Free Rainer – Dein Fernseher lügt!

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Geistiger Frühling

Hol’ dir das Superbaby – ein neues TV-Format? Zum Glück (noch) nicht. Aber Hans Weingartners wunderbare Satire über das deutsche Privatfernsehen ist von der Realität nicht weit entfernt: Quoten-Terror macht dumm. Und die Abwärtsspirale des schlechten Geschmacks scheint kaum noch aufzuhalten. Doch im Kino schlägt die Macht der Fantasie das TV-System mit seinen eigenen Mitteln. Eine Medien-Guerilla schnürt die Unterwanderstiefel, um Quoten zu manipulieren – für einen guten Zweck.
TV-Produzent Rainer (Moritz Bleibtreu) vom fiktiven Sender TTS ist extrem erfolgreich und extrem durchgeknallt. Den Polizeiwagen, der seinen Jaguar auf dem Senderparkplatz zugeparkt hat, schiebt er mit Blechschaden zur Seite. Dann rast er zugekokst über dreispurige Straßen, als befänden wir uns mitten in der finalen Verfolgungsjagd und nicht in den ersten Filmminuten. Auf den nächsten Crash folgt wenig später der übernächste.

Der ist folgenreich. Im anderen Auto saß Pegah (Elsa Sophie Gambard), eine geheimnisvolle junge Frau, ganz das Gegenteil von Rainer: ruhig, überlegt, einfühlsam. Aber: Pegah wollte Rainer bei dem „Unfall“ umbringen. Im Krankenhaus, in dem sich beide schwer verletzt wiederfinden, treffen sie weniger gewaltsam aufeinander. Und als Pegah verschwunden ist, entdeckt Rainer, was ihn mit ihr verbindet. Eine Pseudoreportage in einem von Rainer verantworteten Magazin hat Pegahs Großvater mit falschen Anschuldigungen in den Selbstmord getrieben.

Rainer will sich bessern. Er entwickelt ein anspruchsvolles Magazinformat. Aber die Quoten sind so katastrophal, dass die Sendung sofort abgesetzt wird. Rainer kündigt und trifft Pegah wieder. Gemeinsam mit Wachmann Philipp (Milan Peschel) von der Quotenermittlungsfirma IMA knacken sie das System und verändern mit einem technischen Trick die Quoten. Trash geht in den Keller, Dokus und Spielfilme klettern in die Höhe. Der gewandelte Rainer behält Recht: alles die Macht der Gewohnheit. Früher hatte man das Publikum an billige Soaps gewöhnt. Nun werden die Zuschauer zum Nachdenken verführt, weil anspruchsvolle Sendungen – dank angeblich erfolgreicher Quoten – immer öfter eine Chance bekommen. Eine Revolution ist im Gang. „Geistiger Frühling in Deutschland“, titeln die Zeitungen.

Regisseur Hans Weingartner inszeniert die Medienkritik mit Wucht und Lust an der Anarchie. Er erzählt kraftvoll und rau, mit Spannung und Tempo. Unter der Hand geht der Thriller in die Komödie über, denn der Coup der Quotenverdreher ist natürlich zu schön, um realistisch zu sein. Gewiss, Weingartner hat ein ernstes Anliegen. Im Schnitt schaut der Europäer täglich vier Stunden fern, da bleibt neben Arbeiten, Einkaufen Essen und Schlafen gerade mal eine Stunde zum Leben. Aber die These von den Medien als Opium des Volkes kommt alles andere als schwerfällig daher.

Es scheint, als knüpfe da einer mit seiner antikapitalistischen Medienschelte an die Zeit von vor mehr als 30 Jahren an, als Sponti-Sprüche an Hauswänden standen: Fantasie an die Macht. Sicher nicht zufällig bringt Weingarten das „Ende des TV-Terrors“ mit Fassbinder-Filmen in Zusammenhang, die nun zu besten Sendezeiten laufen. Aber er lässt es sich auch nicht nehmen, den Namen des großen Meisters verballhornen zu lassen: Wie bitte, es gibt Fassbier im Fernsehen? Und genauso flink zwinkern die Augen des Regisseurs, wenn er im aktuellen Film den Titel seines zweiten Streifens über den Bildschirm flimmern lässt: Die fetten Jahre sind vorbei.

Dass Free Rainer – Dein Fernseher lügt! nicht ins Gutmenschentum abdriftet, liegt nicht zuletzt an Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu. Er mimt nach dem Sinneswandel keinen Paulus, sondern bleibt angreifbar und widersprüchlich: mit egomanischen und machtbesessenen Zügen. Rainers Weg zu einem besseren Leben ist ebenso komplex wie lang – und damit realistisch. Da ist nichts von der Weinerlichkeit eines Weltverbesserers. Sondern es bleibt am Ende ein optimistischer Eindruck hängen: Die fetten Jahre kommen erst.

Free Rainer – Dein Fernseher lügt!

