El Bulli - Cooking in Progress (2010)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Magische Momente

Der beste Koch der Welt – diese Auszeichnung ist Segen und Fluch zugleich. Denn wie will man die Kochkunst Jahr für Jahr neu erfinden, wenn man, wie der Drei-Sterne-Virtuose Ferrán Adrià, die Gourmetküche schon vollkommen revolutioniert hat? Wie das gehen kann, zeigt die sehenswerte Dokumentation von Gereon Wetzel über die Köche des weltberühmten spanischen Restaurants El Bulli. Eine visuelle Reflexion über das Wesen der Kreativität.

Alles, was man über das El Bulli berichten kann, hat mit Superlativen zu tun. Fünf Mal bestes Restaurant der Welt, jährlich zwei Millionen Reservierungsanfragen, von denen nur 8.000 berücksichtigt werden können, 70 Mitarbeiter für 50 Gäste, Menüfolgen mit 25 bis 30 Gängen und eine Avantgardeküche, die traditionelle Vorstellungen vom Aussehen zubereiteter Lebensmittel auf den Kopf stellt. „Es ist verrückt, wenn Sie es nach normalen Maßstäben beurteilen wollen“, sagte Adrià einmal in einem Interview über das Essen im El Bulli. „Aber wir sind nicht normal.“

Entsprechend häufig ist schon über das abgelegene Restaurant an einer katalanischen Meeresbucht berichtet worden, auch in TV-Dokumentationen. Gereon Wetzel macht deshalb gar nicht den Versuch, solchen Porträts ein weiteres hinzuzufügen. Er interessiert sich weniger für das Lokal als solches, sondern mehr für das El Taller in Barcelona. Das ist die Versuchsküche, in die sich Adrià sechs Monate lang zurückzieht, um zusammen mit einem halben Dutzend seiner Spitzenköche neue Gerichte für die nächste Saison zu erfinden.

Das Wort „erfinden“ muss man dabei ganz wörtlich nehmen. Alles, was schon einmal da war, findet keine Gnade vor Adriàs kritischem Gaumen. Der Spanier hält sich streng an die Maxime, die er von einem französischen Sternekoch-Vorbild übernommen hat: „Kopiere nicht“. Und so steht Oriol Castro, der wichtigste Mitarbeiter Adriàs, vor einem völlig offenen Prozess, wenn im El Taller die ersten Experimente beginnen. Gewiss, als einem Vertreter der Molekularküche, die auch mit Vakuum oder flüssigem Stickstoff arbeitet, stehen ihm ungewohnte Verarbeitungsprozesse zur Verfügung. Aber das hilft erstmal nicht viel, wenn man aus dem Saft einer Süßkartoffel etwas Aufregendes zaubern will. „Sollen wir daraus ein Baiser machen?“, wird Castro gefragt. Er hält wenig von der Idee, kann aber auch nicht genau sagen, wohin die Reise geht.

Irgendwann aber kommt nach vielen Irrtümern die zündende Idee. El Bulli – Cooking in Progress fängt diese magischen Momente ein. Dann verweilt die Kamera lange auf den Gesichtern von Adrià und Castro, registriert jedes Muskelzucken, jeden Zweifel und jedes plötzliche Aufleuchten in den Augen. Die Blickwechsel gehen hin und her – und die Montage lässt spüren, dass sich nun etwas Großartiges anbahnt. Verbal passiert in solchen Augenblicken wenig, alles spielt sich im blinden Verstehen der Protagonisten ab. „Dieser Champignon schmeckt gut“, sagt Adrià nur, aber Castro weiß, nun bekommt der Suchprozess endlich eine hoffnungsvolle Richtung.

Gereon Wetzel lässt den Zuschauer teilhaben am Experiment mit ungewissem Ausgang. Er lässt ihn den Druck spüren, der auf den Protagonisten lastet, aber auch die Lust am Entdecken. Ohne Kommentar und klassische Interviewszenen, immer nahe an den Gesichtern und dem Hantieren mit Speisen und Geräten, eröffnet die Dokumentation einen erstaunlich unkomplizierten Zugang zu dem, was anderen vielleicht als das Geheimste vom Geheimen gilt. Aber Ferrán Adrià ist in dieser Beziehung völlig uneitel. Man darf ihm dabei zusehen, wie er auch mal gereizt reagiert. Er gibt Einblicke, wie penibel jeder einzelne Versuch im Computer und auf Papier festgehalten wird, mit Fotos und detaillierten Beschreibungen, auch wenn es sich, wie so oft, um Fehlschläge handelt. Und er verrät, nach welchem System nach und nach die vielversprechenden Experimente aus den unzähligen Sackgassen herausgeschält und weiter verfeinert werden.

Nur eines erlaubt Adrià dem Zuschauer nicht: künftig einmal im El Bulli zu essen. Das Restaurant wurde vor dem Filmstart geschlossen und in eine Stiftung umgewandelt. Hier sollen künftig Spitzenköche ausgebildet werden. Und Ferrán Adrià möchte künftig noch mehr Zeit für seine Forschungen und Kreationen haben. Sich immer wieder neu zu erfinden, darin ist der Kochkünstler, der nächstes Jahr 50 Jahre alt wird, wohl nach wie vor Weltmeister.
 

El Bulli - Cooking in Progress (2010)

Der beste Koch der Welt – diese Auszeichnung ist Segen und Fluch zugleich. Denn wie will man die Kochkunst Jahr für Jahr neu erfinden, wenn man, wie der Drei-Sterne-Virtuose Ferrán Adrià, die Gourmetküche schon vollkommen revolutioniert hat?

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Meinungen

Erik · 21.10.2011

Beeindruckende Bilder mit einem Gespür für geniale Momente so mein Eindruck. Kreation, Kunst, Geschmack und Sinnerlebnis sind die Zutaten einer solchen Hingabe. Daraus ist scheinbar, für die Kochwelt, etwas einzigartiges entstanden.

Rolf Fürthner · 15.10.2011

Toller Film über kreatives Arbeiten generell! Hat mich sehr inspiriert und macht den abstrakten Vorgang des kreativen Schaffens auf sehr anschauliche Weise zum sichtbar sinnlichen Erlebnis. Natürlich muss man sich darauf einlassen wollen - wem`s zu langweilig ist, der ist sicher mit "Lanz kocht" besser bedient. Doch dieser feinsinnige Dokumentarfilm geht weit über das Kochen hinaus. Ein muss für alle Kreativen oder all diejenigen die sich gerade in einer schöpferischen Krise befinden. Kunst ist harte Arbeit - und bedarf der sich immer wiederholenden Bereitschaft zum Neuanfang. Und dazu macht der Film Mut. Vielen Dank den feinsinnigen, klugen Filmemachern und natürlich Adrian Ferran.

mike schröder · 20.09.2011

langweilig, viel zu lang und völlig uninspirierend - stoff reicht für maximal 10 minuten

K. Albers · 19.09.2011

Großartiger Film! Zweimal anschauen lohnt sich. Was es heißt kreativ zu sein, läßt mich der Film ahnen.