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Geburtstag. Övünç wird 30 Jahre alt. Feiern mit Freunden. Sichtreibenlassen durch die Stadt. Sich Finden, vielleicht sich Verlieren, eine Nacht lang: „Dreißig porträtiert eine Generation, indem der Film einen Ausschnitt aus dem Leben zeigt. 24 Stunden, sechs Leute, in Neukölln.

Dreissig (2019)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Kopfüber in die Nacht

„Demnächst auf Video“ lautet die Schrifteinblendung. Und wir sehen ein Zimmer, in dem jemand schläft. Und schläft. Und schläft. Das ist schon mal ein großartiger Anfang für einen Film: Nichts zu zeigen außer Schlaf. Das aber mit einer Erwartungshaltung zu unterfüttern, dass alles passieren könnte. Dreißig heißt der Film, der Protagonist Övünç wird dreißig, er und seine Freunde feiern. Das ist der Plot von Simona Kostovas Debütfilm – und erst nach der ersten, langen Szene des Schlafens und Erwachens versteht man, dass „Demnächst auf Video“ der originelle Name der Produktionsfirma ist.

Die Figuren tragen die Namen ihrer Darsteller. Das gibt dem Film eine gewisse Unmittelbarkeit. Dazu kommt die Alltäglichkeit: Nicht nur weil Övünç zu Beginn schläft, auch die anderen Charaktere sehen wir in ihrer täglichen Routine: im weitgehenden Nichtstun. Freunde und Freundinnen werden eingeladen zur abendlichen Party, in langen Kameraeinstellungen folgen wir der Clique, in einer klassischen Einheit von Personen, Zeit und Ort: Sechs Leute, eine Nacht in Neukölln.

Das funktioniert: Die Dynamik von Övünç, Pascal, Raha, Kara, Henner und Anja ist sehr gut herausgespielt, subtil werden die einzelnen Charakteristika der Personen eingeführt, die wiederum zu Reibungen mit denen der anderen kommen, jeder bekommt eine kleine Backstory, sehr lebensecht, zur Abrundung der Figuren; der eine ist leicht verrückt und nervig; die andere sehr flirtativ; der eine hatte mal was mit der anderen; und so weiter. So wird die Freundschaft angereichert durch Animositäten, durch Annäherungen, durch Genervtsein, durch Gemeinsamkeit im Wunsch, diesen Abend zu etwas Besonderem zu machen, und durch die Hindernisse, die sich auftun, weil man dem falschen Typen begegnet oder weil irgendwo ein Club zu voll ist oder weil sonst was passiert. Das kann halt auch bedeuten, dass sich schnurstracks noch jemand der Gruppe anschließt, eine geheimnisvolle Frau im Aufzug oder ein Dönerbudenbesitzer, – ja, es kann eben alles passieren.

Auch das Nichts: Weil es eine wirkliche, klassische Handlung nun mal trotz aller darauf hinweisenden Parameter des Films nicht gibt. Kopfüber geht’s in die Nacht, aber ein Ziel gibt es nicht, keine großen Konfliktdramen, die abgearbeitet werden müssen, keine großen Philosophien, die an den Mann gebracht werden müssen. Obwohl – philosophisch ist es schon: Wie soll, wie kann man sein Leben führen? Wie kommt man über die Schwelle des zunehmenden Alters? Was hält einen an den anderen, was macht jemanden zum Freund; was ist die Liebe und welche Formen von ihr gibt es? Zwischendurch gibt es in einem der Clubs eine schöne Szene um die Einsamkeit; zwischendurch gibt es ein Tschechow-Zitat; zwischendurch schimmert etwas durch, was den Hedonismus brüchig erscheinen lässt, was die Oberfläche durchstößt – aber wohin?

Sechs junge Menschen auf einer Reise durch die Nacht, die sie am Ende dahin zurückbringt, wo sie waren – keine mythische Heldenreise, keine neuen Erfahrungen, keine höheren Weisheiten und keine Botschaften für den Zuschauer. Dafür ein Ausschnitt aus dem Leben, inszeniert, aber wahrhaftig, stilisiert, aber nah an den Figuren. Ein Ausschnitt des Lebens beim Weiterschreiten im Leben, von dem sich jeder etwas anderes erhofft: Etwas Neues für sich selbst, etwas anderes als die anderen; aber eigentlich eben sind sie doch in derselben Situation: Suchende, nach Locations für die Feier, nach dem Zusammenhalt in der Freundschaft, nach dem nächsten Schritt am nächsten Tag.

Dreissig (2019)

In ihrem Spielfilm begleitet die Regisseurin Simona Kostova eine Gruppe von sechs Berliner*innen über den Zeitraum von 24 Stunden durch ihr Leben in Berlin-Neukölln.

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Meinungen

Ayfer Atay · 13.12.2018

Es ist ein schöner Film, der hat mich sehr berührt. Ich gratuliere Simona Kostova, und den Darstellern.