Die wundersame Welt der Waschkraft

Eine Filmkritik von Peter Gutting

So läuft es in der globalisierten Wirtschaft: Nordseekrabben werden in Marokko gepult, Schweine aus Holland zum Schlachten nach Italien gekarrt. Und die schmutzige Wäsche aus Berliner Nobel-Hotels waschen schlecht bezahlte Arbeiterinnen 130 Kilometer weiter in Polen. Das letzte Beispiel ist wohl das am wenigsten bekannte. Welche Schicksale sich dahinter verbergen, deckt Hans-Christian Schmid (Requiem, Sturm) in einer Dokumentation auf, die dieses Jahr im Forum der Berlinale gezeigt wurde.
211 Euro zahlt man für ein vergleichsweise einfaches Einzelzimmer in der Nobelherberge Adlon. Für eine Luxus-Suite können auch mal 6.000 Euro fällig werden – pro Nacht, versteht sich. Dass bei solchen Preisen an der Wäsche gespart werden muss, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Womöglich ist es den Fünf-Sterne-Häusern in der Hauptstadt auch etwas peinlich, dass sich ihre Gäste auf Niedriglöhnen ausruhen. Und manch ein Besucher würde vielleicht ein oder zwei Euro mehr berappen, könnte er im Gedanken an fair gewaschene Laken besser einschlummern.

Hätte, würde, könnte. Fakt ist, dass sich der Geschäftsführer der Firma Fliegel im Film damit brüstet, Marktführer bei den Fünf- und Vier-Sterne-Hotels in Berlin zu sein. Das heißt: Die Wäsche wird dort gesammelt und mit einem Dutzend Fliegel-Lkws in die polnische Kleinstadt Gryfino gekarrt. Schon 24 Stunden später müssen die Hand-, Betttücher und Bademäntel zurück sein. Pünktlichkeit ist eine der wichtigsten Dienstleistungen des Unternehmens mit Sitz in Deutschland.

Hans-Christian Schmid interessiert sich allerdings nicht in erster Linie für wirtschaftliche Verflechtungen. Bilanzen, Gewinne, Zahlen – das meiste davon bleibt außen vor. Schmid interessiert sich für die Wäscherinnen und ihre Familien. Zwei davon lernen wir in diesem Film näher kennen. Wir erfahren, wie sehr sie die Arbeit schlaucht, wie bescheiden sie leben müssen, und wie sie trotzdem dafür kämpfen, es einmal besser zu haben. Vor allem aber erfahren wir, wie selbstverständlich es inzwischen geworden ist, dass zuerst das Kapital kommt und dann lange nichts. Familiäre Bande, Heimat, Kultur – das alles zerbröselt unter dem Druck des Geldes, aber auch dem Wunsch danach.

Da geht die Oma allein für sechs Monate nach London, um da Blumen einzutopfen und mit dem Geld den Sohn zu unterstützen. Da überlegt die jobsuchende Tochter kurz, ob sie nicht vielleicht mit ihrem Freund nach Irland auswandern sollte, um dort in einer Gärtnerei zu arbeiten statt in der Heimat einen Kosmetiksalon aufzumachen. Alles erscheint beliebig, alles austauschbar. Hauptsache, es gibt irgendwo auf der Welt einen, der zahlt.

Hans-Christian Schmid und sein Kameramann Bogumił Godfrejów registrieren diese Entwicklung, ohne sie zu kommentieren. Sie bringen die Menschen zum Sprechen und überlassen es dem Zuschauer, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist gut so. Weniger gut ist, dass sich Die wundersame Welt der Waschkraft mit zunehmender Dauer in Alltäglichkeiten verliert, in Details, die nur dem zufälligen Schicksal dieser beiden Familien geschuldet sind und den größeren Zusammenhang aus dem Blick geraten lassen.

400 Euro im Monat verdienen die polnischen Arbeiterinnen für einen Fulltime-Schicht-Betrieb. Aber diese Zahl erfährt man leider nicht aus dem Film. Man liest sie, wenn man im Internet nach dem gleichnamigen Artikel von Renate Meinhof sucht, der Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, die dafür den deutsch-polnischen Journalistenpreis bekam und deren Text Schmid zu seinem Film inspirierte. Vielleicht wollte der gelernte Dokumentarfilmer, der seit 1992 nur Spielfilme gemacht hat, ganz bewusst die Faktenhuberei vermeiden. Vielleicht wollte er ganz bewusst auf Stimmungen setzen. Aber das ist ihm in seinem dokumentarisch angehauchten Spielfilm Lichter, der ebenfalls von den Menschen an der deutsch-polnischen Grenze erzählt, viel besser gelungen.

Die wundersame Welt der Waschkraft

So läuft es in der globalisierten Wirtschaft: Nordseekrabben werden in Marokko gepult, Schweine aus Holland zum Schlachten nach Italien gekarrt. Und die schmutzige Wäsche aus Berliner Nobel-Hotels waschen schlecht bezahlte Arbeiterinnen 130 Kilometer weiter in Polen.
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