Hol’ dir das Superbaby – ein neues TV-Format? Zum Glück (noch) nicht. Aber Hans Weingartners wunderbare Satire über das deutsche Privatfernsehen ist von der Realität nicht weit entfernt: Quoten-Terror macht dumm.
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Meinungen

Niels · 29.10.2010

Das sich der Charakter der Menschen in so kurzer Zeit ändert ist fraglich... naja es lohnt sich jedenfalls ihn sich auzugucken. Mich hat er zum nachdenken angeregt. Fazit : Toller Film. Unbedingt angucken!

Marius · 18.08.2008

Platter geht's nicht. Die Wandlung der Hauptfigur vom Saulus zum Paulus ist kaum nachvollziehbar. Es scheint mir als ob der Film übelst zusammengeschnitten wurde und dadurch viele Zusammenhänge verloren gingen. Dazu kommt eine kompromisslose Schwarzweiss-Malerei zum Thema Qualität im TV. Scheinbar sind die Macher so eingebildet, dass sie Glauben das Fernsehen entscheidet über das Wohl und Wehe jedes Zuschauers. Vielleicht war das alles als Persiflage gemeint, aber dann kann man nicht so ein Weichspülerende einsetzen. Dann erwarte ich zumindest einen inszenierten Weltuntergang. Niemand sollte 2h für diesen Film verschwenden...

Gregor · 12.07.2008

Trotz des etwas billig wirkenden Anfangs ist dieser Film für mich einer der besten, die ich je gesehen habe.
Wenn das Ende auch etwas zu weit hergeholt scheint, ist die Geschichte insgesamt sehr realitätsnah und äußerst interessant. Bringt einen auf jeden Fall zum nachdenken ;)
Mein Fazit: Auf jeden Fall gucken!

Merlin2001 · 27.12.2007

Meiner Meinung nach absolut sehenswert, trotz dem übertriebenen Anfang - einfach der Idee wegen!

Gesine · 19.12.2007

Nett und kurzweilig. Wie das Fernsehprogramm, das kritisiert wird.
Der Film war schön anzuschauen, aber leider auch plakativ.

Der Gedanke, dass Menschen durch Medien beeinflusst bis gelenkt werden ist nicht neu, dass ein ungebildetes und uninteressiertes Volk leichter zu kontrollieren und zu lenken ist auch nicht. Gedanken dazu werden durch die Charactere gut vermittelt.

Der Hauch "Dirty Dancing" und einige Schmalzszenen hätten wirklich nicht Not getan und mir den Film leider etwas verleidet. Vielleicht ist das aber auch künstlerisches Stilmittel um uns zur Reflexion zu bringen.

Die definitiv gute Botschaft wird jedenfalls idiotensicher 'rübergebracht.

Dörde · 13.12.2007

Hat die Erwartungen mehr als erfüllt und mir sehr gut gefallen!

lycia · 07.12.2007

Diese Woche gesehen, hat mich leider enttäuscht. Dieser Film kommt bei interessantem Auftakt leider in der Geschichte niveaulich nicht über das kritisierte Medium hinaus. Schade. Einige schauspielerisch gute Leistungen, mehr meiner Meinung nach nicht.

Julie28 · 03.12.2007

Ich finde "Free Rainer" wesentlich besser als "Die fetten Jahre...", da dieser eindimensional und inkonsequent war. "Free Rainer" hat zwar einen naiven Charme, aber andererseits zeigt er eine gute Idee...Es geht auch nicht darum nur Bildungsfernsehen einzuführen und die Menschen von einer "anderen Seite" zu diktieren was sie sehen sollen. Aber warum laufen gute Filme im Nachtprogramm und das x-te Format einer trashigen Sendung um 20.15? Egal wie man dazu steht- Filme sollen vor allem auch unterhalten - und das hat er auf jeden Fall!

· 27.11.2007

Wenn der Film nicht von Hans Weingartner wäre, wäre die Enttäuschung nicht so groß. Leider viel zu platt und vorhersehbar.

fräulein kumiko · 20.11.2007

Hollywoodesker Kitsch, bei dem man schon nach 20 Minuten weiß (man beachte die Gesamtspieldauer von 130 min.!), wie es ausgehen wird. Schade, denn der Anfang war sehr vielversprechend.

chl · 19.11.2007

den negativen kritiken nach zu urteilen müsste mir der film gut gefallen ;)

Slongbo · 18.11.2007

Es stimmt, dass "Free Rainer" nicht von feinster Dramaturgie ist - aber er ist von feiner Ironie und ganz schön witzig und schamlos an den richtigen Stellen. Z.B. verkennen einige Kritiker, dass die "alles wird besser Szenen" nicht eins zu eins ernst rüberkommen, sondern vielmehr ironische Bilder einer fernsehfreien Welt sind, die uns den Spiegel vorhalten. Und wir schauen gerne rein. Denn wir sehen uns so, wie wir uns sonst nicht mehr sehen, atmender, freier. Auch das Ende des Films ist eine wunderbare Pointe. Und das Ensemble hat sichtlichen Spaß an der alles in allem sehr wohl gelungenen und nachfragenden Gesellschaftssatire. Es ist ein Film, der sich zu sehen nicht nur lohnt, sondern der auch lachen macht, nachdenken lässt, Sympathie erzeugt. Rund um mich im Kinossal gab es viele lebendige Reaktionen, von Lachen bis Aufstöhnen.

