Five Star

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Der Sog der Streetgangs

Zwei Männer auf einer Bank. Ein Maschendrahtzaun trennt die Beiden vom Spielplatz, auf dem Kinder unbekümmert lachen und schreien. Hier, auf der Bank, beginnt die Initiation des Jüngeren, mehr noch ein Teenie, in die Erwachsenenwelt.
Die Beiden könnten gegensätzlicher nicht sein. Der junge Mann, schlaksig mit schmächtiger „Hühnerbrust“ unter dem Shirt, schwarzes lockiges Haar, ein kleines, kaum sichtbares Ziegenbärtchen wächst ihm am Kinn, hört dem Älteren aufmerksam zu. Jedes Wort, jede noch so kleine Nuance will er in sich aufsaugen. Seine Bewunderung für den älteren Mann drückt sich auch in seiner Körperhaltung aus. Sie ist dem anderen zugewandt, gleichzeitig imitiert sie dessen Haltung: Breitbeinig, nach vorn gebeugt, die Schultern hängend, eine Plastikflasche in der Hand. Der ältere Mann, wuchtig und mächtig, eine Brust, die fast sein Shirt zerreißt, die Oberarme aufgebläht, mit Tattoos übersät. Ein kahler Schädel, dafür ein düsterer Vollbart, der an seinem Kinn wuchert. Er ist der Boss, der Macker, der Sager.

Die Welt der Beiden ist die Welt der „Walt Whitmann“-Sozialbauwohnungen in New York. Es ist die Welt, in der Streetgangs, wie die Bloods, das Sagen haben. Primo, der Ältere, ist ihr Boss, ihr General mit fünf-Sternen und titelgebend. John, der Jüngere, ist der Sohn eines ebenso mächtigen Gang-Mitglieds wie Primo. Nur dass Primo lebt, der Vater aber im Bandenkrieg von einem Querschläger getötet wurde — so heißt es. Getötet, als John noch so klein war, dass er keine echte Erinnerung an ihn hat.

Johns Mutter will nicht, dass er wie sein Vater auf die schiefe Bahn und in Gefahr gerät. Doch es scheint, als sei sein Weg bereits vorgezeichnet. Der Sog der Gang ist stärker, das Geld, das man dort als Drogenkurier bekommt, ist viel mehr und weitaus einfacher verdient als in jedem normalen Job. Primo gibt John aus Respekt vor dessen Vater Arbeit und John reift zum Mann. Umso mehr er in das Gangleben eintaucht, umso stärker will er die Wahrheit um seinen Vater herausfinden.

Regisseur Keith Mitchell, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, schafft mit seinem Zweitling (sein Debüt: Welcome to Pine Hill, 2012) ein beachtliches Drama, das sich der gängigen Mainstream-Filmsprache konsequent verweigert. Es mäandert zwischen dokumentarischer und fiktionaler Erzählweise, nutzt Stilmittel, die selbst im Dokumentarfilm kaum mehr passieren. Zum Beispiel „Talking Heads“. Hier ist es Primo, der in Großaufnahme minutenlang monologisiert und tatsächlich diesen Monolog auch trägt. Kraft seiner Erscheinung, seiner Art und seiner Street-Credibility. Denn Primo, alias James „Primo“ Grant, ist kein Schauspieler, sondern auch im echten Leben Gang-Mitglied und eine „Bank“ für den Regisseur. Grant variiert sein Spiel in fein tarierten Nuancen, weiß, seine Dialoge so zu sprechen, dass sie genau den gewollten Effekt erzielen. Mühelos wechselt er zwischen knallhartem Gang-Boss und liebendem Ehemann und Vater von vier kleinen Kindern, das fünfte ist gerade unterwegs – auch zuhause gibt es also die titelgebenden „Five Stars“. Er macht aus seiner Figur eine gespaltene Persönlichkeit, die man in ihrer Kälte verabscheut und im nächsten Moment in ihrer Fürsorglichkeit für die Familie ins Herz schließt. Ein Spagat, den ihm erstmal ein gestandener Schauspieler nachmachen soll.

Wie Primo hat Mitchell die meisten Darsteller aus dem Gang-Milieu Brooklyns gecastet. Professionell ist John Diaz als John und eine echte Entdeckung. Mit schlafwandlerischer Sicherheit spielt er gegen die mächtige Präsenz von Primo auf, gibt glaubhaft den Jungen, der in Primo einen Ersatzvater sieht und diesem gefallen will, bis seine Haltung nach und nach kippt und er misstrauisch wird.

Wenn auch die Story selbst nicht hundertprozentig fesseln kann, zu oft hat man Drogen-Gang-Vater-Geschichten ähnlich erzählt bekommen, punktet Five Star mit seinem Glaubwürdigkeitsfaktor. Der bemerkenswerte Cast überzeugt durch ein unaufdringliches, beiläufiges Spiel. Der Regisseur wahrt Distanz, lässt den Darstellern die Zeit, die sie brauchen, um die Handlung zu entwickeln. Es gibt keinen Druck, es gibt keine emotionsweisende Musikunterlegung, dafür eine klare und prägnante Filmsprache und mit Keith Mitchell ein Regisseur, der weiß, was er will und es mit sicherer Hand und Gespür umsetzt.

Five Star ist ein mutiges Experiment, das sich dem Mainstream verweigert, das Geduld einfordert. Aber wer sich darauf einlässt, wird mit einem direkten, unverstellten und wuchtigen Independent Film belohnt. Und tatsächlich fragt man sich des Öfteren, was ist hier eigentlich wahr und was gespielt.

Five Star

Zwei Männer auf einer Bank. Ein Maschendrahtzaun trennt die Beiden vom Spielplatz, auf dem Kinder unbekümmert lachen und schreien. Hier, auf der Bank, beginnt die Initiation des Jüngeren, mehr noch ein Teenie, in die Erwachsenenwelt.
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