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Viele werdende Eltern stellen sich eine Geburt anders vor, als sie in der unpersönlichen Atmosphäre eines Krankenhauses tatsächlich abläuft. Hausgeburten können schöner und selbstbestimmter sein, bergen aber auch Risiken. „Gretas Geburt“ berichtet vom Fall einer Hebamme, die als Verbrecherin angeklagt wurde.

Gretas Geburt (2023)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Eine Hebamme vor Gericht

Ein Paar erwartet ein Kind. Es liegt in Steißlage im mütterlichen Becken liegen. In solchen Fällen wird heute meist per Kaiserschnitt entbunden. Das Paar aber wünscht sich eine natürliche Geburt. In der Frankfurter Klinik, die es zu Rate zieht, fühlt es sich unfreundlich behandelt. Die Hebamme und praktische Ärztin Anna R. dagegen bringt zum Gespräch Kuchen, bald duzt man sich. Es wird beschlossen, die Geburt in Annas Praxis stattfinden zu lassen. Anna kann jahrzehntelange Erfahrung vorweisen. Sie hat bereits rund 2000 außerklinische Geburten begleitet und hat in der Branche einen Namen. Noch wichtiger: Sie hat das alte Wissen um die manuellen Handgriffe, die Babys in Steißlage helfen können, auf die Welt zu kommen. Doch das Kind stirbt bei seiner Geburt im Jahr 2008. Anna wird 2014 als erste Hebamme in Deutschland wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Der Dokumentarfilm von Katja Baumgarten (Mein kleines Kind) begleitet Anna zehn Jahre lang, von 2012 bis 2022, wobei er sich auf den Gerichtsprozess und seine Folgen konzentriert. An diesem Fall lässt sich, so einzigartig er auch sein mag, exemplarisch eine gesellschaftliche Entwicklung betrachten, die auch dazu geführt hat, dass sich die Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen, die Geburtshilfe leisten, horrend verteuerte. Geburtsschäden werden häufiger eingeklagt. Die Regisseurin reflektiert in ihrem Off-Kommentar nicht nur Annas Fall, sondern auch ihre eigene Position als gelernte Hebamme, die sich nach 25 Jahren wegen der gestiegenen Versicherungsbeiträge aus der Hausgeburtsarbeit zurückgezogen hat. Baumgarten, die über den Prozess auch für eine Hebammen-Zeitschrift berichtete, ist also keine unvoreingenommene filmische Beobachterin, aber sie legt ihren Hintergrund offen.

Was ist am Tag der Geburt schief gelaufen? Darüber wird nicht nur am Landgericht Dortmund, sondern später auch im Internet kontrovers diskutiert. Die Geburt fand außerplanmäßig im Hotelzimmer der Eltern statt. Sechs Minuten vor der Geburt veränderten sich die Herztöne des Babys gravierend. Anna holte dann das Baby rasch mit gezielten Handgriffen heraus, doch es war bereits leblos. Herzmassage und Beatmung gelangen nicht, der Notarzt wurde gerufen und scheiterte ebenfalls. Er verständigte die Polizei. Anna, die im Film selbst erzählt, glaubt nicht, dass sie Schuld am Tod des Babys trägt, das die Eltern Greta nannten. Der Hauptgutachter, dem das Gericht folgt, widerspricht ihrer Auffassung. Das Gericht geht davon aus, dass Greta an Sauerstoffmangel starb und Anna ihren Tod billigend in Kauf nahm statt rechtzeitig Hilfe zu holen. Deswegen lautet das Urteil auch Totschlag und nicht fahrlässige Tötung.

