Free Speech

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Generation Widerstand

Sein Vater hatte Tarquin Ramsay während eines Sri-Lanka-Aufenthalts die Herkules-Aufgabe gestellt, einen Film zum aktuellen Zustand der Meinungsfreiheit zu drehen. Was im Prinzip zuerst aus einer reinen Laune heraus entstanden war, ging der zu dieser Zeit gerade erst fünfzehnjährige Schüler dann aber seit 2001 ziemlich konsequent an: Als frischer Repräsentant einer sich aufmüpfig gebenden, keineswegs politikfernen Generation Gegenwart ist ihm in seinem Langfilmdebüt Free Speech Fear Free Besonderes gelungen. Etwas, worauf viele ältere – und zudem bedeutend erfahrenere – Dokumentarfilmer in den vergangenen, politisch obendrein sehr unruhigen Jahren bemerkenswerter Weise nie gekommen sind. Nämlich einer Reihe extrem verschiedener Menschen eine einfach klingende Frage zu stellen: „What is free speech?“ Wie steht es also gegenwärtig tatsächlich um das Recht auf freie Meinungsäußerung, dazu konkret in einer durch und durch komplexer gewordenen Welt? Sprich in einer Welt, die populistische Meinungsmacher genauso wie unheimliche Datenkrakenmaschinen zulässt.
Mit dieser festen Fragekonstellation im Kopf suchte Ramsay eine ganze Armada sehr heterogener Themenexperten auf, die vom Passanten zur Lehrerin reichten, die entweder zur Entstehungszeit besonders prominent waren (wie z.B. Julian Assange) oder die in zeitgenössischen Debatten um Persönlichkeitsrechte und freie Pressearbeit gerne zitiert werden. Sarah Harrison ist eine von ihnen. Als freie Journalistin steckte sie ihren Kopf nicht nur einmal da hinein, wo berufliches Schnüffeln unerwünscht ist: Zum Beispiel in diverse Staatsinterna oder – präziser formuliert – in mannigfaltige Geheimdienstaktivtäten, die täglich im Hintergrund stattfinden. Inzwischen muss Harrison, eine enge Vertraute Edward Snowdens, selbst im Berliner Exil leben: aus Angst vor permanenter Ausspionierung!

Speziell in diesen O-Ton-Passagen kann Ramsays Erstlingsfilm längere Zeit Aufmerksamkeit erzeugen – und den Zuschauer zugleich permanent neugieriger machen. Der junge Filmemacher selbst wurde während seiner Arbeit an diesem recht unkonventionellen Dokumentarfilmprojekt nach eigener Aussage selten das Gefühl los, nicht andauernd überwacht zu werden. Während eines Drehtags am Londoner Bahnhof fühlte er sich beispielweise plötzlich von einem seltsamen Mann observiert, der ihm zuerst in den Supermarkt folgte und den er anschließend erneut in einem Zug traf, ganz zufällig natürlich …

Im Laufe der fünfjährigen Arbeitsphase für Free Speech Fear Free konnte Ramsay am Ende sogar so etwas wie eine Best-of-Runde der derzeit bedeutendsten Mitglieder aus der internationalen Hacker-Community für sich und seinen Film gewinnen. Jacob Appelbaum ist beispielsweise mit dabei, der durch sein Spezialwissen um Computer-Sicherheitssysteme nicht nur innerhalb dieser eingeweihten Free-Speech-Szene zu einer regelrechten Instanz geworden ist. Und auch er muss sich – wie Julian Assange – mit dem Vorwurf sexueller Belästigung in mehreren Fällen auseinandersetzen.

Aber auch ganz junge Aktivisten sind im fertigen, nicht durchweg überzeugenden Film zu hören, wie zum Beispiel Niamh Barreto, die interessanterweise davon berichtet, dass sie sich selbst vorzensiert, wenn sie sich öffentlich im Internet äußert: Für die damals Elfjährige – und ihre Generation, die mit unzähligen Gesetzesnovellen im britischen Datenschutz aufwuchs – sei das inzwischen vollkommen normal geworden, was dann doch sowohl im Tonfall wie in der klaren Formulierung erst einmal überrascht.

Ansonsten fährt Tarquin Ramsay, der mit Vorliebe am Berliner Teufelsberg oder im bizarren Cyberpunk-Milieu der deutschen Hauptstadt gedreht hat, im Grunde allzu viele bekannte Fakten auf: Ob es nun um die Bedrohung durch neueste Tracking- und Überwachungstechniken geht oder die akute Einschränkung einer dezidiert künstlerisch-freien Meinung in der gegenwärtigen weißrussischen Diktatur. Was vom engagierten Ansatz her wirklich gut gemeint ist, bleibt in Free Speech Fear Free über weite Strecken recht oberflächlich in der eigentlichen Ausführung.

Trotzdem ist Ramsays mutiges Dokumentarfilmexperiment alles in allem gerade für ein junges Zielpublikum durchaus facettenreich – und zudem für manch ältere Berufskollegen erst recht sehenswert. Denn diskutieren kann man über Free Speech Fear Free zuhauf. Genau darum ging es in diesem Projekt ja. Viele Antworten müssen allerdings draußen in der realen Welt gesucht werden, denn die bleibt Tarquin Ramsays Film überwiegend schuldig. Schade.

Free Speech

Sein Vater hatte Tarquin Ramsay während eines Sri-Lanka-Aufenthalts die Herkules-Aufgabe gestellt, einen Film zum aktuellen Zustand der Meinungsfreiheit zu drehen. Was im Prinzip zuerst aus einer reinen Laune heraus entstanden war, ging der zu dieser Zeit gerade erst fünfzehnjährige Schüler dann aber seit 2001 ziemlich konsequent an: Als frischer Repräsentant einer sich aufmüpfig gebenden, keineswegs politikfernen Generation Gegenwart ist ihm in seinem Langfilmdebüt „Free Speech Fear Free“ Besonderes gelungen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen