Log Line

Die Generation Fridays for Future bestimmt die Schlagzeilen. Aus Frankreich kommt nun ein Spielfilm, der erzählt, wie aus einer jungen Konsumentin eine Konsumkritikerin wird, die sich gegen den Klimawandel stemmt.

Horizont (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Liebe und Solidarität

Abseits der pittoresk inszenierten Wohlfühlblasen all jener Filme, die im deutschen Verleihtitel gern ein „Madame“ oder „Monsieur“ tragen, gibt es in Frankreich noch ein anderes Kino. Die sozialen Spannungen gehen nicht unbemerkt an der Branche vorüber. Der Blick auf die Problemzone Banlieue ist im Kino nicht neu, inzwischen hat er sich auf andere Randbezirke ausgeweitet, etwa auf die abgehängte Arbeiterklasse und unhaltbaren Zustände in der Landwirtschaft. Regisseurin Émilie Carpentier verbindet deren Sphären, um klarzumachen, dass die tagtäglich gestellten Herausforderungen die Menschen nicht voneinander trennen, sondern gemeinsam angepackt werden sollten.

Die 18-jährige Adja (Tracy Gotoas) muss erst noch zu dieser Erkenntnis gelangen. Als wir ihr zum ersten Mal begegnen, tanzt sie kostümiert und ausgelassen mit ihrer besten Freundin Sabira (Youtube-Star Niia Hall) und einer Bekannten bei einer Cosplay-Veranstaltung in der großen Stadt. Auf dem Heimweg legen sich die drei jungen Frauen mit Arthur (Sylvain Le Gall) und Océane (Clémence Boisnard) an. Der Sohn eines Landwirts und die Aktivistin haben die Straße blockiert. Sie protestieren gegen die Enteignung seines Vaters Guillaume (Xavier Mathieu). Auf dessen Grund und Boden soll ein gigantisches Einkaufszentrum entstehen. Welten prallen aufeinander.

Was Émilie Carpentier in diesen ersten Filmminuten vorführt, ist ein uraltes Prinzip: Divide et impera — teile und herrsche. Adja und Arthur sind Kollegen. Beide machen eine Ausbildung in der Krankenpflege. Sie wohnt in der Banlieue, er auf einem Bauernhof. Reich ist weder die eine noch der andere. Doch all die Gemeinsamkeiten führen nicht dazu, dass sich Adja mit Arthur solidarisiert. Stattdessen verspottet sie ihn als Bauern. Wie originell! So sehr bewegt sie sich in ihrer eigenen Blase, dass sie nur die Unterschiede sieht, auf die sie konditioniert ist. 

Es ist eine Blase, die den darin Gefangenen vorgaukelt, mit ausreichend Talent, Ehrgeiz und Fleiß aus ihr ausbrechen zu können. Adjas Bruder Tawfik (Dembélé) hat es geschafft. Als Fußballer hat er sich bis in Frankreichs erste Liga emporgekickt. Bei seinem Debüt sitzt die halbe Nachbarschaft bei Adja auf dem Sofa und feuert den Lokalhelden an. Die Szene ist dicht inszeniert: vollgepackte Einstellungen, agile Kamerabewegungen. Wie Elin Kirschfinks Kamera überhaupt den gesamten Film über an den Figuren klebt und selbst bei Massenszenen unter freiem Himmel kaum Überblick über die Gemengelage gewährt. Adjas beste Freundin Sabira sucht ihr Heil derweil in den sozialen Medien. Als Influencerin hat sie zigtausend Follower. Wird es ihr Ticket nach oben? 

Dass Berühmtheit die einzige Währung zu sein scheint, die in der Banlieue als Zahlungsmittel akzeptiert wird, stellt niemand infrage. Was gehen Adja und Co. ein enteigneter Bauer an? Der geplante Konsumtempel verspricht Arbeitsplätze und eben das: Konsum als Ablenkung vom Alltag, selbst wenn man sich die feilgebotenen Produkte nicht leisten kann. Was gehen Adja und Co. der Klimawandel an, gegen den Arthur und sein Vater Guillaume sich mit ihrer Permakultur stemmen? Der scheint weit weg und die Randbezirke sowieso nie zu erreichen. Ein Videotelefonat mit ihrer Mutter öffnet Adja die Augen. Auf Heimatbesuch in Afrika schickt die Mutter Bilder von ihrem Geburtsort. Der steigende Meeresspiegel hat ihn beinahe verschluckt. 

Die Entwicklung von der auf oberflächlichen Konsum Getrimmten zu tiefliegenderen Problematiken Erkennenden vollzieht sich freilich nicht nur didaktisch. Das Herz spielt auch eine Rolle. Und die Liebesgeschichte zwischen Adja und Arthur ist ebenso dicht, dynamisch und von einem flotten Soundtrack getragen wie der Rest des Films. 

Horizont ist Carpentiers erster abendfüllender Spielfilm und ein sehenswertes, aber ausbaufähiges Debüt. Nicht jede Entscheidung in der Entwicklung ihrer Protagonistin ist nachvollziehbar. Die Einteilung der Welt in eindeutig voneinander abgrenzbare Lager ist allzu simpel. Und am Ende übertreibt es die Filmemacherin mit pathetisch-politischen Gesten arg. All das sind jedoch lässliche Sünden in einem Erstling, der nicht vergisst klarzumachen, dass seine Protagonistin mehr zu verlieren hat als viele der Protestierenden um sie herum. Ein Umstand, den wir aus unseren Wohlfühlblasen heraus leicht übersehen.

Horizont (2022)

Die 18-jährige Adja aus der Banlieue von Paris sehnt sich nach Abenteuer und Erfahrungen, sie will leben und Spaß haben, ohne an morgen zu denken. Adja sucht ihren eigenen Weg zwischen ihrer besten Freundin, einer Influencerin, die in den sozialen Netzwerken glänzt, und ihrem erfolgreichen großen Bruder, der Fußball spielt. Zuerst verspotten Adja und ihre beste Freundin Arthur und andere junge Leute, die sich für Klima und Umwelt einsetzen. Als sie Arthur näherkommt, versteht sie dessen Beweggründe plötzlich immer mehr und wird seine Mitstreiterin im Kampf gegen den Beton. Adja erlebt eine intensive Zeit, der Kampf für eine nachhaltigere Welt stellt ihr Denken auf den Kopf und bringt sie dazu, an der Seite der Fridays For Future-Bewegung Risiken einzugehen. (Quelle: Arsenal Filmverleih)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen