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Sherlocks kleine Schwester übernimmt: Enola Holmes ist ähnlich clever und ähnlich stur – und als ihr berühmter Bruder nicht nach der verschwundenen Mutter suchen will, macht sie das kurzerhand selbst. Ob das gutgeht?

Enola Holmes (2020)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Der Kampf einer Nachwuchsdetektivin

Ihr Name ist Enola Holmes. Ja, Sie haben richtig gelesen: Enola, nicht Sherlock. Enola Holmes ist die kleine Schwester des berühmten Meisterdetektivs und seit 2006 Protagonistin der Jugendbuchreihe von Nancy Springer, die nun verfilmt wurde.

Enola (Milly Bobby Brown) ist die Nachzüglerin der Familie Holmes. Ihr Vater verstarb, als sie noch sehr klein war, ihre großen Brüder Mycroft (Sam Claflin) und Sherlock (Henry Cavill) sind kurz darauf zuhause ausgezogen; Enola ist allein mit ihrer Mutter Eurdoria (Helena Bonham-Carter) aufgewachsen. Es gab in ihrem ganzen Leben daher bisher nur dieses Haus, ihre Mutter und ein Hausmädchen. Dadurch ist Enola unbeeinflusst von den gesellschaftlichen Erwartungen im viktorianischen England herangewachsen und hat außerdem eine außergewöhnliche Erziehung genossen: Jedes Buch in der Bibliothek hat sie gelesen, sie studierte vor allem Geschichte und Naturwissenschaften, lernte Kampfsportarten. Aber sie hat auch kaum eine Ahnung, wie es in der wirklichen Welt zugeht. An ihrem 16. Geburtstag verschwindet ihre Mutter nun spurlos und ihre Brüder wollen sie daraufhin in ein Internat stecken. Aber nicht mit Enola! Ihre Mutter hat ihr beigebracht, dass sie auf eigenen Füßen stehen muss und deshalb macht sie sich auf den Weg nach London, um ihre Mutter zu suchen.

Enola Holmes ist ein unterhaltsam-charmanter Film, der sich stets innerhalb der zu erwartenden Konventionen bewegt: Enola ist zwei Jahre älter als im Buch und nun eine lebhafte, selbstbewusste 16-Jährige, die ihre cleveren Bemerkungen gerne auch direkt in die Kamera spricht. Sie bewegt sich durch ein überwiegend sauberes England und London des Jahres 1884. Sogar die ärmeren Viertel sind so bewusst ein wenig dreckiger, dass man nicht vergisst, dass man sich hier in einem Film befindet.

Auf der Suche nach ihrer Mutter trifft Enola nun einen zweiten Jugendlichen, den Lord Tewkesbury (Louis Partridge), der vor seiner Familie floh, weil er kein vorgezeichnetes Leben leben will. Enola – hier die Umkehrung der üblichen Rollen – hilft ihm, sie ist wesentlich wehrhafter als er. Außerdem erkennt sie schon bald, dass nicht seine gesamte Familie ihn lebend zurückhaben will – und sie ihn vielleicht doch lieber mag als sie vorgibt.

Jedoch geht Enola Holmes weiter als lediglich Rollen umzubesetzen, sondern ist im Kern darauf angelegt, dass Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen sollen – und Enola muss nun darum kämpfen. Dazu spielt der Film im Jahr 1884, in dem in England über eine Wahlrechtsreform abgestimmt wurde – und Eudoria ist eindeutig eine Kämpferin für das Frauenwahlrecht. Sicherlich sind ihre feministischen Beschwörungen manchmal überdeutlich, aber sie machen die gesellschaftliche Enge und damalige Situation der Frauen deutlich. Die stärkste Szene indes ist ein Gespräch zwischen der Café-Besitzerin Edith (Susan Wokoma) und Sherlock Holmes. Sie konfrontiert ihn mit seiner Bequemlichkeit und bewussten Passivität in politischen Fragen: Natürlich will er das bestehende System nicht ändern, weil es ihm zum Vorteil gereicht. Damit markiert dieser Film auch eine klare Leerstelle nicht nur in den Holmes-Büchern, sondern auch den Verfilmungen: Sherlock Holmes kann deshalb so genial ermitteln, weil er finanziell gut ausgestattet und männlich ist.

Mehr Reibung an dem Holmes-Mythos hätte diesem Film gutgetan, stattdessen baut er bekannte Holmes-Figuren wie Inspektor Lestrade ein und schließt inszenatorisch insbesondere an die populären Verfilmungen von Guy Ritchie und die Fernsehserie mit Benedict Cumberbatch an – auffälligstes Beispiel ist hierfür die Musik und die Darbietung der Cleverness. Bisher beschränkt die sich bei Enola vor allem auf das Entschlüsseln von Worträtseln. In den Büchern kann sie weitaus mehr – und vielleicht ändert sich das in einer Fortsetzung. Bis dahin aber bietet Enola Holmes trotz mancher Längen überwiegend unterhaltsame zwei Stunden, in denen man sogar lernen kann, warum es wichtig ist, für politische Veränderungen zu kämpfen.

Enola Holmes (2020)

Enola Holmes ist die jüngere Schwester von Sherlock Holmes. Als ihre Mutter vermisst wird, avanciert auch sie zur Superspürnase. Sie stellt sogar ihren berühmten Bruder in den Schatten, als sie eine gefährliche Verschwörung um einen mysteriösen jungen Lord aufdeckt.

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