Es kommt der Tag

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schuld der Mütter, Wut der Töchter

Auch 32 Jahre nach dem so genannten deutschen Herbst und nach Filmen wie Der Baader Meinhof Komplex und unlängst Schattenwelt geht die filmische Vergangenheitsbewältigung weiter. Auf dem letztjährigen Münchner Filmfest waren es gleich drei Werke, die sich mit den politischen unruhigen Zeiten der Bundesrepublik Deutschland, der APO und der zunehmenden Militarisierung von Teilen der 68er Generation auseinander setzen. Neben Stefan Krohmers Dutschke und dem Film Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte von Birgit Schulz wirft Es kommt der Tag von Susanne Schneider einen sehr persönlich geprägten Blick auf den Linksterrorismus und macht aus diesem Sujet einen von tiefen Verletzungen geprägten Generationskonflikt zwischen Mutter und Tochter.
Es ist eine Idylle, in der sich die Ex-Terroristin Judith (Iris Berben) unter falschem Namen niedergelassen hat: Gerade mal 30 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt ist sie untergetaucht, hat geheiratet und führt gemeinsam mit ihrem Mann Jean Marc (Jacques Frantz) ein kleines Weingut. Doch dann taucht scheinbar zufällig die junge Deutsche Alice (Katharina Schüttler) auf und mietet sich – zunächst nur für einen Tag – auf dem Weingut ein. Besonders Judiths Sohn Lucas (Sebastian Urzendowsky) findet Gefallen an der etwas älteren Frau und versucht ihr näher zu kommen, was diese jedoch zurückweist. Was der Junge nicht weiß, ist für die junge Deutsche längst Gewissheit: Sie und Lucas sind Halbgeschwister. Als Judith in den Untergrund ging und sich der Bewegung 2. Juni anschloss, gab sie ihre damals zweijährige Tochter Alice zur Adoption frei. Und nun ist Alice zurückgekehrt, um ihre Mutter mit den Schatten der Vergangenheit zu konfrontieren und sie dazu aufzufordern, endlich reinen Tisch zu machen – mit allen Konsequenzen für deren Leben.

Dank Katharina Schüttlers engagiertem Spiel zwischen Momenten großer Zerbrechlichkeit und dem übermächtigen Wunsch nach Rache für ihre gestohlene Kindheit und Iris Berben als verzweifelter Mutter überzeugt vor allem der emotionale Aspekt der Geschichte, mit der die Drehbuchautorin Susanne Schneider ihren ersten Film als Regisseurin realisiert hat. Die Lebenslügen Judiths und die Grausamkeit, mit der Alice wie eine antike Rachegöttin deren Glück zerstören will, der Schock der Familie, die erfahren muss, dass ihre Mutter eine Mörderin ist, all dies wirkt emotional nachvollziehbar und vor allem am Schluss, als Alice ihre Mutter nach Deutschland zurückbringt, wo sie sich der Polizei stellen soll, enorm berührend.

Dass Es kommt der Tag trotz dieser starken Momente nicht vollständig überzeugen kann, liegt an so manchen Klischeefallen des Drehbuchs, das beispielsweise die Eltern von Jean Marc genauso zeichnet, wie man sich ältere französische Herrschaften typischerweise vorstellt. Wenig einsichtig erscheint es auch, dass es Alice quasi mühelos gelingt, ihre untergetauchte Mutter aufzuspüren, während die Bemühungen von Polizei und BKA jahrzehntelang ohne Erfolg blieben. So wünschenswert eine emotionale Aufarbeitung der eigenen Fehler auch wäre, mit Blick auf die Realitäten und die Lebenswege ehemaliger RAF-Terroristen bleibt das ein frommer Wunsch. Zumal sich vieles, was damals an zwischenmenschlichem Leid auch in den Familien der Täter geschah, nicht mehr gutmachen lässt, wie auch Bettina Röhls radikale Abrechnung mit ihrer Mutter Ulrike Meinhof eindrucksvoll zeigt.

So überzeugt Es kommt der Tag in erster Linie als Familiendrama und schonungslose Variante eines Mutter-Tochter-Konfliktes, die Geister der RAF-Vergangenheit kann aber auch (und gerade) dieser Film nicht auflösen. Die Versöhnung zwischen den Generationen zwischen den Kämpfern gegen die Ungerechtigkeit und deren apolitischen Kindern, wie der Film sie andeutet, sie bleibt eine Utopie. Im Film ebenso wie in der Wirklichkeit.

Es kommt der Tag

Auch 32 Jahre nach dem so genannten deutschen Herbst und nach Filmen wie Der Baader Meinhof Komplex und unlängst Schattenwelt geht die filmische Vergangenheitsbewältigung weiter. Auf dem diesjährigen Münchner Filmfest waren es gleich drei Werke, die sich mit den politischen unruhigen Zeiten der Bundesrepublik Deutschland, der APO und der zunehmenden Militarisierung von Teilen der 68er Generation auseinander setzen.
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