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Die Diagnose einer unheilbaren Krebserkrankung kommt immer zur Unzeit. Aber dass sie ihr das weihnachtliche Familienfest zerstört, will die Heldin dieses norwegischen Dramas nicht zulassen. Schritt für Schritt ringt sie um Orientierung, während die Zeit davonläuft und ihre Partnerschaft kriselt.

Hope (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Vom Schicksal wachgerüttelt

Die Kinder schmücken den Weihnachtsbaum, der Hausherr (Stellan Skarsgård) bietet Glühwein an, der Vater (Einar Økland) ist angereist. Einen Tag vor Heiligabend scheint die Welt für Anja (Andrea Bræin Hovig) und ihre Familie in Ordnung zu sein. Vor einem Jahr hatte sie das Fest mit Lungenkrebs in einer Klinik verbracht, ihn aber inzwischen überwunden. Doch Anja ist angespannt und gereizt, und außer ihrem Lebenspartner Tomas weiß niemand, weshalb. Sie will den anderen noch nicht sagen, dass sie gerade eine niederschmetternde Diagnose bekommen hat: In ihrem Kopf wächst ein Tumor, die Heilungschancen sind vermutlich verschwindend gering.  

Das Drama, das die norwegische Regisseurin Maria Sødahl (Limbo) inszeniert hat, beginnt mit dem Text: „Dies ist meine Geschichte, wie ich sie in Erinnerung habe.“ Sødahl hatte vor einigen Jahren die Diagnose Krebs im Endstadium erhalten. Fiktion und erlebte Realität mischen sich zu einer bewegenden, sehr authentisch und reif wirkenden Geschichte, in der die Diagnose die eingeschlafene Beziehung der Hauptfigur Anja und ihres Partners gründlich durchrüttelt. 

Zu den professionellen Schauspieler*innen gesellen sich auch Amateure, beispielsweise in Gestalt echten medizinischen Personals. Zwischen der ersten Diagnose vor Heiligabend bis zur eilig angesetzten Operation am 2. Januar laufen sich Anja und Tomas die Füße wund, kontaktieren Mediziner*innen, suchen händeringend Beratung, wie sie das Gehörte den sechs Kindern ihrer Patchworkfamilie beibringen sollen. Die Fachleute sind sich nämlich rasch ziemlich einig, dass Anja nur noch drei Monate Lebenszeit bleiben könnten. Ob Anja die Kopfoperation überstehen wird, zu der sie sich entschließt, bleibt in der Schwebe – schließlich handelt der ganze Film davon, wie das Paar mit der Krise, der Todesnähe umgeht und dabei wichtige Weichen stellt. 

Der eingeblendete Countdown der Tage zwischen Weihnachten und Neujahr gibt dem ganzen Drama einen straffen Rhythmus vor, der die Spannung durchgehend hochhält. Anja wird bewusst, dass sie und Tomas schon lange nicht mehr das liebende Paar sind, das den Kindern zeigen könnte, wie eine solche Krise gemeinsam durchschritten werden kann. Anja und Tomas sind beide künstlerisch tätig, sie hat gerade ein Tanzstück im Ausland auf die Bühne gebracht, er ist als Theaterdirektor mit anderen Projekten beschäftigt, nimmt den Laptop sogar ins Bett mit. Nun sagt ihm Anja offen und nachdrücklich, dass sie ihn braucht. Die eigene Beziehung, die Lauferei zu den Ärzt*innen, welche zum Teil mit einer schwer zu ertragenden Nüchternheit zur Sache kommen, die Festtage halten Anja und Tomas in Atem. Mit Steroiden vollgepumpt, gerät Anja, die nicht mehr schlafen kann und der ständig übel ist, in einen seelischen Ausnahmezustand. 

Anja und Tomas weihen die Familie nach anfänglichem Zögern ein. Die Feiertage, das Kommen und Gehen der teils erwachsenen Kinder, die Momente, die Anja mit ihren leiblichen Kindern hat, die jünger sind und noch mehr Zuspruch brauchen, der Besuch bei Freunden gestalten sich wie ein Experiment. Alles scheint im Fluss, die Zeit ist begrenzt und schärft die Wahrnehmung. Diese organische, tastende Dynamik, deren Anker das weihnachtliche Wohnzimmer ist, entwickelt eine eindrückliche Stimmung, die vielleicht noch am ehesten an Jonathan Demmes Rachels Hochzeit denken lässt. 

Anja und der ältere, zunächst in sich gekehrt und etwas grau wirkende Tomas machen als Paar eine Entwicklung durch, die einen zunehmend in Bann schlägt. Sie bleiben zwar einerseits bis zuletzt das pragmatische, etwas kühl wirkende norwegische Paar, das sie zu Anfang darstellen, aber andererseits lernen sie sich mit ungeahnter Intensität, auf einer emotionalen Achterbahnfahrt, neu kennen. Es gibt Szenen, in denen sich das Spiel von Stellan Skarsgård und Andrea Bræin Hovig in atemberaubende Höhen aufschwingt. Dazu zählen der Blickkontakt des rasch noch heiratenden Paares in der Kirche – unsicher, fragend, von allen Schutzhüllen befreit — , und der Tanz auf der anschließenden Feier. Sødahl ist ein wunderbarer Film gelungen, der aufrichtig und sehr lebendig wirkt, ohne je auf die Tränendrüse zu drücken.

Hope (2019)

Als bei Anja ein Hirntumor diagnostiziert wird, bricht der Alltag ihrer Patchwork-Familie zusammen. Die erkaltete Liebesbeziehung zwischen ihr und ihrem Partner Tomas ist mit dem Jetzt konfrontiert.

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