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Sarah lebt zurückgezogen und arbeitet in einem Bastelladen. Was wie eine romantische Komödie beginnt, gleitet zunehmend ab in ein Drama über Selbstverlust und Krankheit. Am Ende bleiben die Zuschauer*innen mit einigen Fragezeichen zurück.

Horse Girl (2020)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Von Aliens und Schizophrenie

Filme und Serien, die sich mit psychischen Erkrankungen auseinandersetzen gibt es mittlerweile viele. Von alkoholabhängigen Depressiven (Bojack Horseman, 2014-2020) über Borderline-Persönlichkeitsstörung und Drogen („Requiem for a Dream“, 2000) und bis hin zu Depression als Weltuntergangsstimmung („Melancholia“, 2011). Während es einigen stärker um die Verherrlichung der Trips zu gehen scheint, und Depression mehr als Metapher benutzt, denn als ernstzunehmende Krankheit gesehen wird („Melancholia“), gibt es auch Filme, die versuchen, uns deren Weltsicht näher zu bringen. Namen wie John Nash (gespielt von Russell Crow in „A Beautiful Mind, 2001) und Will (Matt Damon) aus „Good Will Hunting (1997) kommen in den Sinn. Die beiden letzteren sind jedoch auch vor allem Beispiele dafür, wie nah Genie und Wahnsinn beieinander liegen – oder um es weniger plakativ und undifferenziert auszudrücken, aus welchen scheinbar widerstreitenden und doch sich gegenseitig konstituierenden Facetten Hochbegabung zusammensetzt. Horse Girl pendelt sich da irgendwo dazwischen ein, weder Glorifizierung noch psychologische Studie, weder metaphorisch noch komplett mystisch oder surreal. Und genau darin liegt das Problem.

Wir begegnen Sarah (Alison Brie) an ihrem Arbeitsplatz, einem Laden für Bastelbedarf. Obwohl dieser eigentlich vor Farbe überläuft, werden wir vom Filmbild nicht angeschrien: Die Farben wirken wie ausgewaschen, etwas ausgeblichen, runter gedreht. Was nicht für alle Szenen gilt, aber dazu kommen wir noch. Sarah lebt mit ihrer Mitbewohnerin Nikki (Debby Ryan, bekannt aus Insatiable, 2018-2019) zusammen in einer kleinen Wohnung. Nikki hat einen Freund und der wiederum einen Mitbewohner, den sie gerne Sarah vorstellen wollen. Anlässlich Sarahs Geburtstag findet eine spontane Party bei den beiden Frauen in der Wohnung statt und zwischen Sarah und Darren funkt es. Soweit, so normal könnte man denken.

Aber mit Sarah scheint etwas nicht zu stimmen. Man hält sie anfangs für die typische romcom-Heldin, schüchtern, etwas quirky vielleicht, lebt zurückgezogen und wartet auf den Richtigen. Typ unentdeckte Schönheit. Doch im Verlauf des Films wird deutlich, dass Sarah einige Probleme hat. Wir sehen sie auf dem Reiterhof mit ihrem Ex-Pferd Willow, das sie verkaufen musste. Sie sorgt sich um das Wohlergehen des Pferdes. Was jedoch von den Besitzern des Hofes und dem anderen, jüngeren Pferdemädchen, dem Willow nun gehört, als stark übergriffig aufgefasst wird. Sarah und Grenzen – eine schwierige Beziehung.

Mit den Einblicken in Sarahs Familiengeschichte und ihren selbstgezogenen Konsequenzen aus der Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrer Großmutter entwickelt sich eine verstörende Eigendynamik: Sarah beginnt immer mehr in Wahnvorstellungen, in paranoide Schizophrenie abzurutschen. Sie hat Blackouts. Sie scheint zu schlafwandeln. Und sie träumt immer wieder von demselben Ort, getaucht in gleißendes, weißes Licht. Diese Sequenzen heben sich dann, wie bereits angesprochen, stark vom Rest des Films ab. Doch anders als the Red Room aus Twin Peaks ist dieser Ort kein virtueller, den man zwar auffinden kann, aber nicht in der Erzählung auflösen und trotzdem braucht. Dieser weiße Raum scheint nur in Sarahs Träumen zu existieren – oder hat sie ihn wirklich besucht? Wird er eventuell sogar von Aliens bewohnt?

Der Film versucht, das Abrutschen in paranoide Schizophrenie überzeugend darzustellen. Alison Brie, die auch schon in Glow (2017 — ) ihre neurotische Seite hat wunderbar ausspielen dürfen, gibt Sarah Tiefe, macht sie nahbar, ohne das verstörende an der Figur zu vernachlässigen. Löblich ist auch der Auftritt von Jay Duplass als Therapeut (er und sein Bruder haben den Film produziert, und gemeinsam mit Brie das Drehbuch geschrieben).

Problematisch ist jedoch, dass die Zuschauer*innen am Ende einigermaßen verwirrt aus dem Film herausgehen: Gibt es die Zeitsprünge wirklich (man muss auf einen nur für Sekunden sichtbaren Pferdehintern achten) und wird damit Bries Weltsicht bestätigt oder sehen wir wirklich nur noch ihre Sicht der Dinge? Perspektiven vermischen sich zunehmend, unmögliche Räume werden miteinander verbunden und durchwandert. Während andere Filme darauf zählen, die Sicherheit in der Welt für die Zuschauer*innen wiederherzustellen, verzichtet Horse Girl darauf. Dies hätte nur um einiges konsequenter geschehen müssen, ohne lose Enden (wie den genannten Pferdehintern) zu hinterlassen.

Horse Girl (2020)

Eigentlich führt Sarah, die in einem Kunsthandwerksladen arbeitet, nachts obskure TV-Shows mit übernatürlichen Verbrechen schaut und regelmäßig einen Reiterhof aufsucht, ein ruhiges und zurückgezogenes Leben. Doch dann geschieht etwas, das ihre Existenz auf den Kopf stellt.

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