Fräulein Else

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Das Verderben des Geldes

Auf den ersten Blick erscheint Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else als wenig naheliegende Wahl für eine Verfilmung. Von wenigen Dialogen abgesehen besteht sie aus einem inneren Monolog der Titelfigur Else, einer jungen Dame, die mit ihrer Tante und ihrem Cousin Paul in einem Hotel in Italien weilt. Weil ihr Vater zum wiederholten Male Geld veruntreut und Schulden angehäuft hat, wird sie von ihrer Mutter gebeten, den ebenfalls im Hotel verweilenden Freund der Familie Dorsday um 30.000 Gulden zu bitten – andernfalls müsse der Vater ins Gefängnis. Else ist unglücklich über diese Bitte, schämt sich für die abermalige Misere, in die ihr Vater ihre Familie gebracht hat, will aber zugleich nicht die Verantwortung dafür tragen müssen, dass er ins Gefängnis kommt. Also bittet sie Dorsday um die Summe und er verlangt – wohlwissend, dass er sein Geld niemals wiedersehen wird – eine Gegenleistung: Er will die nackte Else eine Viertelstunde lang betrachten, weil er einsam sei. Diese Forderung stürzt die ohnehin unentschlossene, labile Else in Verwirrung, ihre Gedanken reißen den Leser in ihren Bewusstseinsstrom und am Ende steht schließlich eine verzweifelte Tat, über deren Ausgang spekuliert werden kann.
Schnitzlers zentrale Motive sind Geld, die Lebenslügen der oberen Bürgerschicht und das egoistische Verhalten der Männer, das junge Frauen in den Abgrund reißen kann. Und es sind diese, weiterhin aktuellen Themen, die Regisseurin Anna Martinetz nun in die Gegenwart transportiert: Else (Korinna Krauss) weilt mit ihrer Tante (Katalin Zsigmondy) und ihrem Cousin Paul (Michael Kranz) in einem Hotel in Indien, das durch die Lage auf einem oft nebelverhangenen Berg der Zeit entrückt zu sein schein. Immer wieder fährt die Kamera durch die beleuchteten, mit Teppich ausgelegten Gänge, über die schweren Holztüren des Hotels, dessen Innenarchitektur gar nicht zu dem Land passen will, in dem es sich befindet. Es ist der Zeit entrückt, auch die dort wohnenden weißen Gäste haben kaum ein Auge für die sie umgebende Not und die Lage der Bevölkerung. Einzig Else erfährt in einem Gespräch, dass die Menschen in Indien von 300 Dollar leben, indes nur 100 Dollar verdienen, sie hört Berichte von Occupy-Protesten in London, auch der beständig ins Bild gefasste Tiger verweist nicht nur auf eine Bedrohung von außen, sondern auch auf den Raubtierkapitalismus, das Fressen oder Gefressen werden. Dazu passt, dass Dorsday (Martin Butzke) gegenüber Pauls Affäre Cissy (Marion Krawitz) anmerkt, dass es bei der Finanzkrise darum gehe, auf der richtigen Seite zu stehen. Als Else nun Dorsday um die 300.000 Euro bittet, die ihren Vater vor dem Gefängnis bewahren könnten, und seine Forderung hört, streift sie durch eine indische Stadt, in ihren Gedanken verfolgt von Dorsdays Sätzen, die seine Einsamkeit, seine Getriebenheit, aber auch seinen Manipulationswillen deutlich werden lassen. Hier setzt Anna Martinetz den Worten der Novelle die umherstreifende Else entgegen und greift auf Blicke, Nahaufnahmen, Bilder von Tigern, Elefanten, der Natur und der Stadt zurück.

Es ist bemerkenswert, dass Anna Martinetz nicht wie viele andere Filmemacher die Gedanken der Hauptfigur aus dem Off erklingen lässt, sondern Elses Zweifel in Bilder und Töne umsetzt, so dass ihre zunehmende Verwirrtheit und ihre Zweifel nachzuempfinden sind. Allein schon dadurch wird Fräulein Else zu einer interessanten filmischen Interpretation von Arthur Schnitzlers Novelle. Indem Anna Martinetz aber in den Dialogen zeitgenössische Sätze neben Schnitzlers Originalzeilen stellt, entsteht immer wieder Irritation und Distanz zum Gezeigten. Vielleicht ist es als Verfremdung intendiert, doch reißen diese anachronistischen Sätze zu sehr aus dem Fluss der Geschichte. Hier hätte Anna Martinetz – ebenso wie Kubrick in seiner Verfilmung von Schnitzlers Traumnovelle – auf eine konsequente Übertragung in die Gegenwart setzen sollen. Denn auch Fräulein Else ist heute von ungebrochener Aktualität, das zeigt bereits die gelungene Parallele zur Finanzkrise. Schon Schnitzlers Else war nicht nur getrieben zwischen dem Wunsch nach (sexueller) Selbstbestimmung und den Erwartungen der Zeit, sondern musste auch unter dem verantwortungslosen Verhalten des Vaters leiden. Ebenso ist Martinetz‘ Else den Taten einer Elterngeneration ausgeliefert, die ihre Zukunft aufs Spiel setzt. Denn im Gegensatz zu der indischen Hotelbesitzerin, die sich selbst als Statthalterin des Erbes ihrer Kinder sieht, muss Else für die Schwierigkeiten ihrer Eltern in einer Welt büßen, in der mit Geld alles zu kaufen zu sein scheint – sogar der Körper von Else. Diese letzte Bastion ist sie jedoch nicht gewillt aufzugeben.

Fräulein Else

Auf den ersten Blick erscheint Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else als wenig naheliegende Wahl für eine Verfilmung. Von wenigen Dialogen abgesehen besteht sie aus einem inneren Monolog der Titelfigur Else, einer jungen Dame, die mit ihrer Tante und ihrem Cousin Paul in einem Hotel in Italien weilt.
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Meinungen

Norbert Fink · 25.01.2014

Getreu nach Schnitzler wird diese Adaptation des Romans in die Wirtschaftskrise 2008 dort krasse Unterschiede von Reich und Arm. Eine Szene mit Angela Merkel beim Faschingstreiben wurde hineinmontiert. Korinna Kraus (erinnert mich an die junge Martina Gedeck) spielt gekonnt das Fräulein Else, sie soll von einem bekannten Gast 300.000€ Kredit erbetteln, um ihren Vater vor der Verhaftung wegen Finanzspekukationen zu retten, er macht dies unter der Bedingung, sie 15 Minuten lang nackt betrachten zu dürfen. Doch es sollen 500.000€ werden und Else billigt ein, nimmt jedoch die halbe Dosis tödlicher Schlaftabletten und entblößt sich vor der gesamten illustren Runde. Als sie bewusstlos nach Wasser verlangt, reicht man ihr ungewollt den letalen Rest…

**** für eine Abschlussarbeit der HFF München äußerst beachtlich, ist der Film zwar nicht fehlerfrei, aber intelligent umgesetzt und mit fast experimentellem Schnitt.transferiert. Was bei Schnitzler ein italienisches Grand Hotel war, in dem die politische Prominenz verkehrte, ist es nun ein Luxus-Resort in Indien, denn wie damals in Italien, gibt es dort krasse Unterschiede von Reich und Arm.