Hwal – Der Bogen

Eine Filmkritik von Andreas Kock

Mythenspiele in der Nußschale

Auch so kann das Orakel befragt werden: Auf dem Rumpf eines ausgemusterten Kutters prangt eine Buddha-Zeichnung, davor pendelt auf einer Schaukel ein junges Mädchen, das als Medium fungiert. Dieses Arrangement nimmt von einem kleinen Beiboot aus ein Bogenschütze ins Visier. Drei Pfeile werden abgeschossen. Sie treffen das Antlitz Buddhas – und eben nicht das Mädchen. Dieses zieht die Pfeile aus der Bordwand und flüstert – zurück an Deck des Kutters – ihre Weisheiten dem Schützen ins Ohr. Der übermittelt sie dann den Klienten, die ähnlich wie die Zuschauer unten im Vorführraum erschüttert sind, ob des waghalsigen Schauspiels.
Aber die beiden scheinen genau zu wissen, was sie tun. Der alte Mann mit seinem Bogen und das Mädchen, das einen Film lang nur ganz wenig spricht, und zwar im Flüsterton, eben wenn die Zukunft anderer Leute befragt wird. Das sind wiederum Gäste, die den weit vor der Küstelinie schwimmenden Kahn besuchen, um von ihm aus gleich mehrer Tage auf hoher See zu angeln. Mit ihrer Anwesenheit bestreitet das Paar seine Existenz. Mit Monotonie und Einsamkeit haben der Alte und die Kindfrau offenbar nicht zu kämpfen, mit den Umständen, den Besuchern und ein paar festen Ritualen haben sie sich gut arrangiert. Kommt es zu Übergriffen seitens der Angler, dann ist der Alte mit Pfeil und Bogen zur Stelle. Das Mädchen will geschützt werden. Schließlich wird sie in knapp einem Monat 17 Jahre alt. Dann will der alte Mann, der sich bislang als Vaterfigur erwiesen hat, das Mädchen zur Frau nehmen. Nur kommt ihm ein Gast in die Quere. Ein junger Student erregt die Aufmerksamkeit des Mädchens. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen, der Widerwille gegen den Alten und das Dasein auf dem Schiff erwacht. Der alte Mann muss reagieren, die Hochzeit ist in Gefahr, der Student trumpft auf, das Leben an Bord gerät aus dem Ruder.

In seinem zwölften Film enttäuscht Kim Ki-duk bogenschützenpfeilgenau jene Erwartungen auf unterhaltsame und weniger drastische, urbane und landschaftspoetische Filme, die seine jüngsten Produktionen haben aufkommen lassen. Hatte sich sein Regiestil mit Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling, Samaria und Bin Jip – Leere Häuser scheinbar in genau diese Richtung entwickelt. Mit Der Bogen nimmt er gleichsam Reißaus aufs offene Meer und schildert auf dem Schauplatz einer schwankenden Nußschale eine hochkonzentrierte Geschichte von emotionaler und erotischer Abhängigkeit, verdrängter und offener Gewalt und schließlich auch übersinnlichen Begebenheiten. Denn Religion und Spiritualität sind mittlerweile fester Bestandteil seiner Filme. Was allerdings die Interpretation für westliche Zuschauer nicht eben leichter macht. Freilich ist Kim mit Der Bogen auch ein Kritiker der südkoreanischen Realität, auch wenn das eigentliche Land jenseits des Horizonts unsichtbar bleibt. Alter Mann und Mädchen ohne Woher und ohne Namen im rituellen Schweigen verbunden. Die ruppigen und ungezähmten Angler, der Student, der die Nachricht von den Eltern des Mädchens bringt, die noch immer nach ihr suchen. Das ist wieder der Kimsche Lieblingsschauplatz, die Peripherie Südkoreas, Boomnation mit diversen Schattenseiten, verdrängten Konflikten und den unterschiedlichen Modernisierungsverlierern. Aber dann ist da auch der Bogen, der im Handumdrehen in eine Fiedel verwandelt werden kann. Waffe und Musikinstrument, die Wahrsagerei und eine Hochzeit auf dem Meer. Staunend fragt sich der Zuschauer, ob es opportun sei, auf Buddhafiguren und Yin-und-Yang-Zeichen mit Pfeilen zu schießen. Überhaupt der Bogenschütze als Seefahrer: Reicht hier die europäische Antike dem fernöstlichem Denken die Hand? Kim Ki-duk als Botho Strauß des südkoreanischen Kinos? Mythenspiele auf dem Gelben Meer?

Gedreht wurde der Film im Januar 2005 in ganzen 17 Tagen. Dabei war die Crew ebenfalls die ganze Zeit auf dem Meer, das jahreszeitengemäß äußerst unruhig war. Die äußerst komplizierten Produktionsbedingungen mögen erklären, warum der Film nicht ganz so bildstark ist. Umso beklemmender wirken dann Szenen, in denen das junge Mädchen bei Schneetreiben im dünnen Sommerkleid über das Deck rennt. Wenn sie abends im Badezuber hockt und ihre Unterschenkel leuchtend blaue Flecken zeigen.

Kein Zweifel, Der Bogen ist spröde und bedrückend. Die Enge des Schauplatzes verbietet Kim sonst übliche komische Abschweifungen und Wendungen. Und dennoch zeigt sich wieder sein erzählerischer Einfallsreichtum, können vor allem die Darsteller überzeugen. Han Yeo-Reum als Mädchen ist hinreissend, das Klischee der fernöstlichen Kindfrau fast übererfüllend. Jeon Sung-Hwan als alter Mann – stoisch, viril und dennoch elegant. Er ist das dramatische Zentrum des Films.

Der Alte wird scheitern. Aber wie er verliert, wie er seinen Kampf um das Mädchen, seine erhoffte Gattin führt, das dürfte es bislang so noch nicht im Kino gegeben haben. Kim Ki-Duk sorgt mit dafür, dass Südkorea die erste Adresse für innovative Filmkunst in der Gegenwart bleibt.

Hwal – Der Bogen

Auch so kann das Orakel befragt werden: Auf dem Rumpf eines ausgemusterten Kutters prangt eine Buddha-Zeichnung, davor pendelt auf einer Schaukel ein junges Mädchen, das als Medium fungiert.
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Meinungen

· 05.09.2006

ein wunderbar poetischer Film, der in Bildern und Musik mehr erzählt als manch anderer mit vielen Worten

@Gast · 27.07.2006

Kommentare bei den DVDs wird es auch bald geben. Danke für die Anregung. Mike

· 27.07.2006

Freu mich auch total auf den Film, nur wird der wieder nur in ganz wenigen Kinos laufen. Eine kleine Kritik an dieser site: Schade, dass man bei DVD´s und Büchern keinen Kommentar abgeben kann.

· 10.06.2006

Ein neuer Kim Ki-duk, ich kanns kaum erwarten. Der Mann macht einfach geniale Filme!!