Fünf Sterne

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Rette sich, wer kann (das Leben)

Keiner der Filme von Annekatrin Hendel ist einfach strukturiert, keiner kommt ohne vielfache Reibungen aus: Darunter befinden sich grandiose (Vaterlandsverräter), komplexe (Anderson) und zwiespältige (Fassbinder) Arbeiten. Fünf Sterne, auf der Berlinale uraufgeführt und dort mit dem Heiner-Carow-Preis prämiert, reiht sich – nicht unbedingt formal, aber in jedem Falle inhaltlich – nahtlos in ihr abwechslungsreiches Œuvre als außergewöhnlich wagemutige Filmemacherin ein.
Eine einfache Person sei sie sicherlich nicht, betont die in der DDR sozialisierte Autorenfilmerin regelmäßig bei Filmfestivals. Annekatrin Hendel schert sich eben grundsätzlich um nichts, geht einfach ihren Weg, der sie jüngst in den stellvertretenden Vorstand der Deutschen Filmakademie geführt hat. Zugleich eilt ihr innerhalb der Branche ein Ruf als harte Produzentin voraus, wovon beispielsweise Andreas Wilcke (Die Stadt als Beute) zu berichten weiß: Wenn ihr etwas nicht passt, muss man nicht lange auf ein beherztes Contra warten.

Warum sie sich daher mit Ines Rastig (1965 – 2016), der nicht minder sperrigen Protagonistin ihres neuesten Films, so gut seit Jugendtagen („Befreundet sind wir, seit wir Teenager sind“) verstand, erklärt sich mit diesem Hintergrundwissen quasi von selbst. Denn Ines war – ähnlich wie Hendel – bereits in den letzten Jahren der DDR, also kurz vor der politischen Wende von 1989, vielseitig talentiert: Sie versuchte sich – einige Zeit durchaus mit großem künstlerischen wie finanziellen Erfolg – parallel in vielerlei Disziplinen. „It’s magic, ist ihre Devise“, hört man Hendel einmal dazu aus dem Off kommentieren.

Ob als talentierte Bandsängerin, Malerin und Produktions- und Ausstattungsassistentin (z.B. bei Michael Verhoeven oder Margarethe von Trotta) oder als quirlige Bühnen- und Kostümbildnerin bei avantgardistischen Theater-, Mode- und Film-Projekten (u.a. bei „New Affaire“ zusammen mit Arnim Bautz): Sie war ein bunter Hund in der legendären Berlin-Mitte-Szene, rund um die Oranienburger Straße herum.

Während der radikalen Umbruchsjahre 1989 bis 1995 erfand sie stetig etwas, nur sich selbst konnte sie dabei eigentlich nie wirklich finden. Auch davon erzählt Fünf Sterne ziemlich ungeschönt, sozusagen ohne Schutzscheibe durch die Freundschaft zwischen Rastig und Hendel, was diesem sehr intimen Filmexperiment, entstanden im Rahmen eines Stipendiums für das spätestens seit Love Steaks filmhistorisch durchaus schon bekannte Luxus-Hotel „The Grand“ in Ahrenshoop, nur allzu guttut.

Viel zu schnell hätte das Ganze nämlich lediglich ein weiterer Dokumentarfilm über das Sterben werden können, denn Ines hat Lungenkrebs: im Endstadium. Sind es gut 12 Wochen, die ihr bleiben werden – oder noch etwas mehr? Keiner der Ärzte kann ihr das definitiv beantworten. Zusammen mit ihrer Busenfreundin Hendel zieht die inzwischen wohnungslose, finanziell abgebrannte („So arm wie ne Kirchenmaus“) Ines schließlich für ein letztes Ausstellung- und Fotoband-Projekt in das feine Hotel an der Ostsee.

Was bleibt, sind 36 Quadratmeter Luxus, vier Wochen lang frisches Obst und allerlei Hotel-Annehmlichkeiten, jedoch auch Ines’ Internetsucht: Zig Stunden täglich verbringt sie seit Jahren schon auf Facebook, dort hat sie sogar einen neuen, also „echten“ Mann an ihrer Seite gefunden, wie Ines das vollkommen überzeugt ihrer hörbar verwirrten Freundin und Filmemacherin erklärt.

Aber anstatt einmal ein paar Schritte an die frische Luft zu gehen oder endlich ihre geliebte Tochter in Leipzig anzurufen, vernarrt sie sich immer weiter in „ihren“ virtuellen Lover Harvey aus den USA, den sie jedoch im realen Leben noch nie getroffen hat! Minütlich verwandelt sich das gesamte Setting auf diese Weise in einen scheinbar unentrinnbaren Teufelskreis: Alles für die Kunst? Durchaus noch, denn Ines fotografiert (und postet hunderte Male) in ihren letzten Lebenstagen.

Aber einmal noch Reinemachen, gar einen Neuanfang mit ihren Liebsten aus dem offensichtlich alles andere als realen Leben da draußen zu schaffen: Das kommt der sichtlich Todgeweihten überhaupt nicht in den Sinn. Stattdessen bekommt die Filmemacherin ihren Stinkefinger vor die Linse – und im Hintergrund läuft der Techno-Track „Die Straße deiner Träume waren nur Illusionen“ …

Ines ist – und bleibt – bis zum bitteren Schluss eine Frau voller Widersprüche, eine. die einerseits selbst noch im Angesicht ihres baldigen Todes zu Galgenhumor aufgelegt ist („Von diesem vielen Opium, fiel unser lieber Opi um“), andererseits sich aber nun erst recht nicht mehr verbiegen lässt: Nicht einmal von ihrer besten Freundin.

Eine „bundesdeutsche Hausfrau“ wollte sie eben nie werden, kommentiert das Ines lapidar, aber auch mit sichtlicher Wut im Bauch. „Es war wirklich wie im Irrenhaus“, „Ich bin draußen: Abserviert“ oder „Ich bin wirklich durch die Hölle gegangen“ lauten andere markante O-Töne aus ihrem Mund, weitere Lebenssplitter aus Ines’ wirrer Achterbahnexistenz, die beständig zwischen Stil und Absturz schwankte. Und jetzt? Ist sie einfach nicht mehr da, sondern nur noch bei PeterLicht: Auf dessen Sonnendeck, ihrem Lebenstrack. Ende.

Fünf Sterne

Keiner der Filme von Annekatrin Hendel ist einfach strukturiert, keiner kommt ohne vielfache Reibungen aus: Darunter befinden sich grandiose („Vaterlandsverräter“), komplexe („Anderson“) und zwiespältige („Fassbinder“) Arbeiten.
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