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Johannes fühlt sich dort, wo er zuhause ist, fremd. Das liegt nicht nur an der Pubertät, die ihm das Kindsein vergällt und ihn wünschen lässt, erfahrener zu sein. Er wohnt auf einem tristen Bauernhof, der vielleicht keine Zukunft hat. Und er glaubt, dass die Leute in der Stadt auf ihn herabsehen.

Fünf Dinge, die ich nicht verstehe (2018)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Zukunftslose Landjugend

Manchmal reichen schon zwei, drei Filmszenen aus, um das Lebensgefühl einer Figur perfekt zu charakterisieren. Johannes (Jerome Hirthammer) ist 15 und sein schnurgerade geschnittener Pony lässt ihn brav aussehen. Vor dem Spiegel im Bad probiert Johannes die vierfarbige Bikerjacke an, die er im Bach gefunden hat. Er boxt in die Luft, dreht an imaginären Motorradgriffen. Als er morgens über das Feld zur einsamen Haltestelle hastet, fährt ihm der Bus vor der Nase weg.

Das Langfilmdebüt des Regisseurs Henning Beckhoff ist die Coming-of-Age-Geschichte eines Jungen vom Lande. Johannes besucht die Schule in der nahegelegenen Kleinstadt im Ruhrgebiet, meistens aber schwänzt er sie. Lieber treibt er sich draußen herum, durchmisst die Gegend mit dem Fahrrad, geht zu den Steinmauern der Talsperre. In Voice-Over erzählt Johannes, dass er für die Schule einen Aufsatz schreiben sollte zum Thema, das diesem Film auch seinen Titel gibt. Er habe gar nichts geschrieben, sagt er, denn es gebe so viel, was er nicht verstehe. Der Film wurde, wie der Abspann verrät, in Zusammenarbeit mit Jugendlichen aus der Region entwickelt, die sich mit dem Thema auseinandersetzten. Beckhoff wuchs selbst in der Gegend auf und lässt in dem Film auch Erinnerungen an seine eigene Kindheit und Jugend zwischen Land und Stadt einfließen.

Johannes fühlt sich nirgends so richtig zugehörig. Auf dem Bauernhof des Vaters (Peter Lohmeyer) arbeitet der ältere Bruder Christian (Henning Flüsloh) mit und auch Johannes muss helfen. Die Mutter hat den Hof verlassen, es gibt noch eine Oma, die kaum ein Wort sagt und nicht mehr mitarbeiten kann. Der Vater überlegt, einen Job als Paketausfahrer anzunehmen, um über die Runden zu kommen. Im Haus herrscht Unordnung, niemand fühlt sich für den Haushalt verantwortlich.

Johannes hat eine beste Freundin, Marike (Michelle Tiemann), mit der er in eine Klasse geht. Einmal klingelt er an ihrer Haustür in der Stadt, um ihr selbst geangelte Fische zu bringen. Aber zunehmend schleicht sich eine Missstimmung, eine Entfremdung in diese Freundschaft, die vielleicht mit Johannes‘ sexuellem Erwachen zu tun hat. Oder damit, dass er seinem älteren Bruder nacheifert und die Nähe seiner unbeschwerten, selbstbewussten Freundin Rosa (Victoria Schulz) sucht. 

Irgendwie fühlt sich Johannes in der Stadt nicht richtig anerkannt, sondern als Bauerntölpel belächelt. Der Film bietet wenig Hinweise dafür, dass dieser Eindruck berechtigt ist. Kann sein, dass der Jugendliche sich das selbst zusammenreimt. Darauf deutet die Eingangsszene hin, in der zwei Umweltschützerinnen auf dem Land der Familie aufkreuzen, weil sie sich für Wildkatzen einsetzen und die schützende Vegetation, die sie benötigen. Weil Johannes sich von den jungen Frauen wie ein kleiner Junge behandelt fühlt, reagiert er konfrontativ und abweisend. Aber so wie diese Städterinnen Natur- und Tierschutz verstehen, ist er Johannes auch unbekannt. Hier auf dem Land wird die Tradition hochgehalten, zu der auch die Treibjagd mit dem zeremoniellen Halali gehört. 

