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Das Leben von Marta und Roland wirkt super-harmonisch: die befriedigende Arbeit, der Sohn aus einer früheren Beziehung, das wunderschöne, altehrwürdige Haus. Über die Vergangenheit wird nicht gesprochen, aber sie wird auftauchen wie eine Moorleiche in Sebastian Kos raffiniertem Thriller-Drama.

Geborgtes Weiß (2021)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Der Preis des Glücks

„Wir Monster“ (2014) heißt der Debütfilm von Regisseur Sebastian Ko. Darin geht es um eine Tat, die man einem 14-jährigen Mädchen aus bürgerlichen Verhältnissen niemals zutrauen würde. Auch der Titel seines neuen Films bedeutet Doppelbödiges. Richtig rein können eine Weste oder ein Arztkittel ja nicht sein, wenn man sie nur geborgt hat. In einer Mischung aus Familiendrama und Thriller geraten die Theaterstars Ulrich Matthes und Susanne Wolff, die hier nicht zum ersten Mal gemeinsam vor der Filmkamera stehen, in den Strudel eines Familienlebens, dessen Leichen nicht ewig im Keller verharren.

Selten war ein Gang durch den Baumarkt so spannend. Zunächst scheint alles ganz normal, Marta (Susanne Wolff) schäkert per Handy mit ihrem Mann Roland (Ulrich Matthes). Aber dann ist Sohn Nathan (Elia Gezer) wie vom Erdboden verschwunden. Und die Kamera stürzt sich mit der Mutter in das Labyrinth der Einkaufsstätte. Erkundet die langen Gänge, die in ihrer Höhe plötzlich wie Schluchten wirken. Läuft hinaus in den Baustoffbereich, dann wieder hinein in die leergefegte Halle – und erneut hinaus. Nah an Martas Gesicht erspürt Kameramann Andreas Köhler das Aufsteigen der Angst um den Sechsjährigen bis hin zur hellen Panik. Was wäre, wenn der über alles geliebte Junge entführt worden wäre?

Das ist einerseits alltäglich. Kinder laufen manchmal weg. Anderseits führen Regisseur Sebastian Ko und Drehbuchautorin Karin Kaçi ihre Heldin von Anfang an auf glattes Eis. Irgendetwas stimmt nicht an der Reaktion Martas, einer beruflich erfolgreichen Ärztin jenseits der 40, der Susanne Wolff ein schillerndes Oszillieren zwischen zupackendem Optimismus und undurchsichtiger Vergangenheit verleiht. In der nach außen glücklichen Beziehung mit Kind und dem älteren Mann, der nicht der Vater ist, schwingt ein Geheimnis mit. „Du fehlst mir“, klagt Partner Roland, als Marta ihm den Nacken massiert in der alten, von Rolands reicher Familie geerbten Villa im Grünen. „Wieso“, gibt sie zurück, „ich bin doch da.“ Wie so oft bringt dann ein Dritter das fragile Gleichgewicht des wohlsituierten Paares aus dem Takt. In diesem Fall ist es der jüngere Arbeiter Valmir (Florist Bajgora) aus Albanien, der das Bad renovieren soll.

Die Versatzstücke der Kombination von Familiendrama und Thriller sind nicht neu: das einsame Haus, die schaurig-schöne Moorlandschaft, die bedrohliche Musik. Aber ähnlich wie in seinem Debüt Wir Monster setzt Regisseur Sebastian Ko sie so zusammen, dass die gutbürgerliche Fassade Risse bekommt. Atmosphärisch dicht erkundet die Inszenierung die Sehnsüchte dreier Menschen nach einer Geborgenheit, die sie um keinen Preis verlieren oder – im Falle des in Deutschland fremden Valmir – um jeden Preis erobern wollen. In welche Abgründe sie dabei eintauchen, umkreist der Film in sorgfältig komponierten Einstellungen, die das in jedem Menschen schlummernde Böse nicht einfach behaupten, sondern Schicht für Schicht freilegen – bis hin zu schockartigen Durchbrüchen.

Geborgtes Weiß gehört zu den Filmen, die ähnlich wie der vor ein paar Monaten angelaufene Le Prince von Lisa Bierwirth die linksliberale Weltoffenheit gegenüber Migranten auf den Prüfstand stellen. Gilt die Willkommenskultur auch dann, wenn sie das eigene Glück bedroht? Und zeigen sich tief sitzende Vorurteile erst, wenn es um engste Beziehungen geht, in die das Fremde vordringt? Der Mix aus Drama und Genre gibt darauf keine einfachen Antworten. Aber der Film, mit dem Sebastian Ko nach einigen Tatorten und Fernseharbeiten ins Kino zurückkehrt, beharrt hintergründig darauf, dass der Wohlstand des Westens erkauft ist mit dem Leid von Menschen aus Ländern wie Albanien. Und dass die fleckenlose Weste eine Illusion bleibt, solange die globale Kluft zwischen arm und reich weiter besteht.

Geborgtes Weiß (2021)

Ein beschauliches, bequemes Leben führen Marta (Susanne Wolff) und Roland (Ulrich Matthes) mit ihrem kleinen Sohn Nathan (Elia Gezer). Als der albanische Wanderarbeiter Valmir (Florist Bajgora) in das Leben der Familie tritt, gerät deren Welt aus den Fugen. Der vergeistigte Roland heuert den ungeschliffenen, wortkargen Valmir nur zu gern für Renovierungsarbeiten an, und anfangs stört es ihn nicht, dass Marta sich zu dem jungen Mann hingezogen fühlt. Während Valmir das Bad des traditionsreichen Anwesens renoviert, dringt er mehr und mehr in den Alltag der Familie ein. Besonders mit dem kleinen Nathan scheint er auf besondere Art verbunden zu sein. Bald schon muss Marta erfahren, dass Valmir und sie ein Geheimnis verbindet, das nicht nur ihre Ehe, sondern ihre ganze Existenz in Gefahr bringt. (Quelle: Farbfilm Verleih)

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