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Die Debütantin Suzanne Lindon, Jahrgang 2000, erzählt in „Frühling in Paris“ von der ersten Verliebtheit. Kitsch, Drama, Übertreibung? Fehlanzeige!

Frühling in Paris (2020)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die erste Liebe, ganz unaufgeregt

Im Alter von 15 Jahren begann Suzanne Lindon, Tochter des Schauspiel-(Ex-)Paares Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon, ein Drehbuch zu schreiben. Für ihr daraus entstandenes Leinwanddebüt „Frühling in Paris“ übernahm sie dann, ein paar Jahre später, nicht nur die Regie, sondern auch die Hauptrolle. Obendrein steuerte sie als Sängerin das Lied bei, das im Abspann erklingt.

Bei so viel kreativem Einsatz in verblüffend jungem Alter drängt sich ein Vergleich mit dem Frankokanadier Xavier Dolan auf. Doch während sich dieser in seinem Erstling I Killed My Mother (2009) mit großen filmischen Gesten durch die emotionalen Höhen und Tiefen der Adoleszenz wütete, geht Lindon überraschend ruhig und bedacht vor. Beinahe ließe sich behaupten, ihr Werk sei in all seiner zurückgenommenen, leisen Art das Gegenstück zu den überbordenden Bildern Dolans. Was die beiden indes verbindet, ist die audiovisuelle Eleganz. Frühling in Paris ist ein wunderschöner Film – nur eben auf eine ganz und gar nicht narzisstische Weise.

Das ist bei Weitem nicht das Einzige, was der Debütantin hier gelungen ist. Da wäre zum Beispiel auch noch die sehr außergewöhnliche Verquickung einer realistisch anmutenden Milieuschilderung und Momenten des Spielerisch-Verträumten. So wirken die Situationen, die die schüchterne Protagonistin Suzanne am familiären Küchentisch mit ihren Eltern (Frédéric Pierrot und Florence Viala) und ihrer älteren Schwester Marie (Rebecca Marder) erlebt, stets wie eine glaubhafte Darstellung der oberen Pariser Mittelschicht. Und zugleich ist es absolut stimmig, wenn die Jugendliche in einem Augenblick des Glücks spontan in den Straßen von Montmartre zu tanzen anfängt, als sei sie der Star eines nostalgischen Musicals.

Und überhaupt, diese choreografischen Elemente! An einer Stelle setzt der Theaterschauspieler Raphaël (Arnaud Valois) Suzanne in einem Café seine Kopfhörer auf. Das Opernstück animiert Suzanne zu Bewegungen, die Raphaël wie in einem Akt der Gedankenübertragung ebenfalls ausführt. Die 16-Jährige und der Mittdreißiger erkennen einander als verwandte Seelen. Das könnte furchtbar kitschig beziehungsweise überaus unangenehm sein. Aber auch dabei trifft Lindon genau die richtigen Töne.

Wer voyeuristische Lolita-Softerotik erwartet, liegt ebenso falsch wie diejenigen, die eine desillusionierende Coming-of-Age-Eskalation befürchten. Frühling in Paris widmet sich gänzlich der Perspektive der jungen Heldin, die sich unter Gleichaltrigen meist ziemlich gelangweilt fühlt. Auf Partys oder auf dem Schulhof sitzt und steht Suzanne (gedanken)verloren herum. Der fast zwei Dekaden ältere Schauspieler Raphaël fasziniert sie hingegen sofort. Allerdings wird deutlich, dass er in erster Linie eine Fantasie, eine Idealvorstellung ist. Im schicken Anzug erscheint er zur Verabredung. Er ist klug und sensibel. Doch er ist nicht zwangsläufig Suzannes große Liebe. Er wird sie auch nicht retten, denn sie muss gar nicht gerettet werden. Die beiden bringen einander einfach zum Tanzen, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Und egal ob man 16, 32 oder 64 ist – man versteht, wie zauberhaft das ist.

Die Cinephilie ist Lindons erster Arbeit in zahlreichen kleinen Details anzumerken – etwa wenn die Regisseurin Referenzen an Maurice Pialat einbaut, mit dem ihre Mutter 1983 das Drama Auf das, was wir lieben drehte. Aber vor allem zeigt Lindon in Frühling in Paris, dass sie über eine ganz individuelle, leicht melancholische und äußerst warmherzige Stimme verfügt. Wir dürfen uns auf alles freuen, was da noch kommen wird!

Frühling in Paris (2020)

Suzanne ist 16 Jahre alt, doch ihre Altersgenoss*innen langweilen sie zutiefst. Auf ihrem Weg zur Schule kommt sie jeden Tag an einem Theater vorbei. Dort begegnet sie einem älteren Mann, der sich in sie verliebt. Trotz des Altersunterschieds finden die beiden Gefallen aneinander und verlieben sich. Doch dann bekommt Suzanne Angst, dass sie etwas im Leben verpasst — das ganz normale Leben eines Mädchens in ihrem Alter.

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