Giovanni Segantini - Magie des Lichts

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

"Ich sah Blumen weinen und Würmer lächeln"

Eine junge Bäuerin beugt sich tröstend über das kleine Kind, das auf ihrem Schoß sitzt. Auf der Wiese weiden Kühe, dahinter erheben sich die Alpen. Zärtliche Mutterliebe und die einfache, aber majestätische Kulisse der Bergwelt sind zwei zentrale Motive im Werk des Malers Giovanni Segantini, der 1899 im Alter von nur 41 Jahren starb. Der Dokumentarfilm des Schweizers Christian Labhart Giovanni Segantini – Magie des Lichts spürt eindringlich den Verbindungen zwischen der Biografie des Malers und seinen Gemälden nach. Die Mutterliebe stellt für Segantini ein Ideal dar, sie entspricht der Sehnsucht nach der früh verlorenen Kindheit. Als er sechs Jahre alt ist, stirbt die Mutter, gleichzeitig erfolgt der Abschied vom geliebten Heimatort Arco am Gardasee: Der Vater bringt den Jungen zu einer erwachsenen Tochter aus erster Ehe nach Mailand.
Was dieser filmischen Künstlerbiografie und Werkschau ihre besondere Glaubwürdigkeit und Intensität verleiht, sind ihre Quellen: Labhart lässt Bruno Ganz aus den zahlreichen Briefen und Tagebuch-Aufzeichnungen des Malers vorlesen. Dabei tritt der Schauspieler nicht vor die Kamera, ebenso wenig wie Mona Petri, der die zweite Erzählerstimme gehört. Sie liest aus Asta Scheibs Segantini-Biografie Das Schönste was ich sah. Der Maler ist, wie seine Aufzeichnungen belegen, auch im Umgang mit der Sprache begabt: Lebenslang erklärt er der Frau an seiner Seite, Bice Bugatti, seine Liebe mit der Inbrunst eines jungen Verehrers. Und er erläutert seine Einstellung zur Malerei prägnant und leicht verständlich in Sätzen wie: „Die Kunst stirbt niemals, sie ist ein Teil unseres Ichs.“ Die pastoralen Szenen, die er so mag, sind zwar der Natur abgeschaut, gleichzeitig aber auch beseelt vom inneren Drama des Menschen, der Trauer und Not begegnet und nach friedlichem Glück strebt.

Der chronologisch angeordnete Film folgt über eine längere Passage Segantinis Erinnerungen an die dunkle Einsamkeit seiner frühen Jahre in Mailand. Die Halbschwester lässt den Jungen Tag für Tag allein, bis er schließlich in seiner Verzweiflung fortgeht und sich auf den Straßen durchschlägt. Die Polizei bringt den staatenlosen Waisen in eine Erziehungsanstalt. Mit 18 Jahren tritt er in die Kunstakademie Brera ein, die er bald wieder verlässt, um sein eigenes Atelier zu eröffnen. Mit der Liebe seines Lebens, Bice Bugatti, zieht er aufs Land, in die Brianza, später ins schweizerische Dorf Savognin und schließlich noch höher hinauf, in die Berge des Engadins, nach Maloja. Das Paar hat vier Kinder, die im Film auf einigen der vielen alten Schwarz-Weiß-Fotografien zu sehen sind.

Den Dokumenten aus jener Zeit stellt der Film Aufnahmen von heute gegenüber, die viel befahrene Serpentinenstraße von Maloja beispielsweise. Zeitlos wirken hingegen die Aufnahmen der Bergketten und darüber das wechselnde Licht des Himmels: Von der Naturvorlage wird wiederum oft auf die Gemälde selbst geschnitten, um deren Ausdruckskraft zu demonstrieren. Segantini wählt gedeckte Farben, aber es mischen sich überall kleine helle Pinselstriche darunter, die den Texturen den Eindruck einer Maserung geben und das Spiel des Lichts einfangen.

Der Maler hat immer wieder finanzielle Probleme, der internationale Ruhm kommt spät. Zwei Jahre vor seinem Tod stellt er ein Alpen-Triptychon für die Pariser Weltausstellung her, dessen Stationen Werden, Sein und Vergehen auch der filmischen Gliederung als Kapitel dienen. Die reiche Musikbegleitung von Paul Giger und dem Carmina Quartett rundet diese so sinnliche Annäherung an den Künstler stilvoll ab. „Ich sah Blumen weinen und Würmer lächeln“, schreibt Segantini und konstatiert: „Ich habe wirklich gelebt!“ Labharts Film lotet die Erfahrungswelt dieses Künstlers staunend aus und erkundet, ausgestattet mit diesem Rüstzeug, seine Werke wie begehbare Landschaften.

Giovanni Segantini - Magie des Lichts

Eine junge Bäuerin beugt sich tröstend über das kleine Kind, das auf ihrem Schoß sitzt. Auf der Wiese weiden Kühe, dahinter erheben sich die Alpen. Zärtliche Mutterliebe und die einfache, aber majestätische Kulisse der Bergwelt sind zwei zentrale Motive im Werk des Malers Giovanni Segantini, der 1899 im Alter von nur 41 Jahren starb.
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