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Absurdes Theater im Gefängnis – vor dieser Aufgabe steht Kad Merad als abgehalfterter Schauspieler, der Häftlingen Schauspielunterricht geben soll. Ist Emmanuel Courcols Spielfilm am Ende ein Triumph? 

Ein Triumph (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wenn sich Warten lohnt

Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Kinobranche sind weiterhin spür- und sichtbar. Ein Platz Sicherheitsabstand und leer bleibende Sitzreihen nach der Wiedereröffnung der Abspielstätten sind das eine; Filme, die es erst mit großer Verzögerung in die Kinos schaffen, das andere. Emmanuel Courcols zweiter abendfüllender Spielfilm zählt dazu. Ursprünglich sollte er im Mai 2020 im Wettbewerb der 73. Internationalen Filmfestspiele in Cannes laufen, doch die fielen bekanntlich aus. Wie die Figuren seiner Komödie musste das Kinopublikum also erst einmal warten.

Warten, warten, warten. Für Nabil (Saïd Benchnafa), Patrick (David Ayala), Jordan (Pierre Lottin), Alex (Lamine Cissokho) und Moussa (Wabinlé Nabié) besteht jeder Tag aus nichts anderem. Warten aufs Aufschließen, warten aufs Duschen, warten aufs Essen, warten auf den Hofgang, warten auf den Einschluss. Und neben all den kleinen Wartezeiten warten sie darauf, ihre Haftstrafe endlich abgesessen zu haben. Als Étienne Carboni (Kad Merad) mit gesenktem Blick all die Sicherheitsschleusen ihres Gefängnisses passiert, kommt Abwechslung in ihren Alltag. Der Schauspieler soll im Zuge eines geförderten Sozialisierungsprogramms eine Theatergruppe leiten, für die sich die fünf Insassen freiwillig gemeldet haben. Doch bald schon kommt ihm eine neue Idee.

Der von Kad Merad gewohnt souverän gespielte Étienne steckt selbst in einer Warteschleife. Seit Jahren stand er nicht mehr auf einer Bühne. Mit ungeliebten Gelegenheitsjobs hält er sich über Wasser. Motivationsseminare, in denen er ausgepowerte Schlipsträger über den Dächern von Lyon mit dem Haka, dem rituellen Tanz der Māori, wieder fit für die Schreibtischarbeit macht, zählen ebenso dazu wie sein jüngstes Engagement im Gefängnis. Dass er darauf wenig Lust hat, verraten allenfalls seine müden Augen. Im Unterricht mit den Schauspielnovizen gibt er alles und macht sich mit seinen Schützlingen schon mal zum Affen.

In den wenigen Stunden, die Étienne genehmigt wurden, probt er die Fabel vom Hasen und vom Igel. Nach der erfolgreichen Aufführung vor Mitgefangenen haben der arbeitslose Schauspieler und seine Truppe Blut geleckt. Kurzentschlossen setzt Étienne Samuel Becketts Warten auf Godot als nächstes Projekt an – denn wovon verstehen Gefangene mehr als vom Warten? – und überrumpelt die zuständigen Stellen. Seinem Freund Stéphane (Laurent Stocker), mit dem er in Becketts berühmtem Stück einst selbst auf der Bühne stand und der inzwischen das Théâtre Croix Rousse in Lyon leitet, ringt er einen Termin für eine Aufführung ab. Die Gefängnisdirektorin Ariane (Marina Hands) macht er zu seiner Verbündeten. Sie ist es auch, die schließlich die alles entscheidende Richterin (Catherine Lascault) von dem gewagten Vorhaben überzeugt. Die nächsten sechs Monate stehen ganz im Zeichen des absurden Theaters.

