Ganz große Oper - Vorhang auf für eine Liebeserklärung

Kraftwerk der Gefühle

„Im 20. Jahrhundert ist der öffentliche Hauptsitz der Gefühle das Kino“ heißt es in Alexander Kluges kleinem Textkaleidoskop Leben der Gefühle, worin die Grenzen wie Überschneidungen zwischen der Oper einerseits – dem „Kraftwerk der Gefühle“ – und dem Film – als siebte Kunstgattung und zugleich erste Massenkunst – in bemerkenswerte Beziehungen zueinander gesetzt werden. Beide Künste zehren nämlich explizit von der „Macht der Gefühle“ (Alexander Kluge), was in Teilen auch auf Toni Schmids dokumentarische Liebeserklärung an die Oper – und das Münchner Nationaltheater im Speziellen – zutrifft.

Denn nicht selten sind einige Abende dort in einem der besten Musiktheater der Welt, das zudem über eine ausgezeichnete Ballettkompanie sowie ein hochklassiges Orchester verfügt, in der Tat Ganz große Oper. So heißt auch Toni Schmids (Haindling und überhaupts) neuester Dokumentarfilm, der sich nach vorherigen Arbeiten zu Dieter Dorn, Lothar-Günther Buchheim und Dieter Hildebrandt nun dem Herzstück der Münchner Hochkultur zugewandt hat: der Bayerischen Staatsoper.

Wer darin allzu kritische Töne erwartet, bekommt dazu im übertragenen Sinne natürlich keinen Einlass: Denn Toni Schmid ist bekanntermaßen der Ministerialdirigent im Bayerischen Kultusministerium, er ist damit nichts weniger als der bedeutendste Entscheidungsträger in vielerlei Finanz-, Posten- und Kulturfragen im Freistaat – und dementsprechend einfach lässt sich für ihn ein neues filmisches Herzensprojekt nach dem anderen realisieren. Bei einem Arbeitsprojekt „Opernfilm“ ist es sicherlich nicht von Nachteil, wenn der ausführende Regisseur parallel auch den Vorsitz im Verwaltungsrat der Bayreuther Festspiele innehält. Und damit nicht genug: Toni Schmid sitzt beispielsweise ebenso im Aufsichtsrat des FFF Bayern, der rein zufällig seinen neuesten Dokumentarfilm mit stolzen 60.000 Euro gefördert hat. Auch das ist im Hintergrund „ganz große Oper“ und im Prinzip auch sehr münchnerisch.

Dementsprechend luftig-leicht, aber nicht unbedingt seicht ist die Tonlage, manch durchaus interessante Einblicke in die Eingeweide dieses „Kraftwerks der Gefühle“sind mit dabei. Zudem erfährt gerade der Nicht-Münchner und mögliche Opernneuling, auf den dieser Film vom Gestus her an manchen Stellen deutlich abzielt, wirklich einiges über den gigantischen Betrieb hinter jeder einzelnen der insgesamt 264 Aufführungen im Jahr. Gut 800 Festangestellte und noch einmal um die 400 freien Mitarbeiter aus insgesamt 47 Nationen sorgen ziemlich verborgen täglich aufs Neue dafür, dass sich wieder – wie selbstverständlich – der Vorhang hebt, das richtige Bühnenbild steht, die wieder einmal verzögerten Arbeiten im gigantischen Poinger Malersaal endlich vorangehen – oder eine leidige Diskussion um Bademäntel als mögliche Kostüme mit Erfolg zu Ende geführt wird. Dass auch die große Mitarbeiterschaar selbst für ihr Haus brennt, egal ob hinter der Garderobe, im Kostüm, am Taktstock oder im Orchestergraben, vermittelt sich gleich mehrfach im Duktus und außerdem recht charmant-galant in Toni Schmids Regie, dem mit diesem Filmprojekt insgesamt wirklich eine heiter-gelungene Hommage an den Kosmos „Münchner Nationaltheater“ gelungen ist: Ein runder Film ohne große Ecken und Kanten, den die Münchner Operngänger sicherlich genau in dieser Form sehr lieben werden.

Schließlich wird in kaum einer anderen europäischen Metropole so sehr der Oper, also dieser scheinbar nie überkommenen Kunstform, dermaßen leidenschaftlich gehuldigt wie in der bayerischen Landeshauptstadt. Nur wenige Musiktheater weltweit verfügen über eine derartig kontinuierliche Tradition: Mozarts [i]Idomeneo[/i] und Wagners [i]Die Walküre[/i] wurden hier unter anderem uraufgeführt. Bis heute sind beide Komponisten – zusammen mit Richard Strauss und Giuseppe Verdi – so etwas wie die hochlebendigen Hausgeister. Keine anderen Komponisten werden in München häufiger gespielt und inszeniert als diese magische Viererbande: Experiment und Avantgarde werden hier gerne in den 3. Rang verbannt. Die Schlagworte „Schönheit und Sicherheit“ schweben dementsprechend auch leitmotivisch über Toni Schmids sinnlichem Appetitmacher-Film für das Münchner Hauspublikum.

Denn wer selbst schon des Öfteren in jenen heiligen Hallen zu Besuch war, der weiß auch: In wenigen Städten existiert ein in Opernmusik vernarrteres Publikum als hier! Sir Peter Jonas, der ehemalige Intendant der Bayerischen Staatsoper, erzählt in Ganz große Oper augenzwinkernd, trotzdem punktgenau, von genau diesem extrem Münchnerischen Phänomen: Spinner, Kenner, Besserwisser und Laien geben sich hier allabendlich die Klinke in die Hand. Wer denkt dabei nicht automatisch an Helmut Dietls grandiose [i]Monaco-Franze[/i]-Episode mit Helmut Fischer, Ruth Maria Kubitschek und einer Christine Kaufmann in Bestform, in der der ewige Stenz in geselliger Bussi-Bussi-Runde seine ganz persönliche Opernkritik abliefert – und es schnell zum Eklat kommt!

Dazu wird es mit Toni Schmids Film sicherlich nicht kommen, aber ein G’schmäckle bleibt: das vom omnipräsentem „Gefühl der Macht“, in Umkehrung zu Alexander Kluges feinsinnigen Gedanken.

Ganz große Oper - Vorhang auf für eine Liebeserklärung

„Im 20. Jahrhundert ist der öffentliche Hauptsitz der Gefühle das Kino“ heißt es in Alexander Kluges kleinem Textkaleidoskop Leben der Gefühle, worin die Grenzen wie Überschneidungen zwischen der Oper einerseits – dem „Kraftwerk der Gefühle“ – und dem Film – als siebte Kunstgattung und zugleich erste Massenkunst – in bemerkenswerte Beziehungen zueinander gesetzt werden.

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