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Ein Österreicher in Griechenland: Was wie eine unangenehme Culture-Clash-Komödie wirken könnte, wird durch ein gut aufgelegtes Ensemble zu einer überraschend emotionalen Geschichte eines Mannes, der mehr als 20 Jahre später als üblich eine Coming-of-Age-Erfahrung durchlebt.

Griechenland oder der laufende Huhn (2023)

Eine Filmkritik von Arne Lehrke

Griechisches Weinen

In seinen späten 30ern ist Johannes (Thomas Stipsits) immer noch nicht besonders selbstständig. Unter den Fittichen seiner Eltern hat er in deren Wiener Hotel wenig Verantwortung und wird nicht mal dieser gerecht. Seine Helikoptermutter Christine (Mona Seefried) stört gar per überraschendem Einstieg über die Balkontür das Stelldichein mit Johannes’ Verlobter Julia (Katharina Straßer), die ebenfalls im Hotel arbeitet und endlich mehr Unabhängigkeit von ihrem zukünftigen Ehemann erwartet. Johannes versucht sich unbeholfen für sich selbst einzusetzen, verzieht sich letzten Endes aber trotzdem lieber in einen ruhigen Raum voller Gitarren und lässt seine Emotionen zur Musik raus.

Als die Mutter überraschend Post aus Griechenland bekommt und sich herausstellt, dass Johannes’ biologischer Vater eigentlich seit Jahrzehnten als Hippie in Griechenland gelebt und kürzlich verstorben ist, nutzt er die Gunst der Stunde und macht sich kurzerhand auf, sich vor Ort einen Eindruck von seinem Vater und der Erbschaft zu machen und dessen letzten Wunsch zu erfüllen: Seine Asche soll im Meer verstreut werden. Lediglich einen Zettel lässt Johannes zurück: “Hab genug von euren Lügen, bin in Griechenland.”

Was folgen könnte, wäre ein unangenehmes Hangeln von Kalauer zu Kalauer. Das unbeholfene Muttersöhnchen aus Österreich, das auf stereotype Einheimische trifft und das erste Mal frischen Feta serviert bekommt und Sirtaki tanzt. Stattdessen flüchtet Johannes vor den elterlichen Lügen, nur um in Griechenland angekommen in den nächsten für ihn unsichtbaren Kampf voller Lügen zu stolpern, denn vor Ort haben mehrere Parteien ein Interesse an dem Stück Land, das Hauptbestandteil der Erbschaft ist. Doch Johannes hat genug.

Mit teilweise deftigem Humor im Sinne des österreichischen Kinos führen die Regisseurinnen Claudia Jüptner-Jonstorff und Eva Spreitzhofer durch ein menschliches Drehbuch von Claudia Kottal, Katharina Straßer, Erwin Steinhauer und Hauptdarsteller Stipsits selbst, der eine Zeit lang auf der wunderschönen griechischen Insel Karpathos lebte – dem heimlichen zweiten Hauptdarsteller des Films. Und selbst wenn man die Witze teilweise vorausahnen kann, stimmt das Timing und die Chemie zwischen den Figuren — auch wenn man deutliche Kritik an den teilweise arg unangenehmen Fake-Akzenten der Schauspieler*innen üben muss. Allen voran die eigentlich sympathische Claudia Kottal strapaziert als Einheimische die Geduld eines jeden Menschen, der schon mal eine Griechin hat Deutsch sprechen hören.

Trotzdem wird aus der Eingangsprognose von Johannes’ Mutter nichts: “Der war noch nie alleine weg, außerdem hat er eine Sonnenallergie. Der ist spätestens am Nachmittag wieder da.” Stattdessen findet Johannes 20 Jahre später als die meisten Menschen seine Stimme. Sein Kampf um mehr Selbstständigkeit wird zu einer überraschend emotionalen Coming-of-Age-Geschichte, die sich weniger um Griechenland kümmert, als der Titel vermuten lässt. So ist Griechenland oder Der laufende Huhn mit seiner österreichischen Besetzung und dem deftigen Humor wesentlich mehr am Heimatfilm als am Culture Clash interessiert und vermutlich auch deshalb einer der erfolgreichsten Filme des Jahres in Österreich.

Griechenland oder der laufende Huhn (2023)

Sich den Wünschen anderer zu unterwerfen, ist für den konfliktscheuen Hotelerben Johannes zur zweiten Natur geworden. Das Testament seines Vaters führt ihn auf eine tragikomische Reise ins sonnige Griechenland, und zu der Erkenntnis, dass es sich lohnt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. (Quelle: Österreichisches Filminstitut)

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