Drecksau

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein böser Cop und (k)ein Bandwurm

Ein Buch mit einem unsympathischen Protagonisten und einem sprechenden Bandwurm zu verfilmen, ist kein einfaches Unterfangen. Deshalb sind mehrere Versuche, Drecksau von Irvine Welsh auf die Leinwand zu bringen, auch gescheitert. Dann hat sich Jon S. Baird mit dem Produzenten Ken Marshall (London to Brighton) auf den Weg nach Dublin gemacht und – laut Presseheft – wussten sie nach einer Sauftour mit Irvine Welsh zwar kaum noch, wie sie zum Flieger gekommen sind, aber dass sie die Filmrechte kaufen würden. Das Ergebnis ist ein kurzweiliger Film mit einem großartigen Hauptdarsteller.
Bruce Robertson (James McAvoy) ist ein zynischer, frauenverachtender, versoffener und korrupter Detective Sergeant bei der Polizei in Glasgow, der wenig Interesse daran hat, einen Mordfall zu lösen, sondern vielmehr seine Beförderung vorantreiben will. Zieht er also nicht gerade eine Line Koks oder erpresst Zeugen, intrigiert er gegen seine Kollegen und versucht jeden auszuspielen. Diese Egozentrik und das Spielerische der Hauptfigur inszeniert Jon S. Baird in Anlehnung an Quentin Tarantino und vor allem Guy Ritchie mit rasanten Koks-, Sex- und Wortduell-Einlagen, die ein schnelles Tempo vorlegen. Schon die Einstiegssequenz verdeutlicht den komödienhaften Ton: In einer Besprechung bei der Polizei werden kurz die Figuren, ihre Eigenschaften und ihre Chancen auf eine Beförderung als Wettquote gezeigt – aus der Perspektive Bruce Robertsons, dem uneingeschränkten Protagonisten des Films.

Doch im weiteren Verlauf wird der Ton des Films zunehmend düster. Allmählich schält sich heraus, dass in Bruce Robertson mehr als ein kokainsüchtiger Macho steckt. Sein Versuch, das Leben eines Mannes zu retten, während alle anderen Passanten nur zusehen, lässt seinen guten Kern erkennen. Im weiteren Kontakt mit der Witwe des Mannes (Joanne Froggatt) und ihrem Sohn zeigt sich nicht nur seine Verletzlichkeit, sondern auch, dass er allzu gerne der Held wäre, für den sie ihn hält. Darüber hinaus bekommt er Wahnvorstellungen, die Jon S. Baird zum einen mit Hilfe von Tiermasken darstellt, die Bruce Robertson immer wieder auf den Gesichtern der anderen Menschen sieht, zum anderen imaginiert er seinen Psychiater Dr. Rossi (Jim Broadbent), der seinen Verfolgungswahn und seine Zweifel in vorgestellten absurden Gesprächssituationen weiter befeuert und ihm unschöne Wahrheiten offenbart. Damit übernimmt Dr. Rossi im Film die Funktion, die der Bandwurm im Roman hat – abgesehen von einigen gut platzierten Anspielungen hat Jon S. Baird auf diesen glücklicherweise verzichtet. Auch die Bildgestaltung drückt Robertsons zunehmende Verunsicherung aus: düstere Farben nehmen zu, die Kamera taumelt mit Robertson durch Glasgow und die Reeperbahn.

Durch diese Elemente wird Robertsons zunehmender Wahnsinn auf groteske Weise deutlich, vor allem aber wird dieser Stimmungswechsel getragen von dem großartigen schottischen Schauspieler James McAvoy. Ist ihm in Trance die Balance zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit nicht immer gelungen, füllt er als Bruce Robertson sowohl dessen zerstörerisch-bedrohliche als auch verletzlich-charmante Seite voll aus. Dadurch sieht man ihm gerne zu – und sein Spiel macht glaubwürdig, dass hinter Robertsons Verhalten eine bipolare Störung steckt, deren Ausmaße erst allmählich zu erkennen sind.

Es ist nicht alles gelungen in Drecksau. Mitunter übertreibt Jon S. Baird sogar seine bewusst überzeichneten Bilder, auch wird die Musik zu dominant eingesetzt, und Nebendarstellern wie Imogen Poots und Eddie Marsan bleibt zu wenig Raum. Doch insgesamt hat er Irvine Welshs Roman sehr gut komprimiert, indem er die Eskapaden Robertsons zusammenfasst, mehrere Nebenfiguren des Romans in dem Charakter Dougie Gillman vereint, den Schwerpunkt auf Robertsons Kampf um die Beförderung verlagert – und vor allem den schwarzen, galligen Humor in den Film transponiert hat, ohne dass er allzu düster wird. Darüber hinaus werden Nicht-Leser des Romans von dem gut vorbereiteten Clou des Films überrascht werden – und alle anderen werden gut unterhalten.

Drecksau

Ein Buch mit einem unsympathischen Protagonisten und einem sprechenden Bandwurm zu verfilmen, ist kein einfaches Unterfangen. Deshalb sind mehrere Versuche, „Drecksau“ von Irvine Welsh auf die Leinwand zu bringen, auch gescheitert. Dann hat sich Jon S. Baird mit dem Produzenten Ken Marshall („London to Brighton“) auf den Weg nach Dublin gemacht und – laut Presseheft – wussten sie nach einer Sauftour mit Irvine Welsh zwar kaum noch, wie sie zum Flieger gekommen sind, aber dass sie die Filmrechte kaufen würden.
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Meinungen

Filmfan · 22.10.2013

Ich habe mir den Film gestern angesehen. Wirklich krass. Hammer hart. Der Film hat eine verstörende Wirkung. Ich ging aus dem Kinosaal und dachte erstmal; "Was bitte war das denn gerade?" Die Romanvorlage kenne ich nicht und kann daher nichts dazu sagen, ob bzw. wie gut diese im Film umgesetzt wurde. Potientielle Zuschauer müssen sich auf allerlei Kraft-/Fäkalausdrücke, Schweinkram, explizite Darstellung von Drogenmissbrauch, inklusive daraus resultierender Folgen, etc., sowie eine gute Portion schwarzen Humor gefasst machen. Um mich herum saßen Zuschauer, die ungelogen die erste Stunde ständig in schallendes Gelächter ausgebrochen sind. Klare Empfehlung an alle, die eine kurzweilige, mit perversen Zügen versehenene, rabenschwarze Komödie sehen möchten. Tolle Unterhaltung. Nur das Ende, die letzten 10-15min. haben mir nicht ganz so gut gefallen, da mal wieder unbedingt die Moralkeule geschwungen werden musste. Das Ende war dann aber letztlich doch überraschend und beendigt wiederum dieses Moralgefasel.