Geständnisse

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Spannendes Vexierspiel über Rache und Moral

Am Anfang – und man muss diesen Film von seinem Anfang her denken, muss jeden einzelnen Schritt vorsichtig mitsetzen, den die Handlung tut, den die Figuren machen – am Anfang also wirkt das alles noch harmlos, geradezu ein bisschen wirr, wie die junge Lehrerin Yuko Moriguchi (Takako Matsu) ihren Schülerinnen und Schülern scheinbar belanglos etwas von der Milch erzählt, die sie gerade trinken, von ihrem Kalziumgehalt und welchen Bezug das wohl zur Pubertät haben könnte, in die sie gerade alle eintreten…
Und natürlich hört von diesen Frühpubertierenden praktisch niemand richtig zu; im Gegenteil, in der Klasse wird getobt, werden SMS verschickt, es wird geredet und geschrien. Trotzdem hört man ihr zu, und als Moriguchi vom Tod ihrer kleinen Tochter spricht, werden die Kinder sogar einmal ganz still – und machen sich kurz darauf über die junge Frau lustig. Das hört erst dann auf, als die Lehrerin offenbart, dass ihr Kind nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, sondern von zwei Schülern dieser Klasse ermordet wurde.

Auf der reinen Handlungsebene handelt Geständnisse von Tetsuya Nakashima vor allem davon, wie grausam Menschen zueinander sein können, wie sie einander, vielleicht manchmal gar aus Gedankenlosigkeit oder Langeweile, sogar umzubringen bereit sind. Aber die Handlung ist das Geringste an diesem Film, er wird vor allem durch seine Montage und durch seine ruckartige, immer wieder unterbrochene Erzählweise zu einem Erlebnis.

Man kann die Ansätze dieses Erzählkonzept schon in Nakashimas Kamikaze Girls von 2004 finden – auch da wird das Geschehen in kleine Bruchstücke zerlegt und splittert sich vor dem Auge des Betrachters immer weiter auf. Da ist es allerdings noch eine hochtourig überdrehte Geschichte, die ihre eklektischen Einfälle und ihre Ästhetik primär dem Manga und Animefilmen verdankt, dem auch die quietschbunten Figuren und Dekors entsprungen sein könnten.

Von solcher Farbenfreude ist in Geständnisse nichts zu sehen, die Welt existiert, dem Sujet angemessen, vor allem in Blau- und Grautönen und scheint einer sehr pessimistischen, fast sozialrealistischen Weltsicht zu entstammen. Die schnellen Schnitte und Blickwechsel des Anime hat Nakashima weiterentwickelt und so sehr verschärft, bis sich stellenweise Bild und Ton voneinander lösen. Da bricht fast explosionsartig laut ein Geräusch ein, dann herrscht Stille; meist aber spielt im Hintergrund süßliche Musik. Während eine Figur spricht, werden die Bilder von ihr unterbrochen durch Aufnahmen, die offenbar mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen wurden – in extremer Zeitlupe rennen da Schüler durchs Bild, sehen wir Regentropfen beim Platzen zu.

Diese stilistisch überhöhten Bilder und Montagen geben der Handlung zugleich neue Kontextebenen, die in den Dialogen nie thematisiert werden (etwa das grausame Mobbing eines Schülers durch Klassenkameraden). Letztlich bekommt man den Eindruck, man sehe ein großes Bild in den verschiedenen Scherben eines zerberstenden Spiegels auftauchen – immer gibt es nur einen Ausschnitt zu sehen, mit dem nächsten Splitter erfährt man etwas mehr.

Das ästhetische Vorgehen des Films, das in den ersten Szenen noch wie übereifrige Fingerübung wirkt, wird im Laufe des Films immer mehr auch erzählerisches Prinzip: Denn natürlich ist es mit Moriguchis „Geständnis“ – ein trügerischer Begriff in diesem Zusammenhang, denn die Wahrheit ist hier auch nur noch ein Bruchstück ihres alten Selbst – nicht getan, will die Lehrerin doch, dass sich die beiden Mörder ihrer Tochter, fürs Strafrecht seien sie ja noch zu jung, mit den Gründen für ihre Tat und deren Folgen auseinandersetzen. Und im weiteren Geschehen hat der Regisseur (und Drehbuchautor) Nakashima weder für die Mutter des einen Jungen (Yoshino Kimura) noch für die Freundin des anderen (Masaki Okada) besonders freundliche Schicksale vorgesehen.

Mit jedem neuen Detail verändert sich die Bedeutung dessen, was man vorher erfahren hatte. Zusammen mit der Montagetechnik entsteht ein sehr seltsamer Effekt auf der Ebene der erzählten Zeit: Obgleich sich die Ereignisse im wesentlichen durchaus chronologisch abspielen, entsteht durch die Zersplitterung der Szenen und die immer mit neuen Details ergänzte Hintergrundgeschichte sogar der Eindruck, als würde sie fast rückwärts aufgerollt.

Geständnisse wird so zu einem spannenden Vexierspiel über Rache und Moral, über menschliche Abgründe und den Wert von Leben. Und immer wenn man glaubt, Tetsuya Nakashima habe seine Figuren jetzt genug leiden lassen, dann setzt er noch eine weitere Ebene hinzu. Und noch eine. Bis die finale Punchline des Films noch einmal richtig fest dahin schlägt, wo es weh tut.

Geständnisse

Am Anfang – und man muss diesen Film von seinem Anfang her denken, muss jeden einzelnen Schritt vorsichtig mitsetzen, den die Handlung tut, den die Figuren machen – am Anfang also wirkt das alles noch harmlos, geradezu ein bisschen wirr, wie die junge Lehrerin Yuko Moriguchi (Takako Matsu) ihren Schülerinnen und Schülern scheinbar belanglos etwas von der Milch erzählt, die sie gerade trinken, von ihrem Kalziumgehalt und welchen Bezug das wohl zur Pubertät haben könnte, in die sie gerade alle eintreten…
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Meinungen

Silent Rocco · 18.07.2011

Ich habe gerade Geständnisse gesehen. Und ich bin sprachlos. Einer der intensivsten und schönsten Filme aller Zeiten.