Grenzgänger

Eine Filmkritik von Björn Schmitt

Im Niemandsland der Liebe

Ein Mann läuft entlang von verlassenen Gleisen – die Mittagssonne glüht. Um ihn herum blüht und gedeiht die Natur. Es scheint so, als verschlinge sie die letzten Reste der Zivilisation, die noch in dieser entlegenen Gegend – wir sind hier im Grenzgebiet —  existieren. Fast fühlt man sich, zu Beginn von Florian Flickers Grenzgänger, an die Bildsprache des Westerns erinnert: unberührte Landschaften, verlassene Bahngleise, wenig später ein Reiter samt Pferd und auch die hellen, goldenen Farben rufen uns die amerikanische Wüste ins Gedächtnis. Doch entgegen dieser oberflächlichen Ähnlichkeiten geht es in Grenzgänger nicht um die Eroberung und Aneignung von Gebieten, dem Setzen von wie auch immer gearteten Grenzen, sondern dem Ausloten, Überschreiten und Verschieben von schon bestehenden Grenzen.
Die Geschichte des Films ist in Österreich Anfang der Jahrtausendwende angesiedelt und spielt an der Ostgrenze zur Slowakei, die bis 2004 vom Militär bewacht wurde. Im Zentrum der Handlung stehen Jana (Andrea Wenzel) und Hans (Andreas Lust), die in der Gegend zusammen ein kleines Wirtshaus betreiben, dessen entlegener Standort jedoch nicht die ganz großen Touristenmassen anzieht. Stefan hilft daher, neben seinem Job als Fischer, Menschen aus der Slowakei nach Österreich zu schmuggeln. Das scheint auch Vize-Leutnant Fuchs (Martin Schwanda) zu vermuten, es ist ihm jedoch nicht möglich, Beweise gegen das Pärchen zu finden.

Zu Beginn des Films taucht nun der junge Soldat Ronnie (Stefan Pohl) auf, der bereits nach einem kurzen Gespräch Gefallen an Jana gefunden hat. Fuchs wittert seine Chance und fordert den Jungen auf, sich mit dem Pärchen anzufreunden, um endlich Beweise für deren Überführung zutage fördern zu können. Stefan scheint diese Täuschung zu ahnen, lässt sich aber dennoch auf die Annäherungsversuche des Soldaten ein. Er fordert Jana auf, Ronnie schöne Augen zu machen — schließlich könne sie so für Ablenkung von deren eigentlichen Vorhaben sorgen.

In erster Linie ist Grenzgänger, der auf Karl Schönherrs Stück Der Weibsteufel basiert, ein Film über die Dreiecksbeziehung zwischen dem Pärchen und dem jungen Soldaten. Im Laufe der Handlung schnürt sich die Bande der Protagonisten enger, es kommt zu Reibungen und Konflikten, bei denen Leidenschaften, Wünsche und Machtpositionen der Beteiligten aufeinandertreffen. Hierbei spielt das Motiv der Grenze eine zentrale Rolle: Durch verschiedene Entscheidungen der Charaktere bilden sich Abhängigkeiten und Konsequenzen aus, die immer wieder das Überschreiten und Verschieben von Grenzen thematisieren. Welche der moralischen, gesetzlichen oder persönlichen Grenzen lohnt es sich zu überschreiten, wer wird dabei verletzt und was verändert sich? Das alles sind Fragen, an denen sich der Film abarbeitet.

Es ist dem Regisseur Florian Flicker zugute zu halten, dass er auf der formalen Ebene ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen einem eigenwilligen, stilisierten und einem konventionelleren Bildaufbau gefunden hat. So kommt es zwar immer wieder zu kleinen Irritationsmomenten, zum Beispiel wenn eine Einstellung länger als üblich auf einem leeren Raum verweilt oder die sprechende Person nicht zu sehen ist – diese sind aber nie zu streng oder formalisiert, was der Linie des Films treu bleibt. Hervorzuheben ist auch Flickers Gespür für eine gute Aufteilung und Nutzung des Raumes. Durch Anordnung und Bewegung der Darstellenden, wird dieser dynamisiert, was immer wieder zu interessanten Kompositionen führt, die über die bloße Handlungsebene des Dramas hinaus eine neue Ebene eröffnen.

Eine weitere Stärke der Inszenierung ist es, viele der Szenen im Dunkeln spielen zu lassen und sich so einer allzu offensichtlichen Deutung der Geschehen zu entziehen. Der Film wechselt dabei zwischen verschiedenen Dunkelschattierungen, verdeckt bestimmte Teile des Bildes und schafft aus diesem Spiel Spannungsmomente. In einer bemerkenswerten Szene sitzt Jana mit Ronnie nachts auf einer Veranda und es ergibt sich eine nicht genau bestimmbare Spannung: Sind sie zueinander hingezogen oder fühlt sich Jana vom Soldaten bedroht? Plötzlich erlischt das Licht und für einen kurzen Moment denkt der Zuschauer, gleich würden sich aufgestaute Konflikte und Begehren entladen. Doch es passiert nichts, wenig später geht das Licht durch einen Bewegungsmelder erneut an und die aufgestaute Anspannung weicht zurück. Es sind diese unerwarteten, mit den einfachsten Mitteln hervorgerufenen Veränderungen, die in Grenzgänger subtil und elegant für Dramatik und Dynamik sorgen.

So überzeugend die Aufnahmen im Dunkeln sind, um so mehr enttäuschen viele der Szenen, die am Tag spielen. Durch übersättigte Farben und Filter drohen viele Bilder der sonnenbestrahlten Natur, kitschig und über-künstlich zu wirken. Darüber hinaus erscheint auf der Handlungsebene die Einbettung der Geschichte in eine Rahmenerzählung, von der aus in einer Rückblende erzählt wird, unnötig und überflüssig, da der Film auch ohne diesen vermeintlichen erzählerischen Kniff Konsequenz und Komplexität entwickelt. Nichtsdestotrotz ist Florian Flicker mit Grenzgänger ein wohltemperiertes Figuren-Drama gelungen, das differenziert sein dreiköpfiges Beziehungsgeflecht untersucht. Durch die gegenseitigen Verstrickungen lässt sich die Frage nach Verrat und Schuld nicht eindeutig lösen, weshalb der Film zusammen mit seiner zurückgenommenen ästhetischen Gestaltung durchaus zu überzeugen vermag.

Grenzgänger

Ein Mann läuft entlang von verlassenen Gleisen – die Mittagssonne glüht. Um ihn herum blüht und gedeiht die Natur. Es scheint so, als verschlinge sie die letzten Reste der Zivilisation, die noch in dieser entlegenen Gegend – wir sind hier im Grenzgebiet —  existieren. Fast fühlt man sich, zu Beginn von Florian Flickers „Grenzgänger“, an die Bildsprache des Westerns erinnert: unberührte Landschaften, verlassene Bahngleise, wenig später ein Reiter samt Pferd und auch die hellen, goldenen Farben rufen uns das Goldgelbe der amerikanischen Wüste ins Gedächtnis.
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