Der elterliche Hof wirkt armselig und aus der Zeit gefallen, er duckt sich verloren in eine Landschaft, die so verlassen aussehen und dann wieder voller Reize stecken kann. Die Kamera fängt die Weite, die Leere, die herbstliche Stimmung in sinnlichen Aufnahmen ein. Mal fühlt sich Johannes hier wie auf einem riesigen Abenteuergelände, mal von der Tristesse der Ereignislosigkeit niedergestreckt. 

Beckhoffs Inszenierung interessiert sich weniger für äußere Ereignisse, als für die Stimmungslage der Hauptfigur. Sie schildert die Identitätskrise des Jugendlichen sehr überzeugend. Anfangs erwähnt der Charakter einmal in Voice-Over, dass er jeden Moment bei einer Treibjagd erschossen werden könne. Es dauert dann eine Weile, bis man als Betrachter*in registriert, dass es sich hier trotzdem nicht wirklich um einen Thriller handelt. Der Vater ist Jäger und will, dass auch Johannes den Jagdschein erwirbt. Stolz drückt er dem Sohn das Gewehr in die Hand, das ihm einst sein Vater gab.

Allerdings kann ein Gewehr in der Hand eines Jugendlichen wie aus dem Nichts Fakten schaffen, die keiner wollte. Jerome Hirthammer spielt Johannes‘ Erschrecken, als sich sein erster Schuss eher unerwartet löst, hervorragend. Hirthammers Darstellung überzeugt insgesamt, weil sie die kindlich verspielte Seite der Figur so unbefangen ausdrückt. Auch Marikes Darstellerin Michelle Tiemann beweist eine Ausdruckskraft, die fast keiner Worte bedarf. So spielt sie besonders eindrucksvoll, wie ihr Johannes‘ neue Unfreundlichkeit die Sprache verschlägt. 

In der Stadt gibt es ein Flüchtlingsheim, in dem Marikes Mutter (Anna Böttcher) tätig ist. Johannes‘ Bruder Christian betrachtet es jedoch als Zielscheibe für seine Aggressionen und seine Ausländerfeindlichkeit. Er probt dort nachts im Hof kleine Akte der Sachbeschädigung und fordert Johannes auf, es ihm gleichzutun. Johannes wird bewusst, dass er eine eigene Haltung einnehmen muss. 

Unbehaustsein ist ein Gefühl, das einem auch die eigene Heimat vermitteln kann. Erst recht in der Jugend, diesem unbequemen Zustand der Veränderung. Henning Beckhoff erzählt knapp, mit Andeutungen und Lücken, die Raum für eigene Interpretationen lassen. So wirkt sein Film skizzenhaft, der Ton bleibt vage und verhalten. Das passt aber auch ganz gut zur Flüchtigkeit des Geschehens, in dessen Verlauf Johannes so viele Gewissheiten zwischen den Fingern zerrinnen. 

Fünf Dinge, die ich nicht verstehe (2018)

Der 15-jährige Bauernsohn Johannes schwänzt lieber den Unterricht und streunt in der Stadt herum, als seine Zeit in der Schule zu verbringen. Von seinem Vater und seinem Bruder wird er vernachlässigt und so sucht er Gesellschaft bei seiner besten Freundin Marike. Als aus ihrer Freundschaft allmählich Liebe wird, weiß Johannes nicht mehr wohin er gehört. Er geht mit den Männern jagen, begleitet seinen Bruder durch die Nacht und verschließt sich vor Marike, die sich entäuscht von ihm abwendet. Johannes versucht wegzurennen — aber vor sich selbst weglaufen kann er nicht.

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