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In seiner neuen Arbeit „Digital Life“ gibt Malte Wirtz Einblick in die Video-Gespräche einer chaotischen Clique in Berlin.

Digital Life (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Zoom-WG

Seit seinem Leinwanddebüt „Voll Paula!“ im Jahre 2015 hat der 1979 in Marburg geborene Filmemacher Malte Wirtz eine ganze Reihe von Low-Budget-Werken im Eigenverleih herausgebracht. Diese lassen stets eine große Lust am Experimentieren erkennen. In „Geschlechterkrise“ (2021) nahm sich Wirtz beispielsweise die biblische Erzählung von Simson und Delila vor – und setzte sie als modernen Stummfilm in Szene. In „Das Böse im Wald“ (2022) legte er wiederum (nach eigener Aussage aus einem spontanen Impuls heraus) einen Found-Footage-Horrorfilm vor.

Für Digital Life hat Wirtz nun ein sogenanntes Zogma Manifesto entworfen – in Anlehnung an das von den dänischen Regisseuren Lars von Trier und Thomas Vinterberg im Jahre 1995 unterzeichnete Manifest Dogma 95, auf dessen Basis Werke wie Idioten (1998) und Das Fest (1998) entstanden sind. Ebenso wie jenes „Keuschheitsgelübde“ besteht auch Wirtz’ Manifest aus zehn Regeln. Die erste davon lautet, der Film müsse exklusiv auf einer digitalen Plattform gedreht werden. In einer weiteren heißt es, die Schauspieler:innen seien zugleich als Kameraleute aktiv. Und so erzählt Wirtz hier von einer Gruppe junger Menschen, die über Videocalls miteinander kommunizieren – auch wenn sie sich teilweise in derselben Wohnung, jeweils im Zimmer nebenan befinden.

Zu Beginn sehen wir, wie Gerrit (Gerrit Neuhaus) und Julia (Julia Keller), die seit drei Jahren zusammen sind, via Zoom eine Beziehungskrise durchleben und schließlich miteinander Schluss machen. Die beiden gründen jedoch eine freundschaftliche Wohngemeinschaft und casten hierfür Alec (Alec Rosenthal) als zusätzlichen Mitbewohner. Der selbsternannte Dichter aus New York City, der gerne mal um drei Uhr nachts seine neuesten Schöpfungen rezitiert, macht Julia alsbald heftige Avancen. Noch komplizierter wird die Situation durch Julias Freundin Judith (Judith Shoemaker), die sowohl mit Alec als auch mit Gerrit flirtet. Und dann ist da noch der Nachbar und Vermieter Mark (Holger Bülow), der sich über den Lärm in der WG zu beschweren scheint.

Auf visueller Ebene besteht Digital Life entweder aus einem großen Videofenster, das eine einzelne Person zeigt, oder aus mehreren Videofenstern in Split-Screen-Technik. Die Figuren sitzen größtenteils in ihren eigenen Zimmern, in der Küche oder im Bad; gelegentlich sind sie unterwegs – etwa zum Supermarkt, um Alkoholnachschub zu besorgen. Reizvoll wird der Film vor allem durch die emotionalen Irrungen und Wirrungen zwischen allen Beteiligten. Die Regieanweisungen hat Wirtz angeblich per Textnachricht an die einzelnen Schauspieler:innen geschickt; die anderen sollen jeweils nicht gewusst haben, welche Instruktionen der Rest gerade erhalten habe. Dies erklärt die improvisierte Anmutung der Dialoge, aus der sich im Laufe des Plots ein recht hoher Unterhaltungsfaktor ergibt.

Die zahlreichen Höhen und Tiefen in dieser Berliner Clique, in der alle mehr oder weniger im kreativen Bereich tätig sind (oder es zumindest sein wollen), sind natürlich voller Hipster- und Millennial-Klischees, werden durch ihre zunehmende Absurdität aber immer mit der nötigen (Selbst-)Ironie präsentiert und finden ein überraschend gefühlvolles Ende. „The rules of the digital space are different from those in a physical space“, steht in Wirtz’ Manifest. Dass nachvollziehbare und glaubhafte Gefühle die stärkste Wirkung haben, bestätigt sich indes auch in Digital Life, wenn die Figuren schlussendlich versuchen, ehrlich zu sich selbst und zueinander zu sein.

Digital Life (2022)

Das Leben im überteuerten Berlin ist die Hölle, schlimmer ist es nur noch in dieser digitalen WG. (Quelle: Verleih)

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