Gegenwart

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Auch am Ende herrscht Ökonomie

Und die Arbeit geht weiter. Auch zwischen Weihnachten und Silvester. Draußen liegt eine schneegedämpfte Abendruhe über den Bäumen, den Feldern, dem Dach mit den Schornsteinen. Drinnen wird gearbeitet, der Boden gewischt, mit Metallteilen hantiert. Banale Tätigkeiten, doch der Ort des Geschehens ist ein besonderer. Der Arbeitsalltag, der das Material zu Thomas Heises Dokumentarfilm liefert, findet in einem Krematorium statt. Still und konzentriert schaut der Regisseur in Gegenwart dabei zu, wie sich sogar im Angesicht des Todes die Ökonomie spiegelt.
Der Film verharrt in beobachtender Pose, schaut den Handgriffen zu. Geduldig sitzt die Kamera auf dem Stativ, ab und an folgt ein Schwenk den Bewegungen der Arbeitenden. In den 65 Filmminuten nimmt sich Heise Zeit, langsam einen Erkenntnisprozess in Gang zu bringen. So dauert es fast 20 Minuten, bis der erste Sarg ins Bild gerückt wird. Vorher wird geputzt, gemessen und gemauert. Und es dauert eine ganze Weile, bis klar wird, das es der Brennofen ist, in dem der Arbeiter dort so akribisch misst und mauert. Gesprochen wird kaum, nur wenige Worte, die man während der Arbeit eben so redet.

Weder Interviews, noch ein erläuternder Kommentar aus dem Off lenken die Wahrnehmung des Zuschauers. Heise vertraut ganz auf die Aussagekraft der Kamera-Einstellungen und der Montage der Bilder. In seinem Dokumentarfilm Sonnensystem hat er sich 2011 durch reine Beobachtung einer fremden Kultur und Lebensweise angenähert (dem indigenen Volk der Kolla in Argentinien), jetzt richtet er seinen Blick auf einen blinden Fleck inmitten vertrauter Alltagskultur. Das profane Geschäft mit dem Tod wird in der Realität gerne ausgeblendet, auch ins Kino findet das Thema Tod hierzulande selten. In dem österreichischen Dokumentarfilm Rest in Peace wurde 2010 einmal ein unverstellter Blick auf den Umgang mit toten Körpern geworfen. Heise interessiert sich nun in Gegenwart weniger für das Schicksal Verstorbener, als für die wirtschaftliche Systematik, mit der der Tod abgefertigt wird, respektive die Verstorbenen eingeäschert werden.

Der Ablauf ist Routine: Der Brennofen wird vom Computer überwacht. Die Computermonitore, die Schalter und Regler, das alles wirkt seltsam profan. Technik, die so aussieht, findet sich genauso bei der Bundesbahn oder im Atomkraftwerk. Die Kamera fährt an Röhren und Leitungen entlang, begutachtet sogar den Bauplan des Brennofens. Fast vergisst man, wozu die Technik an diesem Ort dient. Doch mit einem Schnitt ist es wieder präsent: Ein Sarg wird angeliefert.

Im gleichen Maße, wie die kalkulierten Bewegungen der Kamera in der Montage nach und nach die unmittelbare Nachbarschaft von Schreibtischarbeitsplatz, Urnen-Regal, Särgen und Brennofen-Tor offenlegen, öffnet der Film den Blick des Zuschauers für das allgegenwärtige Nebeneinander von Leben und Tod, von täglicher Arbeit im Angesicht der Vergänglichkeit. Ein Blick auf den Splitscreen des Computermonitors verdeutlicht die irritierende Gleichzeitigkeit, die hier stattfindet: Im Trauerraum nimmt jemand Abschied, der Ofen läuft, ein anderer Sarg wird angeliefert. Technik und Trauer laufen hier parallel.

Die Schubladen mit der Asche werden per Hand aus dem Ofen geholt, viel bleibt nicht. Zwischen den glühenden Knochenresten finden sich Metallteile: künstliche Hüftgelenke und Gebisse. Die Metall-Griffe und Beschläge der Särge werden vor der Einäscherung abgeschraubt. Die Särge stehen dicht an dicht, bald müssen sie gestapelt werden. Mit einem Rundum-Schwenk, der die ganze Dimension des Durchlaufs in diesem einen Krematorium vor Augen führt, kommt Gegenwart auf den Punkt: Alles ist eitel, und hier ist es Routine-Geschäft.

In diesen deprimierenden Gedanken platzen mit einem Schnitt unvermittelt die roten Tanzstiefel von Funkenmariechen. Das volkstümliche „Am Rhein“ ertönt und besingt den „sonnigen, lachenden Menschenschlag“. Die in Feierlaune verzerrten Gesichter der Menschen wirken wie ein greller Verweis, ein bissiger Regie-Kommentar auf die Eitelkeit allen Lebens. Mag es auch gerade noch tanzen und toben wie im Karneval, am Ende bleibt nur Schwarz und ein Knistern – und ein Geschäft.

Gegenwart

Und die Arbeit geht weiter. Auch zwischen Weihnachten und Silvester. Draußen liegt eine schneegedämpfte Abendruhe über den Bäumen, den Feldern, dem Dach mit den Schornsteinen. Drinnen wird gearbeitet, der Boden gewischt, mit Metallteilen hantiert. Banale Tätigkeiten, doch der Ort des Geschehens ist ein besonderer. Der Arbeitsalltag, der das Material zu Thomas Heises Dokumentarfilm liefert, findet in einem Krematorium statt. Still und konzentriert schaut der Regisseur in „Gegenwart“ dabei zu, wie sich sogar im Angesicht des Todes die Ökonomie spiegelt.
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