Höhere Gewalt

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Mittwoch, 20. November 2013, hr-fernsehen, 23:15 Uhr

Dass mehr oder weniger feste Gruppen von Jugendlichen, die gemeinsam ihre Freizeit miteinander verbringen – also zusammen „abhängen“ – nicht immer hehre Freundschaft verbindet, ist eine geläufige Cliquen-Weisheit. Man trifft sich aus Langeweile, zur Selbstbehauptung, um zu trinken, was einzuwerfen oder zu rauchen, weil Paarungen stattfinden und jeder gerade im Grunde gern mehr vertrautes Publikum verträgt, als eine Zweierbeziehung so hergibt, und rasch pendeln sich Rollen und Ränge ein, die dieses Spiel in und mit der Clique gleichermaßen spannend und dann doch wieder öde geraten lassen. In Lars Henning Jungs Debüt Höhere Gewalt, mit dem er sein Diplom im Fach Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg abschloss und das im Januar 2008 im Wettbewerb des Filmfestivals Max Ophüls Preis in Saarbrücken uraufgeführt und dort mit dem Preis der Schülerjury sowie für Alice Dwyer als Beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde, wird es sogar mordsgefährlich.
Bald wird ihr Weg wohl nicht mehr wie gewohnt häufig zusammentreffen, und so beschließt die Clique um Strecker (Vinzenz Kiefer), der bis vor kurzem noch mit Jasmin (Anna Bertheau) liiert war, deren kleine Schwester Maike (Alice Dwyer) auch mit von der Partie ist, eine Art Abschiedswochenende in einem Häuschen auf dem Lande zu verbringen. Betz (Tobias Schenke), der Komiker der Truppe, liebäugelt derweil derbe mit Maike, Strecker steigt notgedrungen auf die biedere Steffi (Natalie Spinell) um und Jasmin angelt sich den schrägen Sören (Christian Polito), der im Zuge ihrer demonstrativen Zuwendung dann auch mal dran ist. Bereits bei der Abfahrt kann die Atmosphäre nur besser werden, denn was als Highlight anberaumt wurde, lässt sich an wie eine lästige Pflichtveranstaltung. Doch das Wochenende ist nicht nur lang, sondern auch ereignisreich und wächst sich regelrecht zu einem diabolischen Höllentrip aus, während dessen jeder einzelne und die Gruppe als Ganzes bösartig zur Höchstform aufläuft, bis sich unauslotbare Gewalt ereignet …

Einem Bühnenstück gleich mit einem überschaubaren Ensemble auf eng begrenztem Raum und einer unmittelbaren Verortung der Geschichte im Hier und Jetzt richtet der Regisseur seine Konzentration komplett auf die Interaktionen seiner erstaunlich unbefangen und authentisch auftretenden Akteure, treibt ihre Ansätze und Attacken auf dynamische Art voran in die unvermeidliche Eskalation, die er geschickt vorbereitet, gnadenlos vorantreibt und letztlich konsequent zu einem bitteren, aufwühlenden Ende führt. Dabei ist in einigen Momenten eine Wende mit akzeptablem Schrecken durchaus möglich, wahrscheinlich, wünschenswert, und alle könnten angeschlagen, aber gesund zurückkehren und die Cliquen-Phase retrospektiv als mal nettes, mal nerviges und wohl notwendiges Erfahrungsintermezzo ihrer Jugend betrachten. Doch Lars Henning Jung will die Geschichte seines Erstlings offensichtlich bis an die Grenze und darüber hinaus stoßen, vermeidet tapfer gefällige Kompromisse und konfrontiert sein Publikum nicht nur mit Herzblut, sondern hat sich für eine Erschütterung entschieden, die das brutale Potenzial der Adoleszenz heftig auflodern lässt.

Höhere Gewalt

Dass mehr oder weniger feste Gruppen von Jugendlichen, die gemeinsam ihre Freizeit miteinander verbringen – also zusammen „abhängen“ – nicht immer hehre Freundschaft verbindet, ist eine geläufige Cliquen-Weisheit. Man trifft sich aus Langeweile, zur Selbstbehauptung, um zu trinken, was einzuwerfen oder zu rauchen, weil Paarungen stattfinden und jeder gerade im Grunde gern mehr vertrautes Publikum verträgt, als eine Zweierbeziehung so hergibt, und rasch pendeln sich Rollen und Ränge ein, die dieses Spiel in und mit der Clique gleichermaßen spannend und dann doch wieder öde geraten lassen.
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