Im Film geht es derweil eher realistisch als absurd zu. Gedreht wurde im Strafvollzugszentrum von Meaux-Chauconin, in dem Emmanuel Courcol zuvor bereits einen Dokumentarfilm über ein ähnliches Kulturprojekt realisiert hatte. Die Bilder von Kameramann Yann Maritaud verleihen dem Ganzen eine authentische Atmosphäre. Erzählt wird indessen Erwartbares. Sprachprobleme und Schwierigkeiten beim Auswendiglernen müssen überwunden, Lampenfieber muss besiegt werden. Mit Kamel (Sofian Khammes), der Nabil in einer der Hauptrollen ersetzt, kommt eine Figur mit zwielichtigen Motiven, und mit dem Putzmann Boïko (Aleksandr Medvedev) eine mit trockenem Humor und fliegenden Fäusten hinzu. Am Ende steht die Aufführung im Théâtre Croix Rousse: ein Triumph. 

Die meisten Filme wären hier zu Ende, dieser fängt erst richtig an. Andere Theater werden auf die ungewöhnliche Truppe aufmerksam. Étienne und seine Knastbrüder gehen auf große Tournee. Und das Warten bekommt neue Dimensionen. Jedes Mal, wenn sie von einem Gastspiel in ihr Gefängnis zurückkehren, werden all die Geschenke, die sie unterwegs erhalten haben, gründlich gefilzt. Die Insassen sehen hilflos zu. Vertrauen sieht anders aus, der Frust wächst und mündet in eine finale Volte beim großen Finale im Pariser Odéon, die an dieser Stelle nicht verraten werden soll.

„Ich möchte keine verzweifelten Filme machen, auch wenn sie von einer düsteren Realität handeln. Solange es ein humanistisches Element gibt, ist ein Lichtblick immer möglich“, sagt Emmanuel Courcol über seinen Film. Courcol, der seine Karriere als Schauspieler begann, sich dann vermehrt dem Drehbuchschreiben zuwandte und inzwischen auch Regie führt, ist mit seinem neuen Film ein solcher Lichtblick gelungen. Seine Tragikomödie ist witzig und warmherzig. Und sie ist sie mitfühlend, weil sie die Menschen hinter den Gefängnisinsassen zeigt. Es sind Menschen, die mit Herzblut bei der Sache sind.

Die Geschichte, die Courcol seinem Publikum hier auftischt, beruht übrigens auf wahren Begebenheiten, so ausgedacht sie mitunter auch anmutet. Sie ist dem Schweden Jan Jönson und Insassen des Hochsicherheitsgefängnisses in Kumla Mitte der 1980er-Jahre widerfahren. Für Samuel Beckett (1906–1989), der seinerzeit noch lebte und Jönson kennenlernte, war es das Schönste, was seinem Theaterstück passieren konnte. 

Nach dem abgesagten Filmfestival in Cannes feierte Un triomphe, wie die Tragikomödie im Original heißt, schließlich Ende August 2020 beim Filmfestival in Angoulême Weltpremiere. Am 1. September 2021 kam sie in Frankreich regulär in die Kinos. Noch ein Jahr später ist sie nun auch in Deutschland zu sehen. Das Warten hat sich gelohnt.

Ein Triumph (2020)

Ein Schauspieler, der seine besten Jahre hinter sich hat, gibt Gefangenen Schauspielunterricht  und versucht, gemeinsam mit diesen „Warten auf Godot“ zu inszenieren.

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Meinungen

Schubert Günter · 08.01.2023

Als Cineast habe ich ( ich bin fast 80 ) unzählige Filme gesehen.( Bei einem Schiele-Film saß ich beispielsweise einst allein im Kino, ein Zweiter schlich sich im Dunkeln dazu.) Der Film "Ein Triumph"gehört zu meinem besten Film, den ich in den letzten Jahren gesehen habe. Da ich als Germanist das Warten auf Godot natürlich kenne, war ich nicht nur von dem Hauptdarsteller beeindruckt, auch die anderen Schauspieler spielten die Knackis exzellent, die Auszüge aus dem Werk einmalig gewählt. Beeindruckend! Ich gebe zu, dass ich manchmal den Tränen nahe war.