Hundert Nägel

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wissen vs. Glauben

Es beginnt als Krimi und endet als christlich-spirituelle Sinnsuche und Erbauungsdrama. Ermanno Olmis laut eigener Ankündigung letzter Spielfilm (der mittlerweile 79 Jahre alte Filmregisseur hatte vor einigen Jahren verlauten lassen, fortan nur noch Dokumentationen drehen zu wollen) Hundert Nägel, der 2007 auf der Berlinale zu sehen war, entpuppt sich mit zunehmender Dauer als moderne Allegorie auf Jesus und die Frage, welche Position Gottessohn wohl angesichts der heutigen Lebenswirklichkeit einnehmen würde.
In der uralten Bibliothek der stolzen Universität von Bologna ist etwas Ungeheuerliches geschehen. Hundert mittelalterliche Handschriften wurden mit Zimmermannsnägel auf den Boden des Raumes genagelt – ein Akt von solcher Beredtheit, dass selbst die Polizei schnell erkennt, dass hier ein Zeichen gesetzt werden sollte. Der Täter, so wird bald klar, ist ein Dozent der Philosophie (Raz Degan), der von seinem Aussehen her fatalerweise an Jesus erinnert. Und das kommt nicht von ungefähr, denn im weiteren Verlauf der Geschichte wird immer deutlicher, dass Olmi diese Figur genauso meint – als Allegorie auf Jesus. Über die Motive für die ungeheuere Tat herrscht keinerlei Zweifel – das Wissen der Welt sei schlichtweg unnütz. Wenn es doch nur so einfach wäre…

Dann taucht das Auto des flüchtigen Gelehrten wieder auf, seine Jacke und sein Ausweis werden aus dem Fluss gefischt. Doch der Professor ist keinesfalls tot, sondern will aussteigen aus seinem bisherigen Leben. Seinen Ruhepunkt findet er schließlich in der lombardischen Po-Ebene, wo er sich eine verfallene Hütte herrichtet und schnell zum auch geistigen Mittelpunkt der zumeist armen Leute der Umgebung wird. Allerdings ist auch diese kleine, in sich geschlossene und friedliche Welt von den Anfeindungen der Umwelt bedroht. Die illegal errichteten Häuser der einfachen Fischer sollen nach dem Willen der Behörden abgerissen werden. Der Aussteiger wehrt sich, wird verraten und verhaftet und taucht dann nicht mehr bei seinen neuen Freunden auf. Wie durch ein Wunder aber kann der Abriss der Hütten im letzten Moment verhindert werden.

Obwohl Hundert Nägel von durchaus wichtigen Fragestellungen über das Verhältnis von Christentum und Welt in unserer Zeit angetrieben, ist Ermanno Olmis letztes, an manchen Stellen noch deutlich vom neorealismo beeinflusstes Werk von seiner Moral her eher schwierig und von teilweise solch überbordendem missionarischen Eifer durchzogen, dass man den Film als Nichtgläubiger nur schwer ernst nehmen kann. Je länger der Film dauert, umso naiver und konstruierter wirken die Parallelen zwischen Professor und Gottessohn. Man muss schon die spezielle italienische Art der Frömmigkeit in sich tragen oder mit Glaubensfragen beschäftigt sein, um der Geschichte mit Begeisterung zu folgen, ohne zugleich die groben Kontrastierungen der Welt des Glaubens gegen die Welt des Wissen zu bemängeln.

Hundert Nägel ist vor allem eine sehr persönlich geprägte Geschichte, die Zeugnis ablegt vom tiefen Glauben Ermanno Olmis und von der Glaubenswelt vieler Italiener, die ihre liebe Not mit der Kirche haben und nach einem anderen Weg des Glaubens suchen. All jene, denen es ähnlich ergeht, können aus der solide inszenierten Parabel sicherlich einiges an Erkenntnissen gewinnen. Dem Rest bleiben immerhin sehr schöne Bilder der hellen Landschaft an den Ufern des Po.

Hundert Nägel

Es beginnt als Krimi und endet als christlich-spirituelle Sinnsuche und Erbauungsdrama. Ermanno Olmis laut eigener Ankündigung letzter Spielfilm (der mittlerweile 79 Jahre alte Filmregisseur hatte vor einigen Jahren verlauten lassen, fortan nur noch Dokumentationen drehen zu wollen) „Hundert Nägel“, der 2007 auf der Berlinale zu sehen war, entpuppt sich mit zunehmender Dauer als moderne Allegorie auf Jesus und die Frage, welche Position Gottessohn wohl angesichts der heutigen Lebenswirklichkeit einnehmen würde.
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