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Wie aus dem Urlaubstraum ein Albtraum wird: Die polnische Regisseurin Anna Kazejak wirft einen ebenso bösen wie erheiternden Blick auf die Sackgassen zweier Liebesbeziehungen. 

Fucking Bornholm (2022)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Überlebte Rollenbilder

Sonne, Meer und Glücklichsein rund um die Uhr: Auf den Urlaubstagen liegt oft ein erheblicher Druck, nun all das nachholen zu müssen, was im stressigen Alltag vermisst wird. Mitunter ist die Spaßbelastung derart heftig, dass sie die letzte Luft aus den familiären Beziehungen drückt, die diese gerade noch aufrechterhält. Die polnische Regisseurin Anna Kazejak beweist in ihrem dritten Spielfilm ein hochsensibles Gespür für die Risse, aus denen Spontaneität, Lebensfreude und das einstige Glück entweichen. Sie untersucht die Spannungen innerhalb und zwischen zwei Paaren mit einem analytisch scharfen, manchmal bösen, aber insgesamt erheiternden Blick.

Man muss keine Gedanken lesen können, um Majas (Agnieszka Grochowska) Mienenspiel zu interpretieren. „Das fängt ja gut an“, scheint sie sich zu sagen, als sie an der Theke der Fähre zwischen dem polnischen Festland und der dänischen Ferieninsel Bornholm auf zwei Kaffees wartet und ihren Mann Hubert (Maciej Stuhr) dabei beobachtet, wie er mit Nina (Jasmina Polak) flirtet. Die deutlich jüngere Frau ist die neue Freundin des frisch geschiedenen Dawid (Grzegorz Damiecki). Sie ist zum ersten Mal mitgekommen zum gemeinsamen Camping mit Maja und Hubert. Die paar Urlaubstage auf der Insel rund um den 1. Mai sind quasi eine Tradition, früher war Dawids Frau immer dabei, nun also Nina, die gerade ihr Psychologiestudium abgeschlossen hat. Im Schlepptau sind natürlich auch Kais Sohn sowie Majas und Huberts Söhne, alle so um die zehn. Aber zurück zum Fremdgeturtel: Während Maja kritisch ihren Mann beäugt, wird auch sie angeflirtet, nämlich von Dawid, der sie seit Studientagen anhimmelt. Wo nur ihr strahlendes Lächeln geblieben sei, will er wissen.

Das fragt sich womöglich auch das Publikum. Denn Maja kann in der wundervoll einfühlsamen Interpretation von Agnieszka Grochowska so genervt und sorgenvoll, so ausgelaugt und angespannt in die Welt schauen, dass sich in einem einzigen Gesichtsausdruck die jahrelange Mühsal von Ehe und Mutterdasein spiegeln. Hubert, ihr Angetrauter, blickt anders, aber ebenfalls recht angespannt und kontrollsüchtig auf die kommenden Urlaubstage. Alles ist schon durchgeplant: sein morgendlicher Zehn-Kilometer-Lauf, die Fahrradausflüge mit den teuren Mountainbikes, das Unterhaltungsprogramm für die Kids. Auch bei dem anderen, obwohl frisch verliebten Paar steht nicht alles zum Besten. Der Mittvierziger Dawid kann nur schwer mit dem jugendlichen Schwung seiner lebenslustigen Partnerin mithalten, die ihn auf Tinder abschleppte. Alles in allem braucht es im Beziehungstanz des Quartetts nur einen kleinen Fehltritt, um die Spannungen eskalieren zu lassen. Der besteht in einem nächtlichen Doktorspiel der drei Jungs, das den kleinsten von ihnen nachhaltig verstört. Der Streit über die angemessene Reaktion darauf gerät schnell in den Strudel grundsätzlicher Zerwürfnisse.

Von der Inhaltsangabe her ist der Beziehungs- und Freundschafts-Crash zwischen allen Beteiligten eine veritable Tragödie. Aber auf der formalen Ebene schlägt Regisseurin Anna Kazejak ganz andere Töne an. Die Vivaldi-ähnliche Musik von Jerzy Rogiewicz lässt die Vögel zwitschern, die sanft bewegte Kamera von Jakub Stolecki feiert das frühsommerlich flirrende Licht. Auf der visuellen und akustischen Ebene geht es nicht nur darum, dass das Tragische immer zugleich auch komisch ist. Sondern vor allem darum, dass die Filmemacherin und ihr Ko-Drehbuchautor Filip Kasperaszek ihren Charakteren einen Lernprozess zutrauen. Sie geben die Auseinandersetzung um ein gleichberechtigtes Miteinander der Geschlechter nicht verloren, allen Kommunikationsproblemen und überlebten Rollenbildern zum Trotz. 

„Eine Frau ist kein Auto“, sagt Dawid einmal zu Hubert, als der im Suff über eine vermeintliche Parallele zwischen dem Wertverlust des Kaufobjektes und dem Spannungsverlust in einer Beziehung lamentiert. Treffender könnte man Huberts veraltetes, auf Verdrängung, Pragmatismus und „Boys Talk“ setzendes Männerbild kaum beschreiben, das sich von den Ansprüchen einer neuen, auf Gleichberechtigung drängenden Frauengeneration bedroht sieht. Trotzdem besteht der tragikomische Charme von Fucking Bornholm nicht in einer Haudrauf-Schuldzuweisung, sondern in der fein ausgetüftelten Balance zwischen den vier Erwachsenenrollen, von denen keine von vorherein verurteilt wird. Eher gleicht der filmische Ansatz einer Versuchsanordnung zwischen zwei Paaren, aus deren leicht distanzierter Betrachtung sich der Humor speist. Dabei wird man einer Frau auf dem Regiestuhl allerdings kaum verübeln wollen, dass sie sich gegen Ende auf Majas Seite stellt, die als Erste einen Ausweg aus der Sackgasse ihrer Ehe findet. Ob der düpierte Gatte folgen wird oder nicht, darf sich das Publikum angesichts des offenen Endes selbst ausmalen. 

Fucking Bornholm (2022)

Eine Gruppe von Freunden verbringen gemeinsam mit ihren Familien ein schon zur Tradition gewordenes verlängertes Wochenende auf der dänischen Insel Bornholm. Als es zwischen den Kindern zu einem Zwischenfall kommt, legt dieses Ereignis die brüchigen Beziehungen der Menschen zueinander bloß.

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