Die Welt ist groß und Rettung lauert überall

Eine Filmkritik von Michael Spiegel / Joachim Kurz

Der Weg ist das Ziel

Normalerweise denkt man bei Road Movies an automobile Fortbewegungsmittel, mit denen sich tatsächliche oder vermeintliche Helden auf eine Reise machen. Doch manchmal kommt es anders, führen Beharrlichkeit und Langsamkeit zum Ziel. Das hat besonders David Lynch in seinem wunderbar verzögerten Road Movie Straight Story vorgeführt. Und ebenso sei hier schon mal vorab an den wunderbar merkwürdigen Nord verwiesen — Entschleunigung pur in der verschneiten Einöde Norwegens — der im Januar 2010 in die deutschen Kinos kommen soll. Um eine Reise der ebenfalls langsamen Art geht es auch in Stephan Komandarevs Film Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, der auf einer Romanvorlage von Ilija Trojanow basiert. Dabei kommt neben dem Fahrrad (Tandem) dem Backgammon Spiel eine ganz besondere Bedeutung zu.
Am Ausgangspunkt dieser Geschichte steht eine Reise, die zunächst vom Osten in den Westen und viele Jahre später wieder zurückführt. Zunächst floh die Familie von Alex (Blagovest Mutafchiev) in den 1980ern von Bulgarien in den Westen, weil dessen Vater aufgrund von missliebigen Äußerungen des Großvaters gegen den Kommunismus zum Verrat gezwungen werden soll. Aus dem Jungen aus Bulgarien wird in Deutschland ein eher unauffälliger junger Mann (verkörpert von Carlo Ljubek), bis das Schicksal unbarmherzig zuschlägt: Bei einem Autounfall verliert Alex nicht nur beide Eltern, sondern auch jegliche Erinnerung an sein bisheriges Leben. Von heute auf morgen ist er zu einem Mann ohne Identität geworden, der sich augrund einer retrograden Amnesie nicht einmal mehr an seinen eigenen Namen erinnern kann. Geschweige denn, was hinter dem Autounfall und Tod seiner Eltern stecken könnte.

Als Bai Dan (Miki Manojlovic), sein Großvater in Bulgarien, der einst Auslöser für die Flucht gen Westen war, von dem Unglück seines Enkels erfährt, eilt er sofort nach Deutschland, um sich um Alex zu kümmern und ihm dabei zu helfen, sein Erinnerungsvermögen wieder zu finden. Neben vielfältigen Einzelversuchen dazu am Krankenbett besorgt Bai ein Tandem, mit dem sich schließlich beide auf eine lange und abenteuerliche Reise nach Bulgarien machen. Station für Station komme die beiden der alten Heimat näher, überqueren die Alpen, besuchen das Flüchtlingsheim in Italien, in dem Alex’ Familie nach der Flucht vorerst untergebracht war, bis sie am Endpunkt einer Reise voller Wiedererinnerungen und Neuentdeckungen angelangt sind. Und auch die Liebe wird den Weg von Alex streifen …

West und Ost, warme Farbtöne der Erinnerung an die Kindheit und die Tristesse Deutschlands; dazwischen eine Reise, die die beiden Ländern sowie die Vergangenheit und die Gegenwart miteinander verbindet – dies sind die wesentlichen Elemente, die Stephan Komandarev in seinem Film sorgsam einsetzt und die einen das ein oder andere Mal an Cinema Paradiso von Giuseppe Tornatore denken lassen.

Zwar erahnt man frühzeitig, wie die Reise insgesamt verlaufen könnte, auch Konflikte und Anekdoten auf dem Weg sind insgesamt kaum überraschend — dennoch lassen besonders die Liebe zum Detail und zum Backgammon-Spiel, das sich wie ein Leitmotiv durch diesen Film zieht, diesen Film unbedingt gelingen. Auch weil Stephan Komandarev seine Geschichte in solch stimmige wie stimmungsvolle Bilder packt, weil beide Hauptfiguren gut miteinander harmonieren und das Ganze mit exzellenter, meist melancholischer Balkan-Musik unterlegt ist, ist Die Welt ist groß und Rettung lauert überall ein Film, der zugleich unterhält und nachdenklich macht. Wie gesagt: Der Weg ist das Ziel …

Die Welt ist groß und Rettung lauert überall

Normalerweise denkt man bei Road Movies an automobile Fortbewegungsmittel, mit denen sich tatsächliche oder vermeintliche Helden auf eine Reise machen. Doch manchmal kommt es anders, führen Beharrlichkeit und Langsamkeit zum Ziel. Das hat besonders David Lynch in seinem wunderbar verzögerten Road Movie „Straight Story“ vorgeführt.
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