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Das Biopic über den Schweizer Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten Bruno Manser wartet mit eindrucksvollen Bildern auf — erliegt jedoch teilweise dem Mythos seines Helden.

Die Stimme des Regenwaldes (2019)

Eine Filmkritik von Paul Katzenberger

Ein Leben für die Anderen

So viel Abenteuertum gibt es selten: In den 1980er Jahren reist der Schweizer Staatsbürger Bruno Manser zu einem der letzten Urwald-Nomadenvölker in Malaysia, um mit einem indigenen Stamm jenseits jeglicher Zivilisation zu leben. Das gelingt ihm nach einer tollkühnen Reise einige Jahre lang, doch dann wird er in einen politischen Kampf mit der Moderne hineingezogen, der ihn schließlich das Leben kostet. Regisseur Niklaus Hilber erzählt Mansers Leben und Kampf nun in Die Stimme des Regenwaldes mit eindrucksvollen Bildern, aber er erliegt dabei doch etwas zu stark der mythischen Figur seines Helden.

Die Lebensgeschichte des Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten Bruno Manser (1954 – 2000) bietet viel wirklich sehr viel aufregenden Stoff für ein Biopic. Das hat der Schweizer Regisseur Niklaus Hilber sich nun zunutze gemacht und bringt Mansers filmische Biografie nach ebenfalls aufregenden Dreharbeiten unter dem Titel Die Stimme des Regenwaldes in die Kinos.

Manser ist eine faszinierende Figur, die zum Mythos wurde, und Hilbers Filmbiografie macht deutlich, warum das so ist, indem sie die entscheidenden 16 Jahre aus seinem Leben nachzeichnet: 1984 reist der damals 29-jährige Manser (Sven Schelker) ganz allein in den Dschungel von Sarawak, dem malaysischen Teil auf der Insel Borneo. In einem der ältesten Regenwälder der Welt ist er auf der Suche nach einem der letzten Urwald-Nomadenvölker der Erde, den Penan. Das Vorhaben des jungen Mannes aus Basel: Von der modernen Zivilisation entfremdet strebt er nach einem Leben ganz in der Natur ohne Geld und Besitz am Ursprung des Menschseins. 

Die Suche nach den Penan ist entbehrungsreich, was Manser im Film allerdings nicht davon abhält, selbst in der bedrohlichen Wildnis zivilisatorische Friedfertigkeit hochzuhalten: Als in einem seiner Nachtlager unter freiem Himmel das Gekläffe von Raubtieren an sein Ohr dringt, spielt er mit einer Flöte dagegen an und er bleibt tatsächlich unversehrt. Und schließlich gelingt es ihm sogar, einen Penan-Stamm aufzuspüren, dessen Vertrauen er gewinnen kann. Häuptling Along Sega (Nick Kelesau) nimmt ihn wie einen Sohn auf und bringt ihm alles bei, was er für ein Leben im Dschungel braucht. Drei Jahre später ist Manser völlig in den Stamm integriert. Wie seine Stammesgenossen nur mit einem Lendenschurz bekleidet, steht er kniehoch im Wasser, um mit einem Speer Fische aufzuspießen oder beteiligt sich an Treibjagden, um Wildschweine zu erlegen. Doch dann machen er und sein Stamm die erschütternde Entdeckung, dass Holzfäller ein riesiges Waldgebiet gerodet haben, in dem die Penan eigentlich jagen wollten. 

Der Grund dahinter: Mit dem Export von Tropenholz in den Westen will Malaysia Einnahmen generieren, um seine Wirtschaft zu entwickeln – ein Vorhaben, das für die Penan das Ende ihrer Lebensweise bedeuten würde. Plötzlich steht Manser vor dem Dilemma, dass er als moderner Mensch der Einzige ist, der den Penan überhaupt helfen kann, ihre Existenz und Lebensweise als Nomaden zu retten. Er überzeugt Sega und seine Stammesbrüder, für ihr Land zu kämpfen. Gemeinsam mit anderen Sippen beginnen sie, Holzfällerstraßen zu blockieren. Auf diese Weise gelingt es ihnen, einen Großteil der malaysischen Holzindustrie stillzulegen – doch das ist nur ein Etappensieg. Als Kuala Lumpur ein Kopfgeld auf Manser aussetzt und die Straßenblockaden der Penan mit Gewalt durchbricht, erkennt er, dass er den Penan jetzt nur noch helfen kann, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt und den Kampf auf internationales Parkett trägt. Das tut Manser mit Mitstreitern dann schließlich auch zwischen den Jahren 1990 und 2000. Er gründet den „Bruno Manser Fonds“ in Basel und versucht, mit einer Protestaktion beim G7-Gipfel in München 1992 und anderen Vorstößen einen europaweiten Importstopp für Tropenhölzer zu erwirken. Es gelingt ihm sogar, den UN-Generalsekretär höchstpersönlich für sein Anliegen zu gewinnen. Doch letztendlich sind auch diese Anstrengungen von ständigen Rückschlägen begleitet, und am Ende hat Manser praktisch nichts erreicht. Als er im Jahr 2000 trotz eines Einreiseverbots und des nach wie vor auf ihn ausgesetzten Kopfgeldes zu den Penan nach Sarawak zurückkehrt, verliert sich seine Spur im Dschungel. 2005 wird er endgültig für verschollen erklärt.

