Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Was ist die Zeit?

Wie soll man die Zeit filmisch fassen, wenn man sie selbst im Leben niemals richtig begreifen, einordnen oder gar sinnvoll und ausgewogen verwenden kann? An Fragestellungen wie diesen haben sich schon Generationen von Filmemachern die Zähne ausgebissen. Gerade in letzter Zeit kann man durchaus ein wachsendes Interesse von dokumentarisch arbeitenden Filmemachern an Phänomenen der Zeit feststellen – was wiederum viel über unsere Zeit(en) aussagt, in denen Zeit zu einer Mangelware und damit zu einem Konsumgut geworden ist.

Florian Opitz Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist hierbei einer jener Titel, die zeigten, dass dieses unfassbare Phänomen offensichtlich viele Menschen beschäftigt. Philipp Hartmanns Annäherung an die überaus komplexe Thematik mit dem Titel Die Zeit ist ein brüllender Löwe verfolgt weniger eine konkrete Stoßrichtung, sondern ist vielmehr der Versuch, sich der Zeit spielerisch und assoziativ anzunähern. Ein Essayfilm, der gleichermaßen fasziniert wie Fragen offen lässt, zu deren Beantwortung er den Zuschauer förmlich einlädt. Vielleicht nicht die schlechteste Methode der Bearbeitung einer solch verzwickten Materie.

Genau 76,5 Minuten lang ist der Film geworden – und das ist beileibe keine willkürliche Lauflänge, sondern entspricht (in Jahren statt in Minuten, klar) der durchschnittlichen Lebensdauer eines Mannes, der wie der Regisseur Philipp Hartmann im Jahre 1972 geboren wurde. Und noch eine Statistik: Laut diesen empirischen Erhebungen befindet sich Hartmann in der Mitte seines Lebens. Von nun an wird das Ticken der Uhr lauter, die Sekunden, Minuten, Stunden, Wochen und Jahre verrinnen schneller. Langsam, aber unaufhaltbar neigt es sich dem Ende zu.

Kein Wunder also, dass der Filmemacher sich quasi als Grundprämisse und Ausgangspunkt seiner filmischen Untersuchung dazu bekennt, an Chronophobie, der Angst vor dem Verrinnen der Zeit zu leiden. Und ganz unmittelbar fragt man sich als Zuschauer (wie übrigens sehr häufig in diesem Film), ob es einem nicht genauso ergeht. Weil dieses Gefühl, das Hartmann beschreibt, ein universelles ist, dem wir gerne mal die Diagnosen Midlife-Crisis oder Burn-out-Syndrom geben, um zu pathologisieren, was vielleicht schlichtweg normal ist – ein Hinterfragen der Strukturen, denen man sich unterwirft. Und manchmal auch ein Aufbegehren.

Das Spannende an Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe ist seine offene und assoziative Form, die Verknüpfung von subjektiven und biographischen Ankerpunkten, von denen aus Philipp Hartmann universelle Fragen nach der Zeit stellt. Das Nebeneinander verschiedenster Konzeptionen und Perspektiven, das sich auch in der Materialität des Films selbst widerspiegelt: Digitale und analoge Aufnahmeformate wechseln hier einander ab, Fotos verlangsamen den sich ständig verändernden Fluss der Bilder, farbige Sequenzen und Szenen in schwarzweiß gehen mühelos ineinander über und formen eine vielschichtige Collage, die allein von der Erzählstimme Hartmanns und der inneren Logik des freien Spiels der Gedanken zusammengehalten wird.

Ein überaus anregendes und stellenweise bei allem Ernst auch humoriges Werk, das aber einiges an Bereitschaft erfordert, sich am Ende der (Film)Zeit nicht mit Antworten aus dem Kino zu begeben, sondern mit Fragen, die nun noch ein wenig dringlicher und bohrender geworden sind.
 

Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe (2013)

Wie soll man die Zeit filmisch fassen, wenn man sie selbst im Leben niemals richtig begreifen, einordnen oder gar sinnvoll und ausgewogen verwenden kann? An Fragestellungen wie diesen haben sich schon Generationen von Filmemachern die Zähne ausgebissen. Gerade in letzter Zeit kann man durchaus ein wachsendes Interesse von dokumentarisch arbeitenden Filmemachern an Phänomenen der Zeit feststellen – was wiederum viel über unsere Zeit(en) aussagt, in denen Zeit zu einer Mangelware und damit zu einem Konsumgut geworden ist.

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