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In der Miniserie „Halston“ verkörpert Ewan McGregor den titelgebenden US-Modedesigner, der ein Leben zwischen Ruhm, Sex, Drogen und ausufernder Kreativität führte.

Halston (Miniserie, 2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Cocaine & Cigarettes

„Ich war brillant – die sind die Dummerchen!“ Na, das ist doch mal eine Einstellung. Als der Modedesigner Roy Halston Frowick, genannt Halston, seine erste Linie als hauseigener Couturier des New Yorker Luxuskaufhauses Bergdorf Goodman präsentiert, fällt die Resonanz ziemlich verhalten aus. Die Damen und Herren an der Fifth Avenue hätten die Kleider einfach „nicht verstanden“, befindet Halston – und macht weiter, auf eigene Faust.

Bei oberflächlicher Betrachtung lässt sich die Biografie Halstons, wie die Werdegänge etlicher bekannter Persönlichkeiten, als Geschichte über Aufstieg und Fall lesen. Dabei ist das Konzept von Aufstieg und Fall der absolute Blödsinn, lebensfern und -feindlich. Und genau das lässt uns die Miniserie Halston, die auf Steven Gaines’ Sachbuch Simply Halston basiert, immer wieder erkennen. „Halstons Aufstieg“ heißt die erste Folge; mit dem Titel „Die Party ist vorbei“ wird in der vierten, vorletzten Folge die Dämmerung eingeleitet. Aber so simpel ist es dankenswerterweise nicht. Vielmehr zeigt uns Halston ein ständiges Auf und Ab.

Vom erfreuten „Gott segne Jackie Kennedy!“, nachdem die stilbewusste Präsidentengattin Halston mit dem Tragen des von ihm entworfenen Pillbox-Hutes Anfang der 1960er Jahre schlagartig berühmt gemacht hat, bis zum ernüchterten „Scheiß auf Jackie Kennedy!“, nachdem diese es gewagt hat, plötzlich keine Hüte mehr zu tragen, ist es nur ein einziger Schnitt, zwischen dem mehr als eine halbe Dekade vergangen ist. Ein andermal liegt zwischen Pech und neuem Glück ein komplett performter Song: „Liza with a Z“. Und wieder ein anderes Mal folgt auf das große, bittere Scheitern ein derart befreites Lachen, dass sämtliche Ideen von Erfolg und Misserfolg mal eben ad absurdum geführt werden.

Als Biopic im circa fünfstündigen Miniserienformat erzählt uns Halston vom Leben und Werk seiner Titelfigur. Der Regisseur Daniel Minahan hat schon Episoden zu zahlreichen hochwertigen Serien, von Six Feet Under über Game of Thrones bis hin zu Ratched, inszeniert; zum Produktions- und Drehbuch-Team zählt Ryan Murphy, für den die Bezeichnung „effizient“ in Anbetracht seines Outputs an TV- und Streaming-Projekten wie eine lächerliche Untertreibung klingt. Man könnte vermuten, dass aus Halston unter diesen Bedingungen – modisch gesprochen – nicht unbedingt eine Maßanfertigung wird, sondern eher ordentlich aussehende Stangenware. In visueller Hinsicht mag dies auch zutreffen, in vielen anderen Punkten hingegen nicht.

Das ist zunächst einmal Hauptdarsteller Ewan McGregor zu verdanken. Als spitzzüngiger, dauerqualmender und alsbald schwer drogenabhängiger Künstler findet McGregor exakt die richtige Balance aus Übertreibung und Würde, um in keiner Sekunde zur Karikatur zu werden. Wenn wir lachen, lachen wir nie über Halston, sondern über dessen Witz, Charme und erfrischende Chuzpe. „Ich verwirre die Leute“, stellt der Designer an einer Stelle fest – und das gelingt auch McGregor. Immer wieder überraschen seine Reaktionen. Da ist Härte, wenn wir den Zusammenbruch erwarten. Zartheit, wenn wir mit Bosheit rechnen. Und vor allem: verblüffende Stärke, wenn wir diese schon für längt aufgebraucht hielten. Es wird gekokst und gevögelt, gezickt und gestritten, aber der wilde, allmählich außer Kontrolle geratende Exzess im legendären Studio 54, im Schlafzimmer oder auch am Arbeitsplatz wird weder verteufelt noch glorifiziert. Er ist eine Facette. Und McGregor liefert uns erfreulich viele.