Diese wahre und tragische Heldengeschichte erzählt Die Stimme des Regenwaldes in eindrucksvollen Bildern, die an Drehorten in der Schweiz, Budapest, New York und im Dschungel von Borneo entstanden sind. Um Filme, die im tropischen Urwald gedreht wurden, wie etwa Werner Herzogs Fitzcarraldo oder Francis Ford Coppolas Apocalypse Now ranken sich viele abenteuerliche Geschichten und auch bei Die Stimme des Regenwaldes war das Filmteam Mückenstichen, Blutegeln und extremer Feuchtigkeit ausgesetzt, wie Regisseur Hilber berichtet. Nach jedem Regensturz seien die Autos im Schlamm versunken oder nicht mehr den Berg hochgekommen: „Deswegen sind die Statisten immer erst gegen Mittag am Set eingetroffen. So waren wir nach kurzer Zeit schon gewaltig im Rückstand.“

Weil Hilber die Penan ihre Geschichte selber erzählen lassen wollte, war es ihm wichtig, mit echten Angehörigen des Stammes zu drehen, was dem Film besonders im untertitelten Originalton eine besondere Qualität gibt. Denn, wenn der Zuschauer diesen Waldnomaden zuhört, wie sie in ihrer Sprache, die außer ihnen auf der Welt niemand spricht, miteinander kommunizieren, kommt er ihnen in ihrer Natürlichkeit und Ehrlichkeit erstaunlich nahe.

In Zeiten des Klimawandels ist Mansers Geschichte 20 Jahre nach seinem Verschwinden sogar noch relevanter als zu seinen Lebzeiten: Die zunehmende Globalisierung und der steigende Bedarf an natürlichen Rohstoffen machen den Schutz des Regenwaldes und seiner indigenen Bevölkerung zu einem noch dringlicheren Thema.

Es hätte Die Stimme des Regenwaldes allerdings gutgetan, wenn diese Relevanz durch einen etwas vielschichtigeren Hauptprotagonisten abgebildet worden wäre. Ob Mutter Teresa oder Friedrich Barbarossa, jede mythische Figur hat als Mensch auch ihre Schattenseiten, die Hilbers Manser als nahezu gottgleiche Gestalt im Film fast komplett abgehen. Wie weit war sein durchaus berechtigter Kampf um die Sache auch von ungesunder Profilierungssucht begleitet? Hat er sich selbst im Kampf um die Rettung einer Gemeinschaft, zu der er zu gehören glaubte, verloren? Das sind Fragen, die der Film zu der historischen Figur Bruno Manser zwar durchaus aufwirft, aber nicht beantwortet. Die Stimme des Regenwaldes ist allein optisch ein sehenswerter Film (mit der wunderbaren Kamera von Matthias Reisser), dem jedoch die Komplexität fehlt, die ihn wirklich einzigartig gemacht hätte.

Die Stimme des Regenwaldes (2019)

Die wahre Geschichte von Bruno Manser.1984: Auf der Suche nach einer Erfahrung jenseits der Oberflächlichkeit der modernen Zivilisation reist Bruno Manser in den Dschungel von Borneo und findet sie beim nomadischen Stamm der Penan. Die Begegnung verändert sein Leben für immer. Als die Penan von massiver Abholzung bedroht werden, nimmt Manser den Kampf gegen die Waldzerstörung mit einem Mut und einem Willen auf, die ihn zu einem der berühmtesten und glaubwürdigsten Umweltschützer seiner Zeit machen.

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Meinungen

Simone Sommerhalder · 10.01.2022

Mich ärgert die obige Filmkritik. Die Frage aufzuwerfen, ob Manser nun tatsächlich ein vollkommen edler Mensch war ohne jeglichen Fehl und Tadel, ist doch vollkommen unnötig. Relevant ist vielmehr, dass im Film die rasante Vernichtung des Regenwaldes dokumentiert und Folgen derart unnachhaltigen Raubbaus aufgezeigt werden.
Ohnehin bin ich überzeugt davon, dass hinter Mansers Engagement keine Profilierungssucht steht. Für Menschen, die den Wald und die Natur aus tiefstem Herzen lieben und verehren ist es nämlich äusserst schmerzhaft, bei solchem Raubbau und naturzerstörendem Frevel überhaupt hin zu schauen. Mich, als ebensolche Person kostet es allein schon enorm Überwindung, derlei grausame Bilder davon in einem Film anzusehen, aber das ganze Drama persönlich vor Ort mitzuerleben, das könnte ich definitiv nicht ertragen. Umweltaktivisten, die bei sowas sogar noch die Kraft aufbringen, um dagegen den Kampf aufzunehmen - Hut ab, aber absolut! - sicherlich wäre es nämlich leichter für sie, sich einfach nur zu betrinken, statt weiterhin sich dem frustrierenden, elenden Kampf gegen Goliath zu widmen und auszusetzen.

Bernadette Ridard · 23.10.2020

Leider war die Musik extrem kitschig, streckenweise unerträglich und trug zu nichts bei. Mehr Stille hätte dem Film gut getan. Im Dschungel hört man Naturgeräusche, also die Musik der Natur und das allein reicht.