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Besuch bei den Eltern zu traurigem Anlass: Ninas Großmutter ist gestorben. Doch von Trauer ist nicht viel zu spüren – oberflächlich. Im Untergrund brodeln die Gefühle und Konflikte.

Geranien (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Mutter und Tochter (und Oma)

Ankunft am Bahnhof. Außen kurzer Kleidungswechsel, schwarze Bluse anziehen. Gleichzeitig, halb auf holländisch, ein Telefonat: Nina (Friederike Becht) im Gespräch mit ihrer Agentin, die ein Angebot für eine Rolle beim Traumschiff vorliegen hat. Das geht gar nicht! Oder? Als sie in der Bungalowsiedlung ankommt, im Haus ihrer Eltern, merken wir: Sie ist auf dem Weg zur Beerdigung ihrer Großmutter. Dass wir das merken, liegt freilich nicht an der Trauer von Ninas Eltern. Die sind beschäftigt mit den Bestattungsvorbereitungen. Und mit den Zwetschgen, die in der Küche fleißig entsteint werden müssen.

Tanja Egen drehte ihren Film in Holzwickede, ein kleines Örtchen am Ruhrgebietsrand, Reihenhaus, Garten, klar: Geranien, titelgebend (aber nie handlungstragend). Connie und Harald wohnen hier, es ist ihre Heimat, wo man sich eingerichtet hat. Das könnte fast zur Kleinstadtkarikatur werden, wenn der Papa sich freut, dass bei Aldi ein Rasenroboter im Angebot ist, und eigentlich am Samstag das Borussia-Spiel gucken will. Aber Egen vermeidet das Lächerlichmachen, und zwar sehr geschickt: indem sie jeder Figur ihr Recht gibt, jede Figur langsam entschält von ihrer Oberfläche, sie in ihren Bedürfnissen ernst nimmt. Auch wenn die Figuren selbst ihre Bedürfnisse verdrängen.

Nina ist Schauspielerin, lebt mit Mann und Kind in Amsterdam, ist eigentlich nur für einen Tag hier. Aber es gibt Lieferschwierigkeiten mit dem Sarg, der Grabstein ist auch nicht fertig, die Mutter besteht darauf, dass ein provisorisches Holzkreuz nicht reicht. Verschiebung der Trauerfeier, Verschiebung der Beerdigung. Dabei muss Nina am Montag eigentlich proben. Und die Tochter vermisst sie. Connie und Harald sind traurig, dass die Enkelin nicht dabei ist, aber auch nicht allzu sehr. Es ist genug zu tun, und Zeit haben sie ja nicht. Trotz Rentnerdasein. Ins Arbeitsleben von Nina können sie sich nicht hineindenken; ebenso fremd ist die Holzwickede-Welt inzwischen von Nina. Die Begegnung mit einer alten Freundin gerät zum Fiasko inklusive Beschimpfungen und Beleidigtsein. Die Mutter redet sich gegenüber ihrer Freundin ein bisschen was von der Seele, die Mutter, die harsch war zu ihr in der Kindheit, und das eigene Kind jetzt, das ihr Stress macht wegen der ständigen Terminverschiebungen.

Connie lässt die Trauer nicht an sich heran. Und bemerkt nicht, dass dies Teil ihrer Trauer ist. Lässt all die Ressentiments hochkochen, die sie von der Mutter entfremdet haben. Die war hart und zielstrebig und offenbar nicht allzu liebevoll – freilich nicht in böser Absicht, sondern ihrer frühen Verwitwung geschuldet. Dass ihre Tochter Nina ein so viel besseres Verhältnis hatte zur Verstorbenen, nagt an ihr. Nina, die weggegangen ist in einen Beruf, der nicht der Holzwickede-Normalität entspricht.

Regisseurin Egen lässt ihren Film an ein paar wenigen Tagen spielen, es ist Hochsommer, alles lichtdurchflutet, und im kleinen Kosmos des Reihenhauses brodeln Konflikte – geschickterweise lässt Egen diese nie ausbrechen. Denn im wirklichen Leben brechen sie auch nicht aus, wenn man die Mutter, den Vater besucht; auch nicht unbedingt in einer Ausnahmesituation wie dem Todesfall der Oma. Das macht den Film so lebensnah, in seiner ganzen Zugespitztheit: Man kennt das, wenn auch nicht so; und man trägt sowas auch in sich. Das liegt schlicht daran, dass der andere – auch die Mutter, auch die Tochter – nicht man selbst ist. Das Auseinanderentwickeln familiärer Beziehungen und gleichzeitig die Bindung, die besteht: Das ist die Spannung, die der Film erzeugt und die er hält. Durchaus mit witzigen Einsprengseln, durchaus mit Stilisierungen. Durchaus alltagsnah.

Die Zwetschgen werden entkernt. Mit dem Vater wird ein japanischer Whisky genossen. Und vielleicht ist es doch gar nicht so schlecht, Traumschiff, hohe Gage und ein Dreh in Trinidad-Tobago. Und dann wieder nach Holzwickede, mag man sich als Zuschauer vorstellen. Zu Weihnachten vielleicht, oder so. Weil Familie Familie ist, und Mutter und Tochter immer noch Mutter und Tochter sind.

Geranien (2023)

Nina (32) lebt ein selbstbestimmtes Leben als Schauspielerin und Mutter in Amsterdam. Doch die Beerdigung ihrer geliebten Oma Marie reißt sie heraus. Sie kehrt zurück in ihren Heimatort, eine Kleinstadt im Ruhrgebiet, wo sie mit einem halb verdrängten Familienleben und ihrer Heimat konfrontiert wird.  Es ist die Mutter ihrer Mutter Konnie (58), die gestorben ist. Beschäftigt mit der Organisation der Beerdigung, gelingt es Konnie fast, ihre Trauer vor der Familie zu verbergen – wäre da nicht Nina und die drängende Frage, wie Konnie rechtzeitig zur Trauerrede mit dem harschen Erziehungsstil Maries noch Frieden schließen soll. Während Nina das unrühmliche Angebot eine Traumschiff-Rolle zu spielen einen Schrecken einjagt, verschieben sich die Trauerfestlichkeiten immer weiter – und in der Küche liegen noch 30 Kilo Pflaumen, die es zu entsteinen gilt!
Mit jeder erneuten Stornierung ihres Rückfluges, lernt Nina, sich auf ihre Eltern einzulassen und kommt Konnie so nah wie nie zuvor. Warum also dann nicht auch mal Traumschiff drehen? Oma Marie hat’s jedenfalls immer gemocht.

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