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Die Körperlichkeit von Filmton ist das Thema, mit dem Peter Strickland durch „Berberian Sound Studio (2012) berühmt wurde. In „Flux Gourmet“ erkundet er nun umgekehrt die Klanglichkeit von Materie und inszeniert eine ebenso fordernde wie unterhaltsame Reflexion über die Kunst.

Flux Gourmet (2022)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Kunst und Nahrung

Neben seinem einzigartigen Filmschaffen ist Peter Strickland auch Musiker, oder Klangkünstler, der mit der Sonic Catering Band aus Lebensmitteln und Küchengeräten komplexe elektronische Geräuschlandschaften erzeugt. In Flux Gourmet wendet er diese künstlerische Form zurück in den Film und inszeniert die schleichende Auflösung eines kulinarischen Performance-Kollektivs als uferlose, materielle Reflexion über die Möglichkeiten eines autonomen künstlerischen Ausdrucks, der sich innerhalb von Institutionen oder geschmacklichen Erwartungen zu behaupten hat. Darin ist Flux Gourmet zugleich eine scharfe Komödie über die Aufblähungen eines völlig von der restlichen Welt zurückgezogenen Kunstbetriebs.

Im Sonic Catering Institute, einer ehrwürdigen und traditionsreichen Einrichtung, darf das kulinarische Performance-Kollektiv von Elle di Elle (Fatma Mohamed) für einen Monat leben, um ihre Arbeit an klanglichen Installationen aus und mit Lebensmitteln zu verfeinern. Die extravagante, wie aus einem expressionistischen Stummfilm herein wehende Leiterin des Instituts Jan Stevens (Gwendoline Christie) will dabei helfen und überschreitet zunehmend die Grenzen künstlerischer Einmischung. Auch innerhalb des Kollektivs gibt es Spannungen darüber, dass die anderen beiden Mitglieder Lamina Propria (Ariane Labed) und Billy Rubin (Asa Butterfield) unter der herrischen Art von Elle leiden. Erzählt wird der Film von Stones (Makis Papadimitriou), einem griechischen Journalisten, der den Aufenthalt des Kollektivs im Institut hautnah begleitet und unter unaussprechlichen Flatulenzen leidet, was ihm schon die bloße Nähe zu Lebensmitteln kaum erträglich macht. Er sucht den institutseigenen, unausstehlich-bildungsbürgerlichen Arzt Dr. Glock (Richard Bremmer) auf, dessen Empfehlungen von Magen- und Darmspiegelung selbst noch Material für die Performances des kulinarischen Kollektivs werden.

Der strengen Organisation des Instituts folgt die Anordnung des Films in getrennten Kapiteln für je eine Woche des Aufenthalts und mit einer wiederkehrenden Inszenierung explosiver Dinner-Gespräche, denen die Auftritte des Kollektivs und anschließende Orgien mit dem Publikum folgen. Jeder Morgen beginnt mit einem Spaziergang durch den Park des Anwesens, bevor geprobt wird und Stones in Interviews den komplizierten Vorgeschichten der Künstler*innen nachgeht. In den dichten Taktungen der Tage ist dabei kaum Freiraum, den der Journalist, dessen stilles, leidendes Voice Over den Film kommentiert, so dringend bräuchte, um in Ruhe und mit Privatsphäre seinen Flatulenzen nachgeben zu können.

Flux Gourmet widersetzt sich zwischen der Beziehungskomödie einer extravaganten Band, seiner fast an Gothic Horror reichenden Inszenierung des Instituts und den hochgradig experimentellen Klang-Performances allen Zuordnungen, jeder eindeutigen Gattung oder Tradition. Der Film drängt an den Punkt, an dem das Material selbst, welches jeder seiner Ausdrucksformen zugrunde liegen muss, anfängt sich zu enthüllen und zu sprechen: Was ist Kunst, die aus Klängen und Bildern entsteht, bevor irgendetwas anderes hinzutritt?

Grandios unterhaltsam wird die ganze Wirrnis der Institutsmitglieder von Strickland in Szene gesetzt, elektrisch laden sich die zwischenmenschlichen Spannungen unter allen Beteiligten auf, prallen in Diskussionen über die Rolle und Politik von Kunst die Weltsichten und Generationen aufeinander, bis die ganze strikt geordnete Welt betrieblicher Kunstproduktion schließlich unter dem nicht mehr zu bändigenden Wahnsinn der Performances selbst zu zerbersten droht – fast, jedenfalls. Darin liegt die größte Leistung dieses atemberaubenden Films: Flux Gourmet zeichnet nicht nur das scharfsinnige Bild einer an den eigenen Ansprüchen und Hoffnungen sich zerreibenden Gruppe von Künstler*innen, er faltet dieses auch mit seltener Stilsicherheit immer wieder zurück in das Auskosten jener kulinarischen Performances. Diese bilden das Herz des Films, der sich ihnen mit aller Intensität hingibt, um die Kunstform ‚kulinarische Performance‘ nicht nur als Witz in einer absurden Kunstwelt zu positionieren, sondern sie genau als Kunstform mit hohem technischen Anspruch ernst zu nehmen.

Flux Gourmet gewinnt dadurch eine Strenge und Kohärenz, die aller Auflösung und Zerreibung seiner Figuren den nötigen Rahmen gibt. Am Ende bleiben eben auch die provokativen Darbietungen von Elle di Elle nur das: Darbietungen, die ihre eigene Konstruiertheit nicht verbergen können. 

Für die Reflexion, die Flux Gourmet anstrebt, ist genau das entscheidend: Welcher unverstellte, aufrichtige Zugang zu der Materie unserer Wirklichkeit ist in der Kunst überhaupt möglich? Was passiert, wenn Elektroden und Mikrofone direkt in und an Lebensmitteln angebracht werden? Welche technische Transformation vollzieht sich, wenn auf diese Weise aus der organischen Welt zuerst ein Signal und dann ein mediales, künstlerisches Werk hergestellt wird? Was heißt das für das Medium des Films, dessen technische Transformation von Wirklichkeit all dies in Flux Gourmet noch einfängt und auf sich selbst zurückwirft? Die Fragen, die Flux Gourmet mit dieser Präzision und Einsicht stellt, sind zu vielfältig, zu komplex, als dass ohne reifliche Überlegung Antworten darauf zu finden wären. Selten gelingt es Filmen, auf so ehrliche und unverstellte Weise ein aufregendes Nachdenken in Gang zu setzen. Dass Flux Gourmet dabei kein fordernder Theoriefilm wird, sondern auch spaßiges Porträt künstlerischer Selbst-Demontage bleibt, ist eigentlich kaum zu fassen.

Flux Gourmet (2022)

Schauplatz von Peter Stricklands fünftem Spielfilm ist eine Kunstresidenz, das Sonic Catering Institute, dessen schöngeistiger Leiter ein kulinarisches Kollektiv eingeladen hat, für vier Wochen sein „Sonic Catering“ zu performen. Ebenfalls vor Ort ist ein griechischer Schriftsteller, der darüber berichten soll. Als er unter Verstopfung zu leiden beginnt, empfiehlt ihm der Institutsarzt sarkastisch, „das Essen seine Medizin sein zu lassen“. Während der Schriftsteller mit seinen Verdauungsproblemen kämpft, zermürben interne Streitigkeiten das Kollektiv ebenso wie die subversiven Angriffe einer anderen, abgelehnten Künstler*innengruppe.

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