Ein deutsches Leben

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Uroma erzählt von ihrer Zeit mit Joseph Goebbels

„Ist es Egoismus, ist es schlecht, wenn Menschen da, wohin sie gestellt werden, etwas tun, was für sie gut ist? Auch wenn es anderen schadet?“ Eine große moralische Frage spricht die Protagonistin am Anfang aus. Eine Frage, über die man nachdenken könnte – würde sie nicht aus dem Mund von Brunhilde Pomsel kommen, die in den 1940ern Sekretärin bei Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels war – sie behauptet von sich, ganz unpolitisch gewesen zu sein, aber in eine solche Stellung kommt man natürlich, objektiv betrachtet, nicht, wenn man in irgendeiner Weise gegen das Regime gestellt ist. Ein deutsches Leben heißt der Dokumentar-Interviewfilm von Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer: Ein Interview mit einer alten Frau, zur Zeit des Drehs 103 Jahre alt – eine Frau, die Teil war der schrecklichsten Maschinerie aller Zeiten und die so nett, so würdevoll, so humorvoll wirkt.
Die Uroma erzählt von früher. Geschichten aus ihrem Leben, Anekdoten von ihren Freundinnen, Ausbildung und Beruf, erst beim Rundfunk, dann im Ministerium als Stenotypistin, als Sekretärin – dass ihre Brotgeber Agenten des absolut Bösen waren, na ja, das hat sie schon bemerkt, aber was ist es sie angegangen? Womit wir bei dem klugen Ansatz des Filmes wären: Er konzentriert sich auf Pomsels Erzählungen, wir haben nur die Frau und ihre Stimme, keine Interviewer-Fragen stören – und er fordert vom Zuschauer mitzudenken. Sich einerseits einzulassen auf ihre Geschichten, diese andererseits zu reflektieren, einzuordnen, sich nicht gefangen nehmen zu lassen, sondern das Dahinter zu bemerken. Brunhilde Pomsel war sicherlich nicht nur die unpolitische „Mitläuferin“, als die sie sich darstellt; sie war sicherlich aber auch keine Verbrecherin im Sinn der Nürnberger Prozesse. Was sie tat, war unmoralisch, unentschuldbar, entsetzlich. Warum sie es tat, ist umso verständlicher.

Man bekommt einen Eindruck davon, wie es ist, aufzuwachsen im ersten großen Krieg, in einem nach wie vor wilhelminisch geprägten Umfeld, eine Jugend in den politischen Wirren der Weimarer Republik, wo einem alsbald die extreme Linke wie die extreme Rechte und irgendwann alle Parteien über sein können. Wie sie hineinwächst in die nationalsozialistische Politik und Kultur und Gesellschaft, weil sie etwas anderes nicht kannte, weil es eben 1933 keinen Umbruch gab, sondern eine konsequente Entwicklung. Dass die Richtung falsch war, ja, das konnte man ahnen, und wahrscheinlich hat Pomsel das geahnt. Aber was hätte sie tun können, sie war jung, in ihren 20ern, sie wollte leben.

Gelernt hat sie bei einem jüdischen Rechtsanwalt. Der musste emigrieren. Naja, dann geht sie halt zum Radio! Für die Ausübung ihres Berufes in die NSDAP einzutreten, ist auch kein so großer Schritt. Dann der Karriereschritt ins Propagandaministerium – warum nicht? Es war damals ohnehin alles Propaganda, es war alles alternativlos, 1942, und warum soll sie nicht tun, was sie gut kann?

Andererseits sind da diese Einsprengsel in den Film, Ausschnitte aus Propagandafilmen – nationalsozialistisch wie aus dem „feindlichen Ausland“ der USA –, Amateurfilme, Wochenschauen, Goebbelszitate, die das Erzählte punktweise einordnen, erweitern, zurechtrücken. Und da ist diese Geschichte von Eva, Brunhildes bester Freundin. Die war Jüdin, hatte, wie Frau Pomsel ganz ungeniert sagt, einen richtigen „Judenzinken“; irgendwann haben sie sich immer mehr aus den Augen verloren, vielleicht, na ja, war die jüdische Freundin auch irgendwie im Weg bei Brunhildes Lebensplanung. Dass sie im KZ getötet wurde, kommt am Ende raus aus Pomsel Erzählung; aber es hat ihr Leben und Denken nicht geändert, so scheint es, die Trauer über die Freundin ist kein Anlass zu Trauer über die eigenen Verfehlungen und Unterlassungen.

Es gibt seit 20, 25 Jahren einen Nazi-Hype im Dokumentarischen; aus diesem Guido-Knopp-Effekt entsprang ja auch Hirschbiegels Der Untergang, die spielfilmifizierten Memoiren der Hitlersekretärin. All diese Dokus und Filme sind aufs Zeigen aus, dem Zuschauer soll etwas vor Augen geführt werden, und sie beinhalten natürlich auch, Objekt eines gewissen Geschichtsvoyeurismus zu sein. Ein deutsches Leben entspricht einer anderen Haltung. Hier muss sich der Zuschauer positionieren, darf sich nicht im Erzählten ausruhen. Er muss mitarbeiten, selbst das Erzählte in Relation setzen – es sind schon ziemliche Hämmer in dieser so freundlichen, konzentrierten Geschichte: „Soll ich mir den Vorwurf machen, dass ich mich früher für Politik nicht interessiert habe? Vielleicht war das auch gut, vielleicht wäre man in jugendlichem Idealismus sogar auf eine Seite geraten, die einem längst den Garaus gemacht hätte.“ Pflichtbewusstsein ist eben auch Opportunismus, bewusstes Desinteresse ist Feigheit.

„Bist eigentlich ganz gut weggekommen die ganze Zeit“, sagt Pomsel von sich selbst. Kam nach 1945 für fünf Jahre in Gefangenschaft. Wurde entnazifiziert. Arbeitete als Chefsekretärin beim SWF in Baden Baden. Am 27. Januar 2017 ist Brunhilde Pomsel verstorben, im Alter von 106 Jahren. Am Jahrestag der Befreiung des Ausschwitz-Vernichtungslagers.

Ein deutsches Leben

„Ist es Egoismus, ist es schlecht, wenn Menschen da, wohin sie gestellt werden, etwas tun, was für sie gut ist? Auch wenn es anderen schadet?“ Eine große moralische Frage spricht die Protagonistin am Anfang aus. Eine Frage, über die man nachdenken könnte – würde sie nicht aus dem Mund von Brunhilde Pomsel kommen, die in den 1940ern Sekretärin bei Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels war.
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Meinungen

Reiner Bewersdorff · 05.07.2016

Ich habe diesen Film noch nicht gesehen. Somit kann ich mich kaum über seinen Inhalt bzw. seine Qualität äußern.

Dennoch möchte ich hier meine Gedanken niederlegen.

Es fällt mir schwer, der Aussage „wir haben nichts gewusst“ Glauben zu schenken.
Dieser Aussage, die nun nicht nur aus dem Mund dieser alten Dame zu einer gewissen Popularität, wenn nicht inflationären Charakteristik im Zusammenhang mit dem, was das 3. Reich verkörperte, stammt.

Es ist viel, sehr viel darüber diskutiert worden über ihre Glaubhaftigkeit.
Heute, drei Generationen nach diesen Ereignissen, wird es uns kaum möglich sein, eine auch nur an Objektivität grenzende Meinung zu erlangen.

Ich denke, nachvollziehbar ist es nur nur unter Berücksichtigung der Komplexität dessen, was in diesen 12 Jahren geschah und somit wird es uns verschlossen bleiben.

Man darf sich die Verbrechen, die in der NS-Zeit begangen wurden, nicht als ein großes ganzes Konstrukt vorstellen, das nun plötzlich da war, und dem von heute auf Morgen alles unterstand. Man ging bei der Umsetzung, nehmen wir z.B. die Rassengesetze, sehr subtil vor.

Sie erfolgte gewissermaßen in wohl dosierten Einheiten, dies wiederum unterstützt durch meinungszersetzende Propaganda und nicht zuletzt mit der Inaussichtstellung von Konsequenzen, sofern man sich gegen das, was nun mal dem Wohle des Volkskörpers dienen sollte, widersetzte. Zudem kam das Phänomen der „Psychologie der Massen", wenn es jeder denkt, wird es schon richtig sein bzw. wenn etwas von dem, das keiner wissen wollte, an die Öffentlichkeit drang, werden es bestenfalls Gerüchte sein. Inwieweit man nun in der Position einer Frau, die gewissermaßen in der Schaltzentrale der Täter ihren Dienst verrichtete, dieser Aussage Glauben schenken mag, ist für mich mehr als zweifelhaft. Vielmehr schreibe ich dies einem gewissen Verdrängungsmechanismus zu. Ich schaue nicht hin, dann weiß ich auch nicht.

Ich denke nicht, also bin ich nicht, der Umkehrschluss also, des bekannten Rene Descartes Satzes: „Cogito ergo sum“
Ich denke nicht darüber nach, was ich tue, also trifft mich keine Schuld.
Doch wer nicht weiß, weil er eben nicht hinschaut, und diese Haltung über diese Zeit der Verbrechen auch weiterhin aufrecht hält, trägt zumindest eine Mitschuld an dem, was hinterher geschah: Der nur teilweise erfolgten juristischen Aufarbeitung dieser Zeit.