Der Münchner · 14.11.2007

Was ist mit Weingartner passiert? Das ist unmöglich der gleiche Regisseur wie "Die fetten Jahre sind vorbei". Grob und eindimensional.

Snacki · 13.11.2007

Sehr enttäuschend ... und schade, dass ausgerechnet Weingartner so einen groben Mist abliefert.

Steffen Joerges · 11.11.2007

Hab den Film gestern in Münster gesehen. Der größte Teil des Publikums war genauso begeistert wie ich. Wenn man sich auf den Film einläßt und den Humor begreift, kann man richtig Spaß haben. Und natürlich bekommt man richtig viel Diskussionsstoff für nach-dem-Kino. Glotze aus, Hirn an ! Das wir ein Hit.

Regina · 13.11.2007

Tja, was soll man dazu sagen. Ein plumper Film, kein Gespür für die Figuren, peinlicher Humor. Die Idee ist gut, die Umsetzung leider auf demselben Niveau wie das von Weingartner kritisierte Fernsehen.
Seien wir ehrlich: Ein schlechter Film.

· 06.11.2007

Vielleicht gibts einfach auch Menschen, die einen anderen Geschmack haben als du? Die einen Film mögen, der dir nicht gefällt? Soll doch möglich sein? Und jetzt hör auf mit den Doppelposts ...

Frank · 06.11.2007

Die Texte von: mein Fernseher bleibt aus und Fernseher mach blöd... ganz was Neues, scheinen vom Verleih oder Produktion zu stammen. Wenn man hier schon reinschreibt in eigener Sache, so macht das doch geschickter.

befreiter Ranier · 06.11.2007

Ich weiss, was ein Satire ist und das hier ist keine Satire. Vieles ist ernstgemeint und weil es nicht funktioniert, nennt man das nun Satire. Satire ist böser, intelligenter und benutzt nicht dramaturgische Stereotypen. Dieser ist Film ist plump und langweilig.

Fernsehen macht blöd... ganz was Neues · 06.11.2007

...so viel schöne Szenen, bei denen man (gehässig?) mitlachen konnte: jeder einzelne Darsteller bei Hol die das Super-Baby war fantastisch (über-)gezeichnet. Bloéb: grandios u. genial bis in die kleinste Geste - vorallem sein "Abgang" beim Minister. Von Moritz wird man nie enttäuscht: gewohnt rasant u. selbst in der Überzeichnung seines Rainer authentisch; von Pegah hätte ich gern noch mehr action-Szenen gesehen: da hatte man das Gefühl, dass viel unentdeckte power in ihr steckt!
Also: sehr gute Unterhaltung ohne Langeweile über immerhin mehr als 120 min.

mein Fernseher bleibt aus · 06.11.2007

Hey Leute, habt Ihr schon mal was von "Satire" gehört!? Die Gutmenschen sind doch genauso überzeichnet wie im ersten Teil die Medien-Tycoons. Eine Satire lebt von der Überzeichnung- in jeder Richtung.- Hab gestern den Film gesehen und fand ihn viel besser als nach den "fetten Jahren" vermutet. Die Schauspieler machten Spaß - bis in die kleinste Rolle - und die newcomerin Elsa Sophie Gambard ist vielversprechend.

befreiter Rainer · 05.11.2007

Ich muss Filmwolf leider auch Recht geben. Als bekennender Fan von "Die fetten Jahre sind vorbei" ist "Rainer" eine Enttäuschung. Obwohl die Geschichte beider Filme sich ähnlich sehen, könnte man meinen ein anderer Regisseur hätte den neuen Film gemacht. Jegliche Sensibilität ist verschwunden, da kennt jemand seine Figuren nicht. Bei "Rainer" muss man unzähligen Abziehbildern zuschauen.
Seien wir ehrlich. "Rainer" ist ein schlechter Film.

ernesto · 05.11.2007

Filmwolf, ich habe gerade Deinen Text gelesen, kann Dir nur zustimmen.

Filmwolf · 04.11.2007

Habe gestern die Premiere gesehen. Leider ein grosse Enttäuschung. Der Film kritisiert die Niveaulosigkeit des Fernsehens, aber der Film selber ist genauso niveaulos. Er verkauft unsensibel den Zuschauer für dumm. Jede emotionale Wendung wird mit Musik untermalen. Die Figuren sind plakativ skizziert. Nach einem rasanten Anfang verfällt der Film in einen Gutmenschenfilm, der langweilig und naiv-dumm ist.
Muss man wirklich nicht sehen.
Schade nach zwei guten Filmen, nun ein schlechter.