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Wie ist es um das Verhältnis zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Menschen bestellt, die gemeinsam in Deutschland leben — 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges? Dieser Frage widmet sich Janina Quint in „Germans & Jews — Eine neue Perspektive“ und versammelt dazu eine Tischrunde zum Gespräch.

Germans & Jews - Eine neue Perspektive (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gräben im Kopf und wie man sie überwindet

Sein Vater, so berichtet ein Mann gleich zu Beginn, habe stets nur eine Entscheidung gemacht bei den Menschen: Entweder sie seien Juden oder Nazis. Andere Stimmen gesellen sich dazu, ausnahmslos englischsprachig, die davon berichten, wie es ihnen ergeht, wenn sie Deutsch hören, wenn sie von den Gefühlen ihrer Eltern berichten, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gehen, wenn sie auf Deutsche treffen. Untermalt werden die Interviewbruchstücke von historischen Aufnahmen jubelnder Deutscher, die Arme zum Hintergruß hochgereckt. Was die Montage verdeutlicht, ist die (freilich recht naheliegende) Tatsache, dass das Verhältnis zwischen Juden gleich welcher Nationalität und Deutschen auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch überschattet ist von der Ungeheuerlichkeit und Monstrosität des Holocaust.

Wie aber steht es im alltäglichen Leben um das Verhältnis zwischen Deutschen jüdischer und nicht-jüdischer Herkunft? Was trennt sie, was verbindet sie? Ist nach all dem, was geschehen ist, ein normaler Umgang überhaupt möglich? Hat sich das Zusammenleben normalisiert? Vieles scheint darauf hinzuweisen, etwa der Fakt, dass Berlin europaweit die jüdische Gemeinde ist, die am schnellsten wächst. Es scheint also, als seien die Gräben überwunden — oder doch nicht?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, luden eine amerikanische Jüdin und eine nicht-jüdische Deutsche (es sind dies vermutlich, ohne dass der Film dies ausdrücklich benennt, die Produzentin Tal Recanati und die Regisseurin Janina Quint) in Deutschland lebende Juden und nicht-jüdische Deutsche zu einem gemeinsamen Abendessen, um mit ihnen über deutsche, jüdische und deutsch-jüdische Identitäten zu sprechen. Und dort, bei einem dieser Gespräche, erklärt sich auch der Titel, dessen Merkwürdigkeit sich einem erst beim zweiten und dritten Lesen erschließt, weil er Nationalität und religiöse Zugehörigkeit vermischt und auf eine Stufe stellt. Eine seit Ewigkeiten erprobte Vermengung, die nach wie vor ihre Folgen hat: Sobald sie, die in Deutschland Geborene und Aufgewachsene, erwähne, dass sie Jüdin sei, werde sie nicht mehr als Deutsche wahrgenommen, berichtet eine der Anwesenden.

Immer wieder wechselt der Film von dem rahmenden, gemeinsamen Essen zu den einzelnen Teilnehmer*innen und schneidet Interviews mit anderen Menschen dazwischen. Wie etwa dem Schriftsteller Rafael Seligmann, dem Rabbi Yehuda Teichtal, Herbert Grönemeyer, dem Soziologen Harald Welzer, dem Historiker Fritz Stern, der Germanistin Barbara Hahn und dem ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber. Der allerdings, so muss man einwenden, ist ein ebenso kritischer wie kontroverser Geist, der in der Vergangenheit durch antimuslimische Äußerungen aufgefallen war, die selbst in seiner eigenen Kirche für erheblichen Widerspruch gesorgt hatten.

Und es gibt noch einige weitere Schwachpunkte an Germans & Jews — Eine neue Perspektive. Einer davon ist die schlichte Tatsache, dass dieser Film nicht mit den aktuellen Ereignissen Schritt gehalten hat. Bereits 2016 kam der Film in den USA auf den Markt und legte dort eine regelrechte Festivalreise hin, die ihn nach Los Angeles und Jerusalem, Washington und London führte. Mittlerweile aber haben sich die Vorzeichen radikal geändert. Erwähnt einer der Interviewpartner vor allem die NPD als politische Kraft des Antisemitismus, so zeigen die Entwicklungen der letzten fünf Jahre, dass der Antisemitismus mittlerweile in besorgniserregenden Maße zugenommen hat — von den verbalen Ausfällen zahlreicher AfD-Politiker über Attacken radikaler Muslime bis hin zum Anschlag auf die Synagoge in Halle reichen die Vorkommnisse der letzten Zeit, begleitet von einem sprunghaften Anstiege anderer antisemitischer Delikte, die sich keineswegs allein auf Muslime zurückführen lassen. Insofern hat das überwiegend optimistische Bild, das der Film zeichnet, erhebliche Kratzer und Beulen erlitten.

Unterm Strich bietet Germans & Jews — Eine neue Perspektive durchaus gelungene Ansätze für eine Auseinandersetzung und Bewusstmachung des nach wie vor schwierigen Verhältnisses der Religionen in Deutschland. Allerdings zeigen die (überwiegend negativen) Entwicklungen der letzten Jahre auch, dass — gerade auch vor dem Hintergrund grassierender Verschwörungstheorien im Zuge der Covid-19-Pandemie — die rassistischen und antisemitischen Vorurteile viel tiefer in der Köpfen verankert sind, als der Film dies glauben machen mag.

Germans & Jews - Eine neue Perspektive (2016)

In Berlin lebt heute die am schnellsten wachsende jüdische Bevölkerung in Europa. Deutschland gilt als eine der demokratischsten Gesellschaften der Welt und hat durch die Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge die moralische Führung Europas übernommen. Diese Entwicklungen hätte sich im Jahr 1945 noch niemand vorstellen können. Anhand persönlicher Geschichten erkundet „Germans & Jews – Eine neue Perspektive“ die Transformation eines Landes vom Stillschweigen über den Holocaust bis hin zur direkten Konfrontation mit diesem Thema. (Quelle: W-Film)

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