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Eine Romcom über Liebeskummer, die tatsächlich noch etwas Neues erzählt? Gibt’s doch gar nicht! Gibt’s: Emma Benestans „Fragil“ über harte Schalen und weiche Kerne.

Fragil (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Der Austernprinz

Liebesfilme gibt es wie Sand am Meer. Doch wie sehr selbst im 21. Jahrhundert, in dem viel von Fluidität die Rede ist, ein Korn dem anderen gleicht, wird einem erst bewusst, wenn ein Liebesfilm sich von der Masse abhebt. Emma Benestan Langfilmdebüt als Regisseurin wirbelt stehende Erzählgewässer auf. Dabei macht die französisch-algerische Filmemacherin in ihrer am Mittelmeer angesiedelten Romanze im Grunde nichts anderes, als die üblichen Rollen zu vertauschen und deren Zuschreibungen ins Fließen zu bringen.

„Fragil ist als eine umgekehrte Liebesgeschichte konzipiert“, sagt Emma Benestan über ihren Film. Auf der Handlungsebene bedeutet das, dass mit Azzedine (Yasin Houicha) einem Mann das Herz gebrochen wird und dieser darauf so reagiert, wie das in romantischen Komödien normalerweise Frauen machen. Bereits diese erste Verkehrung ist ausgesprochen amüsant. Und der Weg dorthin ist pure Situationskomik.

Azzedine, den alle nur Az nennen, arbeitet auf einer Austernfarm und liebt die aufstrebende Schauspielerin Jessica (Tiphaine Daviot), die alle nur Jess nennen. Als Az Jess in einem schmucken Restaurant einen Heiratsantrag macht, macht ihr der in einer Auster versteckte Schmuck beinahe den Garaus. Jess verschluckt sich am Ring und an Az‘ Antrag. Als sie ihre Sprache wiedergefunden hat, sind aus ihrem Mund die üblichen Floskeln zu vernehmen: Ihre Leben entwickelten sich gerade in eine völlig unterschiedliche Richtung. Es sei nicht seine Schuld, sondern ihre. Man kennt das. Die Wahrheit hinter all den Ausflüchten erahnt man ebenso: Während Az die Karriere seiner Freundin selbstlos unterstützt, hüpft diese ganz selbstsüchtig mit ihrem einfältigen Kollegen Giaccomo (Guillermo Guiz) ins Bett.

Anstatt mit seinen Kumpels Raphaël (Raphaël Quenard), Ahmed (Bilel Chegrani) und Kalidou (Diong-Kéba Tacu) um die Häuser zu ziehen und seinen Liebeskummer im Alkohol zu ertränken, liegt Az heulend auf dem Bett, zieht sich den Film Bodyguard mit Whitney Houston und Kevin Costner rein und verdrückt dazu einen Berg voll Schokolade. Von seinen Kumpels wird er dafür als „fragil“ verspottet. Doch das Zerbrechliche, Weiche und Empfindsame, das sie an ihrem Freund bemängeln, tragen auch sie in sich. Wie Benestan diese drei Typen inszeniert, als leicht vertrottelte, liebenswerte Aufschneider, die sich gegenüber Fremden hart gerieren, untereinander aber sensible Gespräche führen (wie das in romantischen Komödien normalerweise nur Frauen machen), ist noch eine Spur amüsanter.

Zum Glück für Az zählt auch Lila (Oulaya Amamra) zu seinem Freundeskreis. Außer ihr hat es niemand in die große Stadt geschafft. In Paris trumpfte sie mit ihren Tanzchoreografien auf. Zurück im südfranzösischen Sète hat sie eine Ahnung davon, wie eine erfolgsorientierte Frau wie Jess ticken könnte. Mission Eifersucht wird initiiert. Erst gibt sie Az Tanzstunden, um dessen Sinnlichkeit zu steigern, dann gibt sie sich als dessen Freundin aus. Beim Versuch, die alte Partnerin zurückzuerobern, verliebt sich der Protagonist schließlich in die neue Frau an seiner Seite.

Erzählerisch ist das nichts Neues. Die Selbstverständlichkeit, Leichtfüßigkeit und Eigenwilligkeit, mit der Benestan das auf die Leinwand wirft, ist jedoch erfrischend und ziemlich zauberhaft. Bei ihr darf ein Mann Gefühle zeigen, ohne dafür lächerlich gemacht zu werden. Dass ihn die Frauen in seiner Familie dafür auslachen, ist kein Widerspruch. Es ist vielmehr ein Beleg dafür, wie wenig die üblichen Rollenzuschreibungen zutreffen müssen. All das, was vorschnell als feminin abgetan wird – stundenlang in der Küche stehen, zu viel grübeln, sich um andere sorgen und kümmern – macht Az. Hart feiern gehen und nüchtern die Welt kommentieren, erledigt indessen seine ältere Schwester Najwa (Holy Fatma), die immer noch nicht unter der Haube ist, was sie aber keinen Deut interessiert.

Benestans Liebeskomödie hat jedoch mehr vorzuweisen als diese treffenden, aber immer auch ein wenig platten Momente. Sie ist voller Zuneigung und Zärtlichkeit. In einigen der schönsten Szenen ist Az mit seiner Großmutter Kheira (Tassadit Mandi) allein in der Küche und redet frank und frei über die Liebe. Und sie ist voller Sonne und Sinnlichkeit. Im Licht des Mittelmeers gefilmt, schwingen Az und Lila zu Raï-Musik die Hüften. Geht es nach Benestan, dann ist ihr Debüt „ein Dirty Dancing auf algerische Art“. Und zum Glück lange nicht so schnulzig, kitschig und altbacken, möchte man hinzufügen.

Dass in einer harten Schale oft ein weicher Kern stecke, so lautet die Redewendung. Emma Benestan zeigt, dass ein weicher Kern auch von einer weichen Schale umgeben sein kann und nichts dabei ist. „Der Feminismus von heute muss die Darstellungen von Frauen und Männern gleichermaßen hinterfragen. Und wenn das Weibliche hinterfragt wird, muss auch das Männliche hinterfragt werden“, sagt die Regisseurin. Das gelingt ihr wunderbar. Ihr Film ist komisch, sinnlich und berührend und räumt mit Vorurteilen auf. Etwa dem der Auster als Aphrodisiakum und als Sinnbild weiblicher Geschlechtsorgane. Die Meeresmuscheln sind zweigeschlechtlich, und bei Benestan können am Ende auch Austern Liebeskummer haben.

Fragil (2021)

Az arbeitet auf einer Austernfarm in Sète. Er kennt sich aus mit Austern, denn er hat bereits Hunderte von ihnen geöffnet. Um seiner Freundin Jess einen Heiratsantrag zu machen, hat er in einer für sie bestimmten Auster einen Ring versteckt — aber sie sagt nein. Doch zum Glück hat er Freunde …

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Meinungen

Florian Weber · 01.12.2022

Fragil ist witzig und packend zugleich. Die Schlüssel der RomKom wurden gekonnt umgekehrt, die Schauspieler funktionieren sehr harmonisch miteinander und die Inszenierung ist sauber- Für mich in geglückter Film.