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Luc Besson erzählt in “Dogman” einen hemmungslos überzeichneten, augenzwinkernden Leidens-Trip. Trash mit Ansage.

DogMan (2023)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Die Güte der Vierbeiner

Luc Besson („Léon — Der Profi“) kehrt zurück, um sein Publikum zum Weinen und Klagen zu bringen. Douglas, der Protagonist seines Films, wird zu Beginn in Perücke, rosa Kleid und Make-up von der Polizei aufgegabelt und in eine Zelle gesperrt. Ein Rudel Hunde versteckt sich im Laderaum seines Wagens, eine schreckliche Geschichte hinter seinem traurig gläsernen Blick. „Dogman“ entwirft ein Porträt verheerender familiärer Gewalt, welche im Dialog mit einer Psychiaterin nach und nach ans Tageslicht befördert wird. Besson zeigt Douglas’ Kindheit als Albtraum, der entfernt an die Brutalität von Lucky McKees Romanverfilmung „The Woman“ erinnert. Fanatismus und Missbrauch bestimmen den Alltag. Douglas kassiert Schläge von seinem Vater. Als er bei der gemeinsamen Mahlzeit dann zugibt, die eingesperrten Hunde im Garten mehr zu mögen als seine eigene Familie, landet er selbst draußen im Zwinger. Im Schatten der amerikanischen Flagge, die vor der Haustür weht, tut man dem Jungen Abscheuliches an. Sein Bruder will ihm den Teufel austreiben und ihn zu Gott bekehren. Doch das Wort “God” auf dem Transparent, das man an Douglas’ Zwinger hängt, kann der Eingesperrte nur rückwärts lesen: Dog. Hund. 

Luc Besson hat mit Dogman seinen eigenen Joker inszeniert. Er lotet aus, wie viel Demütigung jemand ertragen kann, bis er explodiert. Verschiedene Aufs und Abs müssen dafür gezeigt werden: der Ausbruch aus der Familie, eine gescheiterte Liebe, die Suche nach Job und Zugehörigkeit in einer Gesellschaft, die für Marginalisierte wie Douglas keinen Platz zu haben scheint. Seit den Misshandlungen seiner Kindheit ist er an den Rollstuhl gefesselt. Aufstehen kann er nur mit großer Anstrengung und dank der Metallstützen an seinen Beinen. Würde er laufen, dann in seinen Tod, ist sich Douglas gewiss.

Mit Caleb Landry Jones (Nitram) hat Luc Besson einen herausragenden Hauptdarsteller gefunden, um all diese Qualen zu verkörpern. Er schultert den Film mit inbrünstigem Method Acting und verhilft ihm zu echten Höhepunkten. Irgendwann heuert Douglas bei einer Drag-Show an, nachdem ihn eine junge Darstellerin in die Kunst des Spielens, Verkleidens und Schminkens einführt. Douglas sucht Zuflucht bei Shakespeare und im Rollenspiel, im Schaffen einer Fassade, um das eigene Leid zu übertünchen. Doch das ist ein altbackenes, fragwürdiges Narrativ, das Luc Besson hier bedient: Crossdressing, Drag, das Überschreiten von geschlechtlichen Rollenbildern geht in seinem Film zuvorderst mit traumatischen Erfahrungen, Missbrauch, Zerstörung einher. Es bedient das Vorurteil eines schlichten Kompensierens seelischer Wunden mithilfe der Verkleidung und Transgression von Normen und Konventionen. 

Dass Dogman daran nicht zerbricht, liegt daran, dass sowohl die Regiearbeit von Besson als auch das Spiel von Jones dieser Figur die größtmögliche Würde verleihen, die das Drehbuch mit all seinen prügelnden Schicksalsschlägen noch zulässt. Wenn Douglas zum ersten Mal als Drag-Künstler auf der Bühne performt, ist das ein unvergesslicher Moment. Er tritt als Édith Piaf auf, singt La Foule im Playback. Eine schwarz-weiß schimmernde Gestalt im Rampenlicht, nur der Mund sticht rötlich hervor. Tränen in den Augen, die Beine zittern vor Schmerz. Später wird sich Douglas unter anderem in Marilyn Monroe verwandeln und sich einen Shootout mit einem Gangster-Kartell liefern.

Luc Besson treibt sein wenig kluges, aber mitreißendes Genrekino bis zum Exzess. In bunten Lichtstimmungen wird gefühlt, was sich nur fühlen lässt. Drastische Gewalt, psychische Krisen, Blut und Tränen wollen heftige Affekte provozieren. Allein die Überzeichnung zum Trash verleiht seiner gefühligen Überwältigungsstrategie ein selbstbewusstes Augenzwinkern. An dieser Stelle kommen die Hunde ins Spiel, die Douglas seit seiner Kindheit begleiten und zu seinen einzigen Freunden werden. Hunde sind eben doch die besseren, gerechteren Wesen, soll man hier nochmal erleben. Der Hundeflüsterer hat ihnen Erstaunliches beigebracht, und so können die süß in die Kamera blickenden, trainierten Vierbeiner alle Arbeit für ihr Herrchen übernehmen, die diesem körperlich verwehrt wurde.

Dogman scheut nicht einmal die Absurdität, Hunde einen Einbruch in ein nobles Anwesen verüben zu lassen. Pulp mit Ansage! Ein formelhaftes, vorhersehbares Werk. Aber es lässt auch ein geschärftes Auge für das Tragikomische und Wesentliche erkennen, wenngleich seine Gesellschaftskritik auf schlichtem Niveau und mit dem Megafon in die Welt geschrien wird.

Zwar gibt Besson vor, eine Figur mit Grautönen vorzustellen, die nach einer Diskussion verlangt, im Grunde ist die Moral von Dogman aber ganz simpel und eindeutig gestrickt, seine Pointe schnell durchschaut. Alles dreht sich nur ums Geld, stellt dieser Film wütend fest. Also haben die Mittellosen schlechte Karten. Als man seinem Hundeheim die finanzielle Hilfe streicht, droht Douglas auch noch der Verlust seines letzten Lebenssinns. Der Gegenschlag folgt. So sehr Luc Besson dabei freidrehen mag: Im Inneren von Dogman pocht ein immerhin sympathisches Herz für Außenseiter. Man mag ihm als Unterhaltungskino deshalb trotz all der manipulativen Tricks und emotionalen Erpressung kaum böse sein. Die Seligsprechung seines Protagonisten schafft ihre ganz eigene närrische Utopie.

DogMan (2023)

Bei einer Verkehrskontrolle wird Doug (Caleb Landry Jones) blutverschmiert und im Abendkleid am Steuer eines Lastwagens voller Hunde aufgegriffen und festgenommen. Beim Verhör auf der Polizeiwache berichtet er über Ereignisse, die so schockierend sind, dass sie jegliche Vorstellungskraft sprengen …

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