Wenn die weißhaarige Anna vor der Filmkamera erzählt oder aus ihrem Regal ein Lehrbuch aus den 1940er Jahren holt, an dem sie sich orientierte, können ihre Auffassungen schon eigenwillig klingen. Im Urteil wird stehen, dass sie arrogant sei und sich selbst überschätze. An das Prinzip, im Zweifel für die Angeklagte zu urteilen, scheint sich das Gericht nicht gerade sklavisch zu halten. Eine Expertin, die auflistet, was die gerichtsmedizinische Obduktion alles unterlassen habe, wird für befangen erklärt. Die EKG-Aufzeichnungen des Notarztes sind weg, es lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen, ob das Kind vorerkrankt war und warum es sich nicht beatmen ließ. So erscheint es durchaus fraglich, ob es in einer Klinik hätte gerettet werden können, wie es im Gericht heißt. Anna wird auch nicht eine zentrale Fehlhandlung mit tödlicher Folge zur Last gelegt, sondern eine Kette von Unterlassungen, die dem Film zufolge Ansichtssache sind. Gretas Eltern, die weder gefilmt werden, noch vor dem Filmmikrofon Auskunft geben wollen, sind Nebenkläger, sie bekommen Schmerzensgeld und Schadenersatz zugesprochen. Als Anna aus dem Gefängnis kommt, hat sie keine Rücklagen mehr und muss damit rechnen, ihr Haus zu verlieren. 

Der Film wühlt stark auf und stößt eine Menge Fragen an. Leider versäumt es die Regisseurin, Expertenmeinungen einzuholen. Weder kommen Annas Verteidiger, noch unbeteiligte Jurist*innen oder Mediziner*innen mit ihren Einschätzungen zu Wort. So ist es hier aus Zuschauersicht im Grunde kaum möglich, das tragische Geschehen ursächlich einzuordnen. Das Gericht wirkt jedoch nicht unparteiisch. Es scheint eine Gesellschaft zu vertreten, die nach Sündenböcken für ihre Widersprüche sucht, beispielsweise für die klaffende Lücke zwischen Sicherheitsdenken und Entscheidungsfreiheit. Die Verantwortung für Missstände im Gesundheitswesen, politische Versäumnisse oder ganz banales Unglück sollen diejenigen tragen, denen die Macht fehlt, sie weiterzureichen.

Gretas Geburt (2023)

Ein Albtraum ist Wirklichkeit geworden: Ein Mädchen kommt leblos zur Welt. Seine Geburtshelferin beginnt, es wiederzubeleben. Später übernimmt ein Notarzt. Das kleine Mädchen stirbt. Seine Eltern nennen es Greta. Vier Jahre später steht seine Geburtshelferin vor Gericht – sie ist Ärztin, gleichzeitig Hebamme. Greta hatte im Bauch ihrer Mutter anders herum gelegen als üblich. Warum war Greta gestorben? Ein Fehler ihrer Geburtshelferin? Hatte sie Gretas Tod vorsätzlich in Kauf genommen? Das Urteil: „Schuldig des Totschlags“. Sechs Jahre und neun Monate Gefängnisstrafe, Berufsverbote, Schadensersatzzahlungen. Fragen bleiben offen. Ein bis dahin einmaliges Urteil nach dem unglücklichen Ausgang einer Geburt. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis ist nichts mehr wie vorher für die ehemalige Ärztin und Hebamme, inzwischen Ende 60. Sie fühlt sich dem deutschen Rechtssystem nicht mehr zugehörig. Eigentlich wollte ich nur zum 1. Verhandlungstag kommen, dann wieder zur Urteilsverkündung. Was ich im Gerichtssaal erlebe, zieht mich in den Bann: Die Stimmung ist emotional aufgeladen, gleichzeitig geht es um fachliche Details, die nur Spezialisten erfassen. Vorstellungen und Deutungen entstehen in der Rekonstruktion von Gretas Geburt. Auch gesellschaftliche Fragen werden verhandelt. Ich selbst habe als Hebamme viele Geburten betreut, heute Redakteurin einer Hebammenfachzeitschrift. Spontan dokumentiere ich den Prozess, irgendwann auch Dreharbeiten. Eine dokumentarische Erzählung aus zehn Jahren

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