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Viele Vorurteile gibt es gegen die Polizei in Mexiko. Alonso Ruispalacios blickt mit „A Cop Movie“ auf zwei Polizist:innen und ihre Arbeit in dieser Stadt. 

Ein Polizei-Film (2021)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Warum wird man Polizist:in in Mexico City?

Von der Polizei in Mexiko hat vermutlich fast jede:r ein bestimmtes Bild – egal ob ein direkter Kontakt zu der Polizei oder gar ein Besuch in dem Land stattgefunden hat. Aber zahllose Kriminalerzählungen – unterstützt von Reportagen und Artikeln – verbreiten das Bild der korrupten, unfähigen, untätigen mexikanischen Polizei. Der mexikanischer Filmemacher Alonso Ruizpalacios hat nun einen Film über die mexikanische Polizei gedreht: „A Cop Movie“ („Una película de policías“). 

Produziert wurde dieser Film mithilfe von Netflix, aber das sollte nicht in die Irre führen: Zwar beginnt A Cop Movie wie einer der vielen hart an der vermeintlichen Wirklichkeit operierenden Polizistenfilme, die dort zu streamen sind. Aber von Anfang an merkt man, dass hier etwas anders ist. Das beginnt schon mit dem ersten Ton. Zunächst wirkt es, als würde eine Frau sehr laut schreien, dann wird dieser Schrei aber zu einem Sirenenklang. Die Kamera sitzt auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens, blickt nur durch die Frontscheibe. Zu hören ist der Funkverkehr, schließlich nimmt die Fahrerin des Fahrzeugs einen Ruf an und fährt zu einem Haus. 

Und hier beginnt dann der zweite große Bruch: Zunächst einmal steht eine Polizistin in dem ersten Teil dieses Films im Mittelpunkt. Als sie vor dem Wohnhaus anhält, wird sie alles andere als freundlich begrüßt. Es ist eine feindliche, bedrohliche Atmosphäre, sie wird skeptisch beäugt. Tatsächlich liegen die Nerven der Bewohner:innen blank: Sie warten seit Stunden auf einen Krankenwagen, nun kam anstatt der erhofften medizinischen Hilfe für eine schwangere Frau in den Wehen ein Polizeiwagen, den sie nicht gerufen haben. Teresa (Mónica Del Carmen) entschließt sich dennoch zu helfen. Sie weiß, dass sie ein Risiko damit eingeht, aber die Frau tut ihr leid. Damit endet diese Szene, die wie ein Thriller begann, mit einem Happy End und beinahe einer Unmöglichkeit in einem „Polizeifilm“ abschließt: Eine gute Polizistin hat eine gute Tat vollbracht. 

Von Teresa und ihrem Weg zur Polizei erzählt das erste Kapitel dieses Films, der insgesamt aus fünf besteht. Auf sie folgt Montoya (Raúl Briones), der wegen seines Bruders zur Polizei gegangen ist. Auch Teresa folgte familiären Pfaden, bei ihr war es ihr Vater, der allerdings gegen ihre Entscheidung war. In der ersten Sequenz mit Montoya ist zu sehen, wie er Teresa von hinten berührt, an die Innenseite der Schenkel fasst. Und auch hier scheint man wieder seine Erwartungen von der sexistischen Polizei bestätigt zu sehen. Es stellt sich aber heraus, dass Teresa und Montoya nicht nur Kolleg:innen sind. Sie haben sich im Dienst kennengelernt, galten dann als „love patrol“ und leben zusammen. 

Es folgt ein weiterer Bruch in diesem Film: Die Aufnahmen eines Gesprächs mit Teresa und Montoya muss unterbrochen werden, weil ein Generator ausgefallen ist. Die Schauspieler:innen machen Pause und der Film schwenkt zu einem anderen Thema: Wie bereiten sich Schauspieler:innen auf diese Rollen vor? In diesem Fall nun haben Del Carmen und Briones tatsächlich für drei Monate an der Polizeiausbildung teilgenommen und dabei mit ihren iPhones gefilmt, oft auch tagebuchartige Monologe, die hier montiert sind. Und damit hat dieser Film nun eine weitere Meta-Ebene erreicht: Es ist nicht nur ein Film über die Polizei, sondern auch ein Film über einen Film über die Polizei. 

Die Schauspieler:innen blicken wie die Figuren, die sie vorher gespielt haben, direkt in die Kamera. Sie erzählen von ihren eigenen Vorbehalten, ihren Erfahrungen. Schließlich kommen dann als weitere Ebene die Vorbilder für ihren Rollen hinzu und erzählen ihre Erlebnisse. Auch sieht man Del Carmen und Briones, wie sie die Erzählweise von Teresa und Montoya – den echten – einstudieren, damit sie genauso klingen.

Auf diese Weise gelingt Alonso Ruizpalacios ein sehr vielschichtiger Film, der sowohl mit dokumentarischen als auch fiktionalen Mitteln arbeitet – und zwar hier dezidiert denen eines Polizistenfilms, das hört man schon alleine an dem Score und sieht man in der Inszenierung der Polizeimomente. Zugleich aber greift sein Film das Misstrauen und den Argwohn gegenüber der mexikanischen Polizei auf und macht deutlich, wie schmal die Grenze zur Korruption in einem System ist, das durch und durch korrupt ist. Ein einfaches Beispiel dafür ist, dass die Polizist:innen den Kolleg:innen, die das Arbeitsmaterial ausgeben, Geld dafür geben müssen, eine gute schusssichere Weste, eine gute Waffe usw. zu bekommen. 

Alonso Ruizpalacios macht nicht den Fehler, seine Protagonist:innen oder die Polizei zu romantisieren. Aber mit seiner Inszenierung – die seinem Cutter bei der Berlinale 2021 einen Bären für den besten Schnitt einbrachte – gelingt es ihm, das Bild der gesichtslosen korrupten Behörde zu durchbrechen und von den Menschen in dieser Behörde zu erzählen, ohne das System von Schuld freizusprechen. Ganz im Gegenteil: Am Ende dann werden auch Teresa und Montoya genau die Folgen dieses Systems zu spüren bekommen.

Ein Polizei-Film (2021)

Was muss man mitbringen, um Polizist*in in Mexiko-Stadt zu sein? Zwei professionelle Schauspieler*innen gehen dieser Frage auf den Grund: Sie steigen in die Uniform und vermitteln uns Innenansichten aus dem Polizeialltag, die unter die Haut gehen. Die Polizei ist in Mexiko eine höchst umstrittene Instanz: Sie soll das Funktionieren einer Gesellschaft regeln, in deren Kriminalität sie selbst verstrickt ist. Auf die Filmwelt übt das zweifelsohne eine anhaltende Faszination aus. Da ist die permanente Angst der Familien, wenn Vater, Bruder oder Tochter im Polizeidienst arbeiten. Aber da sind auch Stolz und Neid, den die Uniform auslöst, Mut und Pflichtgefühl. 

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