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In seinem beklemmenden und klaustrophobischen Gefängnisdrama „Große Freiheit“ erzählt Sebastian Meise von der gebrochenen Biographie eines schwulen Mannes, der vom Dritten Reich bis in die Bundesrepublik wegen seiner sexuellen Orientierung immer wieder ins Gefängnis muss.

Große Freiheit (2021)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Liebe hinter Gittern

Lange hat es gedauert, bis der berüchtigte §175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde — bis 1994, um genau zu sein. Zuvor hatte der Paragraph, der seit dem Jahre 1872 bestand, über viel Jahrzehnte unendlich viel leid angerichtet: in ihm wurden die sexuellen Handlungen zwischen Männern unter Strafe gestellt, ab 1935 auch die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“. Die Bundesrepublik Deutschland hielt bis 1969 an der ursprünglichen Fassung des Gesetzes fest, dann folgt eine erste und 1973 eine zweite Reform und erst im Zuge der Wiedervereinigung die Abschaffung. 

Sebastian Meises oftmals fast dokumentarisch anmutendes und überaus beklemmendes Drama Große Freiheit schildert anhand des Schicksals und der Freundschaft zweier Männer das unermessliche Leid, das dieser Paragraph für die von ihm Betroffenen bedeutete. Als Lohn für die Tour de Force geht der Film nun als österreichische Einreichung für den Academy Award als bester nicht-englischsprachiger Film ins Rennen. Doch ganz unabhängig davon, ob das Werk in Hollywood eine Trophäe entgegennehmen kann — gewonnen hat es auf jeden Fall schon jetzt. Und das liegt nicht allein daran, dass Große Freiheit bei seiner Premiere in Cannes in der Reihe Un Certain Regard den Preis der Jury entgegennehmen konnte. 

Der Film beginnt mit offenbar heimlich aufgenommenen Super8-Aufnahmen von öffentlichen Toiletten, wo sich Männer für schnellen Sex treffen. Damals allerdings, als der Film einsetzt, im Jahre 1968, steht darauf noch Gefängnis — und so landet einer der Männer, den wir dort anfangs sehen, im Knast — wieder einmal. Denn wie wir bald erfahren, ist das Leben von Hans (Franz Rogowski) durchzogen oder vielmehr durchbrochen von etlichen Gefängnisaufenthalten, die allesamt auf jeden unglückseligen Paragraphen 175 zurückgehen. Und — auch das zeigt der Film — er ist einer jener Männer, die quasi bruchlos und ohne Übergang von den KZs des Nazis in die Haftanstalten der Besatzungszeit und der noch jungen Bundesrepublik verschoben wurde. Es ist die Kontinuität eines fürchterlichen Unrechts, das an Menschen wie Hans und vielen anderen vollzogen wurde. 

Im Wesentlichen vollzieht sich Große Freiheit in verschiedenen Gefängnissen und auf drei Zeitebenen: Dem Jahr 1945, 1957 und 1968, kurz vor der ersten Reform des §175. Letzten Endes erstaunt dabei vor allem, wie sehr sich die Orte und Innenräume in all ihrer grauen Tristesse ähneln. Denn auch wenn sich die Uniformen geringfügig voneinander unterscheiden, wenn eine Diktatur von einer Demokratie abgelöst wird — das Unrecht gegenüber den Homosexuellen und damit die verzweifelte Lage von Hans und seinen Mitleidensgenossen bleiben stets die gleichen.  

Dass sich doch etwas verändert, das ist vor allem an dem verurteilten Mörder Viktor (Georg Friedrich) zu merken, dem Hans immer wieder im Knast begegnet. Anfangs lehnt der schroffe Mann jeglichen Kontakt zu diesem „175-er“ brüsk ab, doch mit der Zeit entwickelt er nicht nur Verständnis für Hans, der einfach nicht gegen seine Wünsche und sein sexuelles Verlangen leben will, sondern es kommt sogar zu einer Freundschaft über alle Vorurteile und Schranken hinaus, die ihren Ausdruck schließlich in Viktors recht unbeholfenen Versuchen mündet, Hans’ tätowierte KZ-Häftlingsnummer durch ein anderes Bild auf der Haut zu überdecken. Doch auch wenn dieser Versuch nicht recht ansehnlich gerät, erweist sich die langsam sich entwickelnde Freundschaft am Ende als beständiger als die Liebesaffären und Beziehungen von Hans, von denen vor allem die zu Oskar (Thomas Prenn) tragisch endet.

Und so endet der Film dann tatsächlich am Ende mit der Einlösung jenes Versprechens, das der Titel suggeriert. Doch selbst da lässt einen das Gefühl nicht los, dass Hans den permanenten Wechsel zwischen kurzen Phasen der Freiheit und längeren der Inhaftierung so sehr gewohnt ist, dass ihm die Freiheit nach der Reform des Paragraphen völlig unwirklich erscheint. 

Große Freiheit ist ein emotional wuchtiges Drama über ein enorm wichtiges Thema, das bis heute noch nur unzureichend aufgearbeitet wurde. Erst 2017 beschloss die Bundesregierung, den Opfern des Paragraphen 175 eine Entschädigung zukommen zu lassen. Viele der Betroffenen haben dieses Wiedergutmachung nicht mehr erlebt. Vor allem ihnen verschafft der Film Gehör und ein Gesicht. 

Große Freiheit (2021)

Hans liebt Männer. Das ist auch im Nachkriegsdeutschland ein Verbrechen, der berüchtigte §175 ist weiter in Kraft. Im Gefängnis trifft Hans, der Wiederholungstäter, auf Viktor, einen verurteilten Mörder. Aus anfänglicher Abneigung entwickelt sich im Laufe der Jahre eine intensive Verbindung voller Respekt und Empathie. Vielleicht sogar so etwas wie Liebe?

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