Fieber

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Eine Kindheit im Schatten eines fernen Krieges

Was sind das für Geschichten, die der Vater (Martin Wuttke) der Mutter (Nicole Max) erzählt? Die elfjährige Franzi (Caroline Cardoso) lauscht, schnappt Bruchstücke auf, von brennenden Dörfern und Leichen in den Straßen, von Legionären, die an Typhus erkrankten und dahinsiechten. Es ist das Jahr 1952 in Österreich, doch Franzis Vater lebt weiterhin im Rifkrieg, der in den 1920er Jahren in Nordafrika wütete. Lange war er dort, bei der französischen Fremdenlegion. Geblieben sind ihm die Malaria und eine Gemütskrankheit, unberechenbare Stimmungsschwankungen, die die ganze Familie in Geiselhaft nehmen. Franzi kramt in den vielen Fotografien, die er mitbrachte, exotischen Bildern von der Wüste und ihren Kriegern. Sie sieht einzelne Menschen aus dieser Epoche lebendig werden, spricht mit ihnen, und der Skorpion, der den Vater gestochen und mit seinem Leiden infiziert hat, krabbelt unter ihr Bett.
Gleich zu Anfang des Films liegt Franzi, von den Schwarz-Weiß-Fotografien bedeckt, am Boden. Die erwachsene Franziska (Eva Mattes) erklärt als Ich-Erzählerin in Voice-Over, es seien „Bilder von Geschichten, die mir nicht gehören“. Nun blickt diese Frau zurück, während sie im Zug nach Novi Sad sitzt, der Stadt, in der der Vater nach dem Ersten Weltkrieg das Jesuiten-Seminar besuchte. Franziska und das Mädchen, das sie einst war, teilen sich in ständigem Wechsel die Handlung mit ihren beiden Zeitebenen. Mit ihnen spürt die Regisseurin und Drehbuchautorin Elfi Mikesch in dieser opulenten Bilderfantasie auch ihren eigenen Prägungen nach. Die gebürtige Österreicherin Mikesch, die seit langem in Berlin lebt, wurde bekanntlich Fotografin, Kamerafrau (Malina) und Filmemacherin (Mondo Lux – Die Bilderwelten des Werner Schroeter). Geboren 1940, mitten im Krieg, ist ihr das Hintergrundrauschen von Tod und Zerstörung von klein auf vertraut. Aus dem Elternhaus ließen sich selbst die Kriege, die der Vater vor ihrer Geburt erlebte, der Erste Weltkrieg und vor allem seine Zeit als Fremdenlegionär in Nordafrika, nicht aussperren.

Franzi, die stille Beobachterin, imaginiert ihren nordafrikanischen Kosmos, eine Mischung aus Entdeckungslust und dem Grauen, das sich überall dazwischen drängt. Die Erwachsene fotografiert im Schlachthof Tierhälften, das Mädchen trägt zwei Augen als Schlachtabfälle auf einem Teller, während die Voice-Over-Stimme von seiner Angst, das Augenlicht zu verlieren, spricht. Auch die Leidenschaft für das Sehen und das fotografische Erkennen hängen in Mikeschs Leben mit dem Echo des Krieges und seiner Unfassbarkeit zusammen. Das Malariafieber, das Franzis Vater in Schüben überfällt, mag nicht ansteckend sein, aber seine nervöse, redselige Verschlossenheit, sein Jähzorn flößen Furcht und diffuse Schuldgefühle ein. Martin Wuttke spielt den getriebenen Mann beeindruckend in seiner inneren Zerrissenheit und in seinem egozentrischen, auch egomanischen Ringen um Selbstkontrolle. Franzi begreift seine Täterrolle, aber in ihren Facetten bleibt sie oft nur angedeutet, wie auch die erotische Aufladung des Vater-Tochter-Verhältnisses, die vielleicht auf konkreten Übergriffen basiert, vielleicht eine Angstvorstellung der Heranwachsenden ist. Franziska kann die kreative Fusion, die die Atmosphäre der Kindheit, die Fantasie des Mädchens und das Verhalten der Eltern eingegangen sind, nur wie eine Restauratorin freilegen, aber nicht aufheben.

Die Kamera von Jerzy Palacz schwelgt im Ambiente vergangener Tage, in dem organischen Amalgam von Leben und Vergehen, das in Franzis Zuhause herrscht. In einem Gewächshaus, das offenbar auch als Schuppen und Hof dient, wird Klavier gespielt, im Flur liegt ein Teller mit einer großen blutigen Zunge, die zubereitet werden soll. Man könnte sich endlos in diese Bilderwelten vertiefen, die von der Intensität des Lebens erzählen und von den Bahnen, in die sie gedrückt, gezwungen, umgelenkt wurde. Gerade die reiche Bildsprache und die Schnittfolgen, die sich auf gedankliche Assoziationen einlassen, ohne sie völlig ausleuchten oder in ultimative Wahrheiten verwandeln zu wollen, ergeben ein anregendes, geistreiches Kinoerlebnis.

Fieber

Was sind das für Geschichten, die der Vater (Martin Wuttke) der Mutter (Nicole Max) erzählt? Die elfjährige Franzi (Caroline Cardoso) lauscht, schnappt Bruchstücke auf, von brennenden Dörfern und Leichen in den Straßen, von Legionären, die an Typhus erkrankten und dahinsiechten. Es ist das Jahr 1952 in Österreich, doch Franzis Vater lebt weiterhin im Rifkrieg, der in den 1920er Jahren in Nordafrika wütete. Lange war er dort, bei der französischen Fremdenlegion.
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