und der ausgeprägte Wunsch nach Normalität in der Beziehung führen zum Verbleib, was gerade durch gemeinsame Kinder noch wahrscheinlicher ist. In “I Have Electric Dreams” verfolgen wir, wie das Leben nach solch einer Trennung weitergeht. Das Spielfilmdebüt von Valentina Maurel, erhielt den Regiepreis sowie den Preis für die beste Darstellerin und den besten Darsteller auf dem Locarno Film Festival 2022.

Kwesi muss weg. Kwesi spinnt oder will sich rächen – das ist die Vermutung von Evas Mutter. Kwesi ist die Katze von Eva (Daniela Marín Navarro) und seit sie, ihre Mutter und ihre kleine Schwester umgezogen sind, macht Kwesi nur noch Stress. Die Katze pinkelt alles voll, ist aggressiv und lässt sich nicht mehr streicheln. Beide Töchter leben nun mit ihrer Mutter alleine. Die drei Frauen sind in eine geerbte Wohnung von einer entfernten Tante gezogen. Die Trennung vom Vater (Reinaldo Amien Gutiérrez) ist noch nicht lange her und man spürt die Spannungen zwischen den Figuren sehr deutlich. Wohnsituation, nicht ausgesprochene Konflikte und der sehnliche Wunsch, dass alles wieder gut wird. Die 16-jährige Eva weiß, was sie will. Sie möchte bei ihrem Vater leben.

Die Beziehung zu ihrer Mutter wird immer schwieriger. Das liegt zum einen an der Pubertät und den dementsprechenden Konflikten zwischen heranwachsender Person und dem autoritären Gegenpol. Zum anderen liegt es aber auch an der Scheidung der Eltern selbst. Eva ist nicht glücklich bei ihrer Mutter; die beiden haben kein inniges Verhältnis, tauschen sich nicht aus und scheinen immer nur zu streiten. Anders sind die Szenen mit ihrem Vater. Hier gibt es Spaß, sie sucht seine Nähe und erzählt ihm von ihren Gedanken und Träumen. In Evas Augen trägt die Mutter die Schuld an der Trennung. Nun ist ihr Vater weg und sie will folgen.

Die Beziehung zwischen den Eltern wird nur ansatzweise skizziert, was aber mehr als ausreichend ist. Eva, ihre kleine Schwester und ihre Mutter haben unter dem Vater gelitten. Ein Mann, der augenscheinlich ein großes Aggressionsproblem und seine Gewalt nicht unter Kontrolle hat. I Have Electric Dreams beginnt mit einer Autofahrt der vierköpfigen Familie. Ohne ersichtlichen Grund wird der Vater sehr wütend und zu Hause angekommen, steigt er aus dem Auto aus und gerät außer Kontrolle. Es endet mit einem blutigen Gesicht, weil er seinen Kopf gegen das Garagentor schlägt. Es wird klar, dass das Aufwachsen der beiden Kinder von Gewalt geprägt war. Evas kleine Schwester macht sich in die Hose, sobald es zu Konflikten kommt, und die Mutter verbietet jegliche Art von Gewalt in ihrem neuen Zuhause. Selbst im Fernsehen wird jegliche Gewaltdarstellung weggeschaltet.

Eva aber liebt ihren Vater, sie will ihn nicht verlieren und möchte unbedingt bei ihm wohnen. Sie ist unermüdlich auf der Suche nach einer passenden Wohnung für ihn, da er durch finanzielle Probleme und fehlender Motivation bisher nicht selbst auf die Suche gegangen ist. Leider werden alle Wohnungen, die für einen Zwei-Personen-Haushalt ausgelegt sind, von ihm abgelehnt und so lebt er weiterhin auf Sofas und in leeren Zimmern von Bekannten und Freunden. Im Fortlauf von I Have Electric Dreams begibt sich die 16-Jährige in das Umfeld vom ihrem Vater, geprägt von Alkohol, Drogen und Menschen, die ihr nichts Gutes wollen. Ihr Vater ist mehr oder weniger dabei, meist aber nicht daran interessiert, was seiner Tochter widerfährt. Auf einer Party erlebt sie Dinge, die Heranwachsende in ihrem Alter nicht erleben sollten. Daniela Marín Navarro spielt diese Szenen mit einer ganz besonderen Ruhe. Den Zuschauenden wird bewusst, wie nah doch Stärke und Verletzlichkeit aneinander liegen.

Valentina Maurel gelingt es, die Zerrissenheit der Welt von Eva mit großem Feingefühl einzufangen. Taumelnd und ohne Halt wird hier versucht zu überleben. Es gilt das Vergangene zu vergessen und darauf zu vertrauen, dass alles besser wird. Für Menschen, die in ihrem persönlichen Umfeld Gewalt erleben, steht häufig das Bestreben und die Hoffnung im Vordergrund, dass eine Verhaltensänderung der gewalttätigen Person möglich ist. I Have Electric Dreams ergründet die hoffnungslosen Träume einer 16-Jährigen, die viel zu schnell erwachsen werden muss.

 

I Have Electric Dreams (2022)

Die Mutter baut auf, renoviert, schafft Ordnung. Der Vater ist labil, mit Hang zur Zerstörung. Dennoch ist er es, zu dem sich die 16-jährige Eva nach der Scheidung der Eltern hingezogen fühlt. Sie begleitet ihn bei der Wohnungssuche und bei alkoholtrunkenen Poesie-Workshops, sie rauchen gemeinsam. Während Eva mit dem Erwachsenwerden kämpft, ringt der Vater mit der eigenen Hilflosigkeit, die sich immer wieder in Gewalt entlädt. Die beiden erkennen und akzeptieren sich. (Quelle: IFFMH)

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