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In „Ernesto’s Island“ von Ronald Vietz verkörpert Max Riemelt einen Ostberliner, der im Laufe einer Reise sein Leben infrage stellt.

Ernesto's Island (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Von Ostberlin nach Kuba

In Roadmovies sind die Hauptfiguren stets in zweifacher Hinsicht unterwegs. Zur äußeren Reise, zu Fuß, mit dem Fahrrad, Motorrad, Auto, Bus, Lkw oder Zug (oder auch mit dem Aufsitz-Rasenmäher – danke, David Lynch!), kommt die innere Reise hinzu: die emotionale (Selbst-)Suche, die mit einem Ort oder einem anderen Menschen, oft der Mutter oder dem Vater, verbunden sein kann, letztlich aber immer auf die reisende Person und deren unerfüllte Sehnsucht nach Freiheit, Liebe und/oder einem Sinn im Leben zurückführt.

Dass die Held:innen, die sich auf die Suche begeben, oft nicht das finden, was sie suchen, ist gewiss nicht neu. Vielmehr gehört die Desillusionierung beinahe zu den Standards der Roadmovie-Dramaturgie. Die Figuren müssen häufig erkennen, dass ihre Vorstellungen von der Reise und dem (vermeintlichen) Ziel romantisiert waren – oder dass die Gesellschaft ihre Ausbrüche schlichtweg nicht duldet.

Ernesto’s Island, das Regiedebüt von Ronald Vietz, entspricht in einigen Punkten der typischen Geschichte einer Person, die sich auf den Weg macht, um eine Aufgabe zu erfüllen und Klarheit zu erlangen. Im Mittelpunkt steht Matthias (Max Riemelt), der in Ostberlin geboren wurde und in einer Werbeagentur in der Stadt arbeitet. Das Dasein als PR-Profi und Single im Hipster-Milieu zwischen Überstunden, Tinder und Leuten, die „Digga“ sagen, mutet zuweilen etwas überzeichnet an – zeigt jedoch durchaus treffend, wie der Protagonist sein urbanes Umfeld wahrnimmt.

Als seine Mutter, zu der er seit Jahren kaum Kontakt hatte, stirbt, wird er mit deren letztem Willen konfrontiert: Matthias soll ihre Asche auf einer Insel vor der Küste Kubas verstreuen. Dort verbrachte die leidenschaftliche Sozialistin einst eine glückliche Zeit mit Matthias’ Vater, einem Musiker aus Havanna. Matthias trifft unter anderem auf unbekannte Halbgeschwister. Je mehr Zeit er auf der Insel verbringt, desto weniger verspürt er den Wunsch, in sein bisheriges Leben zurückzukehren.

Insbesondere zwei Aspekte machen Ernesto’s Island zu einem bemerkenswerten Film, der aus der Menge an Werken über Figuren, die unterwegs (zu sich selbst) sind, hervorsticht. Zum einen ist es der historische Hintergrund. Matthias’ Mutter fuhr damals von der DDR aus Richtung Kuba, voller Begeisterung für die Revolution. Sie landete auf der kleinen titelgebenden Insel, die Fidel Castro der DDR in den 1970er Jahren geschenkt hatte – benannt nach Ernst Thälmann, der von 1925 bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1933 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) war und im August 1944, nach mehr als elf Jahren Einzelhaft, im KZ Buchenwald erschossen wurde.

In alten Amateuraufnahmen wird das zur damaligen Zeit herrschende Lebensgefühl erfasst – und durch diese Bilder vermischt sich in Ernesto’s Island das Fiktive mit dem Dokumentarischen, ähnlich wie dies schon in Marten Persiels This Ain’t California (2012) geschah, den Vietz’ Co-Autorin Ira Wedel mitgeschrieben hat und der von Vietz mitproduziert wurde. Der Film, der durch seine Berlin-Klischees recht künstlich beginnt, wandelt sich zu einem überraschend authentisch anmutenden audiovisuellen Hybriden.

Zum anderen ist die Entwicklung von Matthias interessant, da der Film seinem eigenen Helden und dessen Einsichten kritischer gegenübersteht als viele vergleichbare Werke. Matthias empfindet sein „busy life“ in der deutschen Hauptstadt plötzlich als völlig sinnlos und idealisiert die kubanische Gemeinschaft und den Lebensstil der Leute. Er verliebt sich in eine Frau – und in die Schönheit des Landes. Die Menschen um ihn herum weisen ihn indes immer wieder darauf hin, dass sein Blick verklärt ist – und dass es ihnen nicht so gut geht, wie Matthias dies mit seinen naiven Augen sehen will. Statt Matthias’ eingeschränkte, verblendete Sicht zu teilen, gehen das Skript und die Inszenierung tiefer und erreichen dadurch eine komplexere Betrachtung von Kuba und der Bewohner:innen des Inselstaats.

Ernesto's Island (2022)

Der in Ost-Berlin geborene Matthias, arbeitet in einer der coolsten Werbeagenturen der Stadt und lebt sein reiches westliches Single-Leben. Bis seine Mutter, eine leidenschaftliche Kommunistin, stirbt und ihm ihren letzten Willen hinterlässt: Ihre Asche auf einer Insel vor der Küste Kubas zu verstreuen. Diese Insel, mit dem Namen „Ernst Thälmann“, war ein Freundschaftsgeschenk Fidel Castros an die Ostdeutschen. Während seines Roadtrips zur Insel, muss Matthias sein altes Leben immer mehr loslassen. Er fängt an die Kubaner zu beneiden, für ihre Gemeinschaft, ihren Zusammenhalt und die sozialen Vorteile des Landes, und übersieht zu welchem Preis diese vermeintliche Schönheit nur existieren kann. Matthias triff hier auf seine Familie, die er eigentlich nicht sehen wollte, findet Liebe, die er nicht ertragen kann, und verliert einen Freund, den er nicht retten konnte. Er muss dabei entdecken was er immer vermisst hat, eine Heimat, eine Heimat die er sich nun vielleicht selber bauen kann.

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