Eine One-Man-Show ist Halston allerdings nicht – und auch das ist ein Glücksfall. Denn da ist zum Beispiel Krysta Rodriguez als Liza Minnelli. Die demonstriert uns, dass man eine Ikone am besten verkörpert, indem man sie nicht kopiert, sondern eine ganz eigene Interpretation erarbeitet. Jede Szene zwischen Halston und Liza ist schlicht und ergreifend wunderschön. Es gibt nur wenige Filme und Serien, die es schaffen, so klischeefrei die freundschaftliche Liebe zwischen einem schwulen Mann und einer heterosexuellen Frau einzufangen. Den Mann fürs Leben hat Halston wohl leider nie gefunden. Der vernünftige Ed (Sullivan Jones), der zu seinem Boutique-Manager wird, ist es nicht. Und der Sex-Worker und spätere Dekorateur Victor Hugo (Gian Franco Rodriguez), mit dem Halston eine überwiegend destruktive Beziehung führt, ist es gewiss auch nicht. Aber mit Liza hatte Halston fraglos eine Lebensliebe – jedes Lachen zwischen ihnen, jeder Blickwechsel, einfach alles zeugt davon.

Und auch das übrige Umfeld, darunter der Illustrator Joe Eula (David Pittu) und die modelnde Schmuckdesignerin Elsa Peretti (Rebecca Dayan), verkommt nicht zur Staffage. Interessanterweise hat Halston – obwohl die Miniserie auf Netflix von vielen sicher als mehrstündiges Werk weggebinget wird – durchaus eine episodenhafte Struktur, mit bemerkenswerten Episodenrollen. Von einigen hätten wir gern noch mehr gesehen. Kann etwa Rory Culkin als Joel Schumacher – späterer Kultregisseur, der hier seine ersten Schritte im Modebusiness macht und über seine Drogensucht stolpert – bitte eine eigene Serie bekommen? Und können Mary Beth Peil (hier als Choreografin Martha Graham) und Kelly Bishop (herrlich als Society-Lady und Journalistin Eleanor Lambert) bitte viel, viel häufiger in Produktionen besetzt werden? Wie es sich für eine gute Serie gehört, bietet Halston eine Fülle an spannenden Figuren. Und mit allen tritt der Titelheld in Beziehungen, die oft in wenigen Minuten sehr einnehmend entfaltet werden. Manche Personen verschwinden allzu schnell wieder aus Halstons Leben. Andere bleiben länger, als es allen Beteiligten guttut. Und manche, wenige, bleiben für immer.

Am Ende wird Halston sein Unternehmen und seinen Namen verloren haben. Von Krankheit gezeichnet, weiß er, dass er bald sterben wird. Er lässt sich an der Westküste herumfahren. Das war er dann wohl, der Fall, oder? Ein gescheiterter, unglücklicher Mann? Wer das beim Anblick von Halston denkt, der aus dem Autofenster blickt und über die Höhen und Tiefen seines Lebens nachdenkt, muss wirklich ein Dummerchen sein…

Halston (Miniserie, 2021)

„Halston“ mit Ewan McGregor in der Hauptrolle ist die bisher unbekannte Geschichte über den kometenhaften Aufstieg und Fall des ersten US-amerikanischen Stardesigners. Er erschuf ein Imperium und prägte eine ganze Ära. Doch dann geriet sein Leben außer Kontrolle.

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Meinungen

Michael · 14.03.2022

Ich war von der schauspielerischen Brillianz vor allem von Krysta Rodriguez begeistert. Sie hätte wirklich die echte Minelli sein können. Ihr Chanson am Anfang - großartig. Generell aber ist die Serie schauspielerisch auf sehr, sehr hohem Niveau und weit davon entfernt, Mainstream-Popcorn zu sein. Ein glauwürdiges Eintauchen in die 70/80er Jahre. Eine Serie, die ich so schnell nicht vergessen werde!

Hans im Glück · 31.01.2022

Eine stabile Serie.
Etwas wirklich tolles, neues, besonderes fehlt aber und so ist die Serie genauso schnell wieder vergessen wie gesehen.