Erde und Asche

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine erschütternde Parabel auf das Grauen des Krieges

Der aus Afghanistan stammende Regisseur Atiq Rahimi kennt es aus eigener Erfahrung, das Grauen von Krieg, Tod und Zerstörung, zerrissenen Familien und zerfetzten Körpern und Seelen. 1962 in Kabul geboren und dort aufgewachsen verweigert er als junger Mann den Militärdienst und flieht über Pakistan schließlich nach Frankreich, wo sich der Flüchtling dauerhaft niederlässt. Rahimi studiert Film an der Sorbonne in Paris, arbeitet als Journalist und schließlich als politisch scharfsichtiger Dokumentarfilmer für das Fernsehen, wo er sich mit häufig mit Themen wie Exil und seinem Herkunftsland Afghanistan beschäftigt. Im Jahre 2000 erscheint seine verstörende wie aufrüttelnde Novelle Erde und Asche, die sich mit dem Trauma des Krieges und seinen Folgen für das Dasein der Überlebenden in dieser permanent von gewalttätigen Krisen gebeutelten Region beschäftigt. Mit Erde und Asche / Khâkestar-o-khâk, der 2004 bei den Filmfestspielen in Cannes in der Sektion „Un Certain Regard“ gezeigt wird, inszeniert Rahimi seine eigene literarische Vorlage als Spielfilmdebüt, dessen eindringliche, schlichte und parabelhafte Virtuosität ihm bereits mehrere Auszeichnungen beschert hat.
An einer äußerst unwirtlichen, kargen Straßenkreuzung in Afghanistan, an der Straße zu einer Kohlenmine, wo es nur einen Schlagbaum mit Wachhäuschen, einen provosorischen, trostlosen Laden und einen ausgebrannten Panzer gibt, wird der alte Dastaguir (Abdul Ghani) mit seinem fünfjährigen Enkel Yassin (Jawan Mard Homayoun) von einem Lastwagen abgesetzt. Die beiden sind als einzige Mitglieder ihrer Familie der Bombardierung ihres Dorfes lebend entkommen und nun auf dem Weg zur Mine, in der Dastaguirs Sohn und Yassins Vater Murad arbeitet, um ihm die schreckliche Botschaft vom Tod seiner Frau und der Verwandten zu überbringen. Es ist in vielerlei Hinsicht ein schwerer Weg, denn neben dem Entsetzen und der Trauer befürchtet Dastaguir, dass Murad auf Rache sinnen wird und dadurch in die Spirale der nicht enden wollenden Gewalt gerät, die das zerstörte Land und die traumatisierten Menschen bereits viel zu lange beherrscht. Doch während Großvater und Enkel auf eine Mitfahrgelegenheit zur Mine warten, begegnen ihnen Schicksalsgefährten so unterschiedlicher Art und eine ebenso schlichte wie ergreifende Solidarität, dass Dastaguir schließlich begreift, dass die unverhüllte Wahrheit nicht zu jedem Zeitpunkt angemessen ist, sondern dass es gilt, zunächst so gut wie möglich zu überleben, für sie alle, vor allem mit Blick auf den kleinen Yassin.

Es sind schockierende Szenarien, die Atiq Rahimi mit Erde und Asche / Khâkestar-o-khâk entworfen hat, und sie berühren nicht zuletzt durch ihre enge Anlehnung an die Realitäten Afghanistans. Wir begegnen einer verstörten Mutter, die mit ihrer Tochter Zuflucht bei einem ausgebrannten Panzer sucht, einem gefangenen Soldaten, der seinen Vorgesetzten tötete, weil dieser den Befehl gab, sein Heimatdorf anzugreifen, Überlebenden bombardierter Dörfer, die das Ausmaß des Schreckens vor ihren Verwandten verbergen wollen, von denen sie nicht wissen, dass diese selbst bereits Opfer des Krieges geworden sind – doch ganz besonders erschüttert das Schicksal des kleinen Yassin, der seit dem Überfall auf sein Dorf taub geworden ist, jedoch annimmt, dass die Menschen, die ihn umgeben, ihre Stimmen verloren haben, und so sucht er diese im ausgebrannten Panzer, der als morbides Symbol des zerstörerischen Militarismus fungiert, der längst keine Gewinner mehr zurücklässt, sondern Opfer auf allen Seiten.

Und doch schleicht sich zu all diesen beinahe unerträglichen Abgründen ein unerschütterlicher Humanismus, der sich vor allem in einer geradezu grantigen Art von Humor manifestiert, der völlig unerwartet aufleuchtet und sich unauffällig wieder zurückzieht. In ähnlicher Weise strahlt hintergründig die unaufdringliche, aber filigran präsente Filmmusik von Francesco Russo und Khaled Arman auf, so dass der Reigen des Schreckens begleitet wird von der vehementen Sehnsucht zu überleben, weiter zu leben, letztlich zu leben, so gut es geht, vor allem als Botschaft an die Kinder, in denen sich die Hoffnung und die Zukunft widerspiegelt.

Erde und Asche

Der aus Afghanistan stammende Regisseur Atiq Rahimi kennt es aus eigener Erfahrung, das Grauen von Krieg, Tod und Zerstörung, zerrissenen Familien und zerfetzten Körpern und Seelen.
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