Log Line

Von der Geflüchteten zur Olympia-Teilnehmerin — das ist die unglaubliche, aber wahre Geschichte der Syrerin Yusra Mardini, die inzwischen in Deutschland lebt. Regisseurin Sally El Hosainis hat die abenteuerliche Reise Yusras und ihrer älteren Schwester verfilmt.

Die Schwimmerinnen (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Kopf über Wasser

Sally El Hosainis neuer Film handelt von einer Geschichte, die zu schön ist, um wahr zu sein. Und doch ist sie tatsächlich passiert. Es ist die Geschichte einer beschwerlichen Flucht und eines entbehrungsreichen Neuanfangs, an deren Ende ein märchenhafter Erfolg steht. Die walisisch-ägyptische Regisseurin und Drehbuchautorin erzählt das mit langem Atem, humanistischem Blick und in Bildern, die so schön sind, dass sie angesichts der hässlichen Fratze des Krieges mitunter unangebracht erscheinen.

Schon der Auftakt ist eine Provokation. Nach einem kurzen Vorspiel, das uns während einer Geburtstagsfeier in die syrische Familie Mardini einführt, stehen wir einen harten Schnitt später im Jahr 2015 mit den zwei ältesten Töchtern auf der Dachterrasse eines Nachtclubs. War die Arabellion vier Jahre zuvor während der eingangs geschilderten Geburtstagsfeier nur ein Hintergrundrauschen, ist sie inzwischen zu einem Donnergrollen angewachsen. Sara Mardini (Manal Issa), 20 Jahre jung, tanzt sich zum Welthit Titanium die Seele aus dem Leib. „I’m bulletproof, nothing to lose / Fire away, fire away“, dröhnt es aus den Lautsprechern, im Hintergrund regnen Raketen vom Himmel. Saras 17-jährige Schwester Yusra (Nathalie Issa) blickt verloren in die taghelle Nacht. Diese Dynamik wird den gesamten Film vorantreiben.

Sara und Yusra sind Schwestern, aber auch Konkurrentinnen. Von ihrem Vater Ezzat (Ali Suliman) trainiert, sollen sie das erreichen, was ihm ein Leben lang verwehrt blieb: für Syrien bei den Olympischen Spielen im Schwimmen antreten. Dafür steigen die Schwestern jeden Tag ins Becken. Dafür ziehen sie Bahn um Bahn. Dieses Ziel hat Yusra selbst dann noch fest im Blick, als die Einschläge buchstäblich immer näher kommen. Sara hingegen verliert ihren Fokus. Wofür soll sie sich noch schinden, wenn es kein Land mehr gibt, für das sie antreten kann? Ihre Zukunft sieht sie nicht im Wasser, sondern im Westen, den sie freilich erst einmal über das Wasser erreichen muss. 

Mit dem Selbstbewusstsein einer kugelsicheren Superheldin schlägt Sara ihrem Vater vor, sie gemeinsam mit Yusra und ihrem Cousin Nizar (Ahmed Malek) auf den Weg nach Deutschland zu schicken. Yusra ist noch nicht volljährig, eine Familienzusammenführung nach erfolgreicher Ankunft daher noch möglich. Je unsicherer der Alltag in Syrien wird, desto sicherer erscheint diese unter normalen Umständen abwegige Option. Hoffnungsvoll brechen Sara, Yusra und Nizar in Richtung Istanbul auf. Bis sie endlich in Berlin ankommen, sind sie übers Ohr gehauen, gedemütigt und geschunden worden, haben unterwegs aber auch neue Freundschaften fürs Leben geschlossen. Ihre Überfahrt in einem notdürftig geflickten Schlauchboot hätten sie beinahe mit dem Leben bezahlt. Dass sie es unversehrt an Land geschafft haben, lag auch daran, dass die Schwestern so gut schwimmen können und ihre Fähigkeiten heldinnenhaft zum Einsatz brachten. 

Wie die Geschichte ausgeht, ist bekannt, soll an dieser Stelle aber nicht verraten werden. Sally El Hosaini hat aus den wahren Ereignissen einen farbenfrohen und kraftvollen Film über Mut, Willensstärke und Zielstrebigkeit gemacht, über emanzipierte Frauen, Freundschaft und Schwesternschaft. „Ich sah eine Gelegenheit, aus dem Typus moderner, liberaler arabischer Frauen, die es gibt, die aber selten auf der Leinwand zu sehen sind, komplexe Heldinnen zu machen“, sagt die Regisseurin über ihren Film. 

Sara und Yusra zählen dazu; sind junge Frauen, deren Mutter Mervat (Kinda Alloush) sich stets mehr für die Zukunft ihrer Töchter gewünscht hat, als lediglich vor den Traualtar geführt zu werden und über die ihr Vater sagt, dass sie stärker seien als tausend Söhne. Mit Manal und Nathalie Issa, die auch im echten Leben Schwestern sind, hat Sally El Hosaini die perfekte Besetzung gefunden. Man hat nie das Gefühl, hier keinen echten Schwestern zuzusehen, egal ob sie sich gerade in den Armen oder in den Haaren liegen.

Bei allem Leid und all den Strapazen vergisst Sally El Hosaini den Humor nicht. Neben den Schwestern ist dafür Matthias Schweighöfer zuständig, der Yusras Berliner Schwimmtrainer Sven (von den Wasserfreunden Spandau 04) spielt. Mit seiner offenen und arglosen Art, die in ernsten Rollen schnell mal nervt, ist er hierfür genau die richtige Wahl.

Wer der Meinung ist, dass über Krieg und Flucht nur sachlich und nüchtern, in freudlosen Bildern, farblosen Einstellungen und frei jeder Poesie berichtet werden darf, der wird sich gehörig an diesem Film stoßen. Alle anderen werden mit den zwei Schwestern mitfiebern, lachen und die eine oder andere Träne verdrücken.

Die Schwimmerinnen (2022)

Der Film erzählt die wahre Geschichte der Schwestern Yusra und Sarah Mardini, die vor dem Krieg in Syrien geflüchtet sind.  Die in Deutschland lebende syrische Schwimmsportlerin Yusra Mardini floh während der Flüchtlingskrise in Europa ab 2015 aus Syrien und nahm für das Team Refugee Olympic Athletes an den Olympischen Sommerspielen 2016 teil, was sie weithin bekannt machte.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen