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In Hilmar Oddssons „Driving Mum“ chauffiert ein stoischer Isländer seine tote Mutter durchs Land. Eine Mischung aus schwarzer Komödie und Charakterdrama mit ganz eigener Atmosphäre.

Driving Mum (2022)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Roadtrip mit Leiche

Unter all den Gegenden in Island, auf die das Wort „abgelegen“ zutrifft, sind die Westfjorde nochmal eine ganz eigene Nummer. Schwierige Geografie, kaum Infrastruktur, schlechte Straßenanbindung, dünne Besiedlung. Genau dort lebt Jón (Þröstur Leó Gunnarsson) im Jahre 1980 mit seiner Mutter (Kristbjörg Kjeld) und seinem Hund auf einem kleinen Hof, beide vertreiben sich ihre Zeit, indem sie still nebeneinander Pullover stricken und diese an den einen Kerl verkaufen, der alle paar Tage mit dem Ruderboot anlandet. Der hat dann auch immer ein paar Kassetten mit halbwegs aktuellen Nachrichten und veralteten Wetterberichten im Gepäck. So vergehen die Tage. Jóns Mutter sieht ihr baldiges Ende kommen. Für den Fall ihres Todes hat sie zwei Wünsche: Sie will in ihrem Geburtsdorf Eyrarbakki im Südwesten Islands begraben werden, und Jón soll nicht allein hier in den Westfjorden zurückbleiben. Der gealterte Bartträger nimmt das wie alles stoisch und grummelnd hin.

Driving Mum, der neue Film des isländischen Regisseurs Hilmar Oddsson, ist von Beginn an von einer schwermütigen Tristesse geprägt. Das ist sowohl dem Szenario, das Kameramann Óttar Guðnason in weiten Winkeln und ruhigen Bildern einfängt, als auch dem Schwarzweiß-Look geschuldet. Doch schon bald und reichlich unerwartet fügt Oddsson eine ordentliche Prise schwarzen Humor hinzu. Als Jóns Mutter tatsächlich stirbt, trägt ihr Sohn ihr mehr schlecht als recht Make-up auf, packt die Leiche auf den Rücksitz seiner alten, keuchenden Rostlaube, die er seit Jahren nicht gefahren ist, und nimmt auch Hund Breschnew mit, der zunächst so gar keine Lust auf diesen Roadtrip hat.

Der führt das Dreiergespann im Schneckentempo über holprige Straßen und durch die karge Landschaft der Vulkaninsel. Und – so gehört sich das schließlich für das Genre des Roadmovies – beschert Jón alle paar Meter Begegnungen der mal angenehmen, mal unangenehmen Art. Etwa mit einer Gruppe deutscher Touristen, zwei alkoholisierten Damen, die ihn unverhohlen anbaggern, einem krebskranken Franzosen auf Wanderschaft oder einem Bauernpärchen, das es mit morbidem Humor verarbeitet, dass ihr Hund vor Jóns Auto gerannt ist.

All das – das Schwere und das Leichte – nimmt der Reisende in seiner unterkühlten, unnahbaren Art und ohne große Gesichtsregungen hin. Erst hintenraus beweist er, dass er doch kein Eisblock ist. Zumal, das wird allmählich spürbar, eine große Trauer, ein schwerer Verlust auf seinen Schultern lastet: eine alte Liebe, die ihn einst verlassen und mit seiner Mutter zurückgelassen hat. Ihr Antlitz erkennt er regelmäßig in den Gesichtern junger Frauen, denen er begegnet. Und dann ist da ja auch noch seine tote Mutter, die ihm von Rücksitz aus immer wieder Vorwürfe macht und Kommandos gibt…

Driving Mum pendelt beständig zwischen skurriler schwarzer Komödie und tiefem Drama, zwischen bodenständigem Reisefilm und psychologischer Charakterstudie, was im Zusammenspiel mit der unaufgeregten Inszenierung eine ganz und gar einnehmende, ungewöhnliche Atmosphäre schafft. Es geht um die Bewältigung und Verarbeitung der eigenen Vergangenheit, darum, endlich abzuschließen, um weiterzumachen und voranzukommen. Zur Not auch mit radikalen Maßnahmen. Die Folgen davon sind nämlich immer noch besser, als einsam in einer kleinen Hütte am Ende der Welt zu versauern. Insofern ist Driving Mum, obwohl ein Todesfall im Mittelpunkt steht, ein wahnsinnig lebensbejahender Film.

Driving Mum (2022)

Jon lebt gemeinsam mit seiner alten Mutter an einem der abgelegensten Orte der Westfjorde Islands. Als sie verstirbt, muss er gemäß ihrem letzten Willen eine Reise quer durch das Land unternehmen, um ihren Leichnam in ihrem Heimatdorf zu bestatten.

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Meinungen

Annette Mogwitz · 29.04.2023

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