Hitchcock/Truffaut

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Bilder/Buch-Kino

Zwei Ziegen fressen die Rollen eines Films, der auf einem Bestseller basiert. Sagt die eine zu der anderen: „Das Buch war mir lieber“. Genau diesen Witz erzählte Alfred Hitchcock seinem Kollegen François Truffaut, als sie für dessen Interview-Buch Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? über die Literaturverfilmung Rebecca sprechen. Die Kernaussage: Jede Adaption muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie überhaupt eine Daseinsberechtigung besitzt. Geht beim Übergang nicht unweigerlich das Wesen des Originals verloren? Mit dem Dokumentarfilm Hitchcock/Truffaut hat Kent Jones nun Truffauts Buch adaptiert, erzählt gleichzeitig aber auch die Geschichte seiner Entstehung nach. Auch er muss sich die Frage gefallen lassen: Wozu?
Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? zählt zu den wenigen wirklich essenziellen Texten für Regisseure und Cineasten. Das aus tagelangen Gesprächen zusammengetragene Interview ist ein filmjournalistisches Meisterstück, über das im französischen Filmjournal L’Aurore nicht zu Unrecht geschrieben wurde, es ersetze vier Semester Filmhochschule. Auf anschauliche und unterhaltsame Weise durchstreifen die beiden Gesprächspartner Hitchcocks Laufbahn, Film für Film. Nahezu das gesamte Werk wird kritisch beäugt, analysiert und mit unterhaltsamen Anekdoten kommentiert. Zur Zeit des Gesprächs war Truffaut gerade einmal 30 Jahre alt, in Hitchcock hatte er fast so etwas wie eine Vaterfigur gefunden. Vor allem die Dynamik zwischen dem jungen Franzosen und dem erfahrenen Briten ist es, die immer neue Blickwinkel eröffnet und faszinierende Erkenntnisse über Hitchcocks Filme im Speziellen und das Kino im Allgemeinen hervorbringt.

Der Master of Suspense berichtet mehrfach von seinen Bemühungen, „Ideen in einer rein visuellen Form darzustellen“. Darin läge wohl die Daseinsberechtigung einer Verfilmung: Die Dialogzeilen des Buchs Hitchcock-gerecht in Bilder zu verwandeln. Doch leider lässt Jones‘ Visualisierung der Ideen in vielen Fällen zu wünschen übrig. Er greift auf sehr klassische Dokumentar-Mittel zurück: Abgefilmte Interviewpartner, Standbilder, Archivmaterial, Trailer und kurze Filmausschnitte. Natürlich ist es nett, parallel zu den Diskussionen über eine bestimmte Einstellung eben diese auch gezeigt zu bekommen – ähnlich funktionieren gelungene Audiokommentare oder so manche Filmvorlesung seit Jahren. Doch oft belässt es Jones dabei und führt die Gedanken nicht weiter aus. Er bietet lediglich ein Echo der Dialoge und kreiert dadurch genau das, was Hitchcock immer kritisierte: Seine Bilder wirken wie ein erst im Nachhinein gefasster Gedanke. In seinen schlimmsten Momenten ist Hitchcock/Truffaut ein illustriertes Sachbuch.

Neben Jones selbst weiten auch große Figuren des internationalen Kinos wie Martin Scorsese, Wes Anderson, David Fincher, Olivier Assayas oder Kiyoshi Kurosawa den Dialog zu einer regelrechten Gesprächsrunde aus. Vor allem Fincher und Scorsese ist ihre Begeisterung merklich anzusehen. Zunächst geht es darum, die Bedeutung der Vorlage klar zu machen: Genau wie Truffaut sich mit dem Interview 1962 vorgenommen hatte, Hitchcocks Status als ernstzunehmender Auteur öffentlich zu verbreiten, versucht Jones nun fünfzig Jahre später, die große Wirkung des Buchs darzulegen. Diese Teile des Films sind eher schwach und uninteressant geraten, sie wirken wie die Art Making-of, in der unaufhörlich von der guten Zusammenarbeit am Set geschwärmt wird. Zumal hier ohnehin einfach Eulen nach Athen getragen werden: Ein großer Teil der Zielgruppe von Hitchcock/Truffaut wird mit dem Original bereits vertraut sein, für alle Uneingeweihten ist das Buch selbst empfehlenswerter. Vertigo belegt den ersten Platz der Sight & Sound-Bestenliste. Für die Akzeptanz Hitchcocks als großer Künstler zu kämpfen, ist heute keine Herausforderung mehr.

Manche Filme und Überzeugungen Hitchcocks werden sehr ausführlich diskutiert: Psycho und Vertigo stehen klar im Mittelpunkt der Betrachtung, Hitchcocks Haltung zu Logik im Kino („langweilig“) und Fetischismus werden ebenso erläutert wie das Konzept der Auteur-Theorie selbst. Andere bekannte Ideen werden hingegen gar nicht angesprochen, wie etwa der Unterschied zwischen Suspense und Suprise oder der berüchtigte MacGuffin. Manchmal geraten die Übergänge zwischen den Themenfeldern etwas sprunghaft, nicht immer erscheint ihre Auswahl einleuchtend: Natürlich kann nicht jedes Detail übertragen werden, doch ein erkennbarer roter Faden oder eine Leitfrage hätten sicher nicht geschadet. Das Kapitel, in dem Hitch erklärt, wieso er niemals Dostojewskis Schuld und Sühne verfilmen würde, hätte Jones etwas gründlicher lesen können…

Gewinnbringender sind die Versuche des Dokumentarfilms, Leerstellen im Text aufzuzeigen und vielleicht sogar zu schließen. Die Ausführungen über den Einfluss des Katholizismus auf Hitchcocks Werk sind durchaus interessant und schlüssig argumentiert. Auch wie die Beziehung zwischen den beiden Regisseuren geschildert wird, hat etwas sehr rührendes. „Das Rechteck der Leinwand muß mit Emotionen aufgeladen sein“, heißt es im Text – in manchen Momenten gelingt dies sogar.

Hitchcock/Truffaut ist daher eine nette, kurzweilige Fortführung des grandiosen Buchs und hat als solche durchaus eine Daseinsberechtigung. Ein direkter Vergleich erübrigt sich natürlich, aber das wäre ja auch nicht der Sinn der Sache. Der Dokumentarfilm bietet geneigten Cineasten einen wohlklingenden Wiederhall des ursprünglichen Appells für das Kino, unterhaltsamer als das mittelmäßige Biopic Hitchcock ist er allemal. Auch wenn es einiges zu meckern gibt, besteht kein Grund, den Film an die Ziegen zu verfüttern. Zumal die Festplatten des digitalen Zeitalters ihnen wohl schwer im Magen liegen würden.

Hitchcock/Truffaut

Zwei Ziegen fressen die Rollen eines Films, der auf einem Bestseller basiert. Sagt die eine zu der anderen: „Das Buch war mir lieber“. Genau diesen Witz erzählte Alfred Hitchcock seinem Kollegen François Truffaut, als sie für dessen Interview-Buch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ über die Literaturverfilmung „Rebecca“ sprechen. Die Kernaussage: Jede Adaption muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie überhaupt eine Daseinsberechtigung besitzt.
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