Hockney

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Die Zeit der Bilder

Moderne Kunst ist vielleicht umso schwieriger zu verstehen, je zugänglicher sie erscheint. Der biographische Dokumentarfilm Hockney über den gleichnamigen angloamerikanischen Maler vermittelt genau diesen Eindruck. Doch deshalb bleibt niemand ratlos zurück. Stattdessen stellt sich auch beim Amateur die Empfindung ein, plötzlich einen anderen, schärferen Blick für Bilder zu besitzen. Es dauert eine gewisse Zeit, dessen inne zu werden. So etwas zu bewirken, mag selbst für ein kleines Kunstwerk sprechen.
„A Bigger Splash“ heißt ein typisches Gemälde von David Hockney. Unter unendlich blauem Himmel, Palmen und einer unsichtbaren Sonne, wahrscheinlich die kalifornische, brütet ein großer Swimmingpool, der irgendwie steril aussieht. Obwohl gerade jemand hineingesprungen ist. Wer (oder was) ist nicht zu sehen. In der Luft hängen Wasserspritzer. In den 1970er und 1980er Jahren hingen Drucke dieses Werks in den Wartezimmern betuchter Zahnärzte, auf dass Menschen mit Wurzelentzündungen sich den dröhnenden Kopf über so viel raffinierte, seltsam geheimnisvolle Banalität zerbrechen durften.

Jahrzehnte später umkreist Regisseur Russel Wright in Hockney auch dieses Bild. Der Anfang des Films ist pointilistisch: Zeitzeugen benennen im Interview diese und jene skurrile Seite des 1937 in Bradford, Yorkshire geborenen Künstlers aus der Arbeiterklasse, dessen gefärbtes blondes Haar und schwarz gerahmte Wagenräder-Brille zum Markenzeichen wurde. Mit noch mehr Zeitzeugen, Filmaufnahmen und Polaroids, nicht selten von ihm selbst angefertigt, geht es in kleinen, von Aphorismen gesäumten Kapiteln hinein in Hockneys Bohème-Existenz aus schrillen Outfits, schrägen Bildern, freimütig bekennender Homosexualität und narzisstischem Stilwillen. Wie eine allzu bunte Anekdotensammlung wirkt das. Auch Hockneys erster Kommentar zu „A Bigger Splash“ ist unbefriedigend.

Aber dann bricht das letzte Drittel des Films an. In einer alten Videoaufnahme philosophiert Hockney, dass Malerei Zeit braucht, in der Schöpfung wie in der Betrachtung, und mit Lebenszeit angefüllt ist, die sie den mechanischen Sekundenbruchteilbildern der audiovisuellen Medien so überlegen macht. Wie um dem Zuschauer unter diesem Gesichtspunkt eine zweite Chance zu geben, kehren die zu Anfang nur kurz gezeigten Bilder wieder.

Am Wasser-Motiv erläutert Hockney, wie er sich von einer stark stilisierenden Malweise über die Ausdeutung dieses Elements durch Benutzung anderer Materialien zu dem scheinbar photorealistischen „A Bigger Splash“ vorgearbeitet und sieben Tage an einem Wasserspritzer gemalt hat, um spannungsvoll den Sekundenbruchteil auf der Leinwand mit Ewigkeit aufzuladen. Die Kamera rückt so nahe an den Wasserspritzer heran, dass sich das Wunder großer Malerei auftut: die Dinge verlieren ihre feste Bedeutung an die Vieldeutigkeit der reinen Form. Diese erscheint plötzlich nicht nur als unheimlicher Kern von Hockneys Kunst, sondern auch seiner schillernden Persönlichkeit und des kaleidoskophaften Porträts über ihn.

Hockney

Moderne Kunst ist vielleicht umso schwieriger zu verstehen, je zugänglicher sie erscheint. Der biographische Dokumentarfilm „Hockney“ über den gleichnamigen angloamerikanischen Maler vermittelt genau diesen Eindruck. Doch deshalb bleibt niemand ratlos